AERZTE Steiermark 06/2025

 

„Neues Bewusstsein für Leistungen schaffen“

Seit heuer ist Beatrice Erker Vorsitzende des ÖGK-Landesstellenausschusses in der Steiermark. Im Interview spricht sie über unternehmerisches Denken, das ÖGK-Budget, Innovationen und die Lenkung der Patientenströme.

 

Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der ärztlichen Versorgung in der Steiermark?

Es ist in einigen Fächern vielleicht ein bisschen schwieriger, Ärzt:innen für die Besetzung von Stellen zu finden als in anderen, aber grundsätzlich sind wir in der Steiermark sehr gut besetzt, was den niedergelassenen Bereich angeht. Und die PVEs sind eine ganz tolle Geschichte und komplettieren das Angebot. In einer PVE arbeiten Allgemeinmediziner:innen, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Ordinationsassistenz und Angehörige weiterer Gesundheits- und Sozialberufe in einem Team zusammen. Neben der Versorgung akuter und chronischer Erkrankungen stehen Gesundheitsförderung, Prävention sowie psychosoziale Gesundheit im Fokus des Leistungsangebots einer PVE. In der Steiermark haben wir mittlerweile 22 PVEs, davon zwei für Kinder. Und weitere stehen in Planung.

Aktuell wird am Regionalen Strukturplan Gesundheit 2030 (RSG) gearbeitet, in dem festgelegt wird, wie die Struktur für die nächsten Jahre aufgebaut werden soll, um den Anforderungen und Entwicklungen zu entsprechen. Durch den medizinischen Fortschritt verändert sich schließlich vieles, sodass manche Leistungen aus dem intramuralen Bereich in den extramuralen ausgelagert werden können – wodurch es andererseits budgetär in unseren Leistungsbereich fällt.

 

Haben wir Versorgungslücken durch nicht besetzte Planstellen?

Ich würde sagen: Nein. Auch wenn einzelne Betroffene das vielleicht anders sehen. Aber es gibt wenige unbesetzte Stellen, wobei es eine hehre Aufgabe ist, diese zu besetzen. Mit Corona hat es einen großen gesellschaftlichen Wandel gegeben und das Konzept Kassenarzt ist für viele Ärzt:innen nicht mehr passend. Sie wollen ihre Arbeitszeiten nicht fix vorgegeben bekommen, sondern so arbeiten, wie sie wollen. Und das ist mit den Vorgaben durch den Kassenvertrag nicht möglich. Außerdem ist die Ärzteschaft weiblicher geworden. Noch immer liegt die Carearbeit hauptsächlich bei den Frauen, was mit den Rahmenbedingungen einer Kassenstelle nicht so einfach vereinbar ist. Deshalb bevorzugen viele die Flexibilität in den PVEs. Für Patient:innen sind diese ebenfalls ein Vorteil, da sie mehrere Expert:innen vor Ort haben.

 

Könnten flexiblere Öffnungszeiten für Kassenärzt:innen bei der Patientenlenkung helfen?

Ich glaube nicht, weil dann alle Ordinationen zu den gleichen bevorzugten Zeiten offen haben wollen. Sind mehrere Ärzt:innen in einer Praxis, können sie gemeinsam besser größere Zeiträume abdecken. Man muss aber auch eines festhalten: Die Patient:innen werden immer am liebsten zu „ihrem Arzt“ gehen; da gibt es eine Vertrauensbasis. Mit eHealth-Anwendungen und Telemedizin können wir aber zum Beispiel die Ordinationen entlasten, damit man nicht für jedes Rezept zum Arzt bzw. zur Ärzt:in gehen muss.

 

Widerspricht das nicht den ÖGK-Rundschreiben, bei denen man den Vorwurf herausliest, die Ärzt:innen würden sich die Patient:innen nicht anschauen, bevor sie z. B. Physiotherapien verschreiben?

Nein. Aber es gibt definitiv Dinge, die auf dem kurzen Weg erledigt werden können. Es geht nicht darum Leistungen zu beschneiden, sondern es geht um unnötige Leistungen. Egal ob auf Zuruf des Patienten oder des Arztes. Ich bin auch ein Fan davon, die Leute finanziell zu beteiligen. Ein Selbstkostenbeitrag hat einen Lenkungseffekt. Beispielsweise bei den Krankentransporten war das wichtig, wo wir wissen, wie viel Missbrauch stattfindet. Die, die es sich sonst gar nicht leisten könnten, sind ohnehin davon befreit. Die Rezeptgebührenbefreiung ist ein guter Messgrad. Wenn man nicht weiß, was das alles kostet, dann denkt man leider auch nicht darüber nach. Dabei sollte das stattfinden – da sehe ich den unternehmerischen Ansatz.

 

Was macht es attraktiv, als Kassenärztin bzw. Kassenarzt zu arbeiten?

Ich sehe es als klaren Vorteil, dass man Unternehmerin bzw. Unternehmer ist. Und durch den Kassenvertrag weiß man, dass regelmäßig ein gewisser Betrag hereinkommt und viele sind dankbar, dass die ÖGK so verlässlich zahlt. Das ist ja nicht bei allen Partnern so. Deshalb schwenken immer wieder Wahlärzt:innen um und wechseln zu einer Kassenstelle.

 

Wie müssten sich die Rahmenbedingungen ändern, um mehr Kassenärzt:innen zu bekommen?

Ärzt:innen leben für ihren Beruf. Sie wollen sich nicht in erster Linie um betriebswirtschaftliche Belange kümmern, die aber sein müssen. Als Unternehmer:in muss man kalkulieren, ein Budget machen, Verträge. Für die Basics des Unternehmertums müsste man Schulungen anbieten und die Hürden zur Gründung abbauen. Deshalb sind für manche die PVEs attraktiver, weil sie dort in einem Angestelltenverhältnis sind. Aber die Niedergelassenen, die alleine arbeiten und selbst den Lead vorgeben wollen, wird es immer geben. Nicht alle wollen im Team arbeiten. Ein Unternehmerführerschein und Fortbildungen wie Steuerrecht für Ärzt:innen sind Dinge, die sie auf der Uni nicht lernen, die aber wesentlich sind.

 

Man spürt stark Ihren unternehmerischen Hintergrund. Läuft es in der ÖGK nach den gleichen Prinzipien?

Die Fusion der ÖGK fand ja vor fünf Jahren statt. Von den neun Häuser hat jedes eine andere Kultur und eine andere Struktur. Es ist schwierig, die in so kurzer Zeit zu verheiraten, schließlich sprechen wir von 13.000 Mitarbeiter:innen. Man kann vieles kritisieren, aber es auch als Chance sehen, sich neu aufzustellen. Es gibt auf jeden Fall Stellschrauben, an denen wir drehen müssen: Wir haben zu Beispiel in der Bevölkerung ein starkes Anspruchsdenken – ich habe eingezahlt, also kann ich alles immer haben. Da muss ein neues Bewusstsein für Leistungen und Notwendigkeiten geschaffen werden.

 

Inwieweit sind die Ärzt:innen dabei Verbündete, dieses Bewusstsein zu schaffen?

Ich denke, dass die Ärzt:innen ihren Beitrag leisten können und das wäre auch sehr wichtig. Sie sind sicher auch oft dem Druck von Seiten der Patient:innen ausgesetzt, die etwas einfordern. Die Ärzt:innen müssen das filtern, welche Leistungen notwendig sind. Das ist die Patientenlenkung durch die Hausärzt:innen und damit ihr wichtiger Beitrag zu Steuerung. Es gibt schließlich nur einen Topf, aus dem man schöpfen kann, und mit dem sollte ressourcenschonend umgegangen werden.

 

Brauchen wir in Zukunft mehr Budget?

Wenn jeder sorgsam damit umgeht und nur das gemacht wird, was notwendig ist, dann kommen wir mit dem vorhandenen Budget aus.

 

Sie haben zu Ihrem Antritt gesagt: „… werden wir uns die kommenden fünf Jahre mit aller Kraft dafür einsetzen, dass wir mithilfe von Digitalisierung und innovativen Lösungen die modernste Gesundheitskasse Europas werden.“ Wie stellen Sie sich das vor?

Digitalisierung ist ein Tool, das immer mitgedacht werden muss. Bei den digitalen Anwendungen tut sich so viel – das startet mit der App für Zuhause, die dafür sorgt, dass die Physiotherapie nachhaltiger wird, und reicht bis zum dermatologischen Online-Check. Es gibt diese Möglichkeiten und als Krankenkasse wird man die berücksichtigen, wenn sie wirklich etwas bringen. Daran wird sukzessive in der ÖGK gearbeitet. Gerade in der Steiermark laufen viele Pilotprojekte. Wir sind da ganz vorne dabei.

 

Wie definieren Sie für sich die Balance zwischen Weiterentwicklung und notwendiger Bewahrung des bestehenden Systems?

Ich bin klar für Weiterentwicklung. Man muss neu denken und alle Ideen zulassen, um eine gute Versorgung zu gewährleisten. Es gibt viele Köpfe, die das System kennen und gute Ideen haben. Die EVA im UKH ist ein tolles neues Projekt, das viel bringt. Man könnte künftig vielleicht mobile Ordinationen dort einsetzen, wo es nicht wirtschaftlich ist, eine eigene Ordination zu betreiben. Wir müssen in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der Ärztekammer daran arbeiten, dass unser System effizienter und moderner wird. Es wird Kompromissbereitschaft brauchen und auch in der Kommunikation muss an Stellschrauben gedreht werden. Dann bin ich absolut zuversichtlich, dass wir das gemeinsam gut aufstellen können.

 

 

 

Zur Person

Beatrice Erker, Geschäftsführerin des dbv-Verlags in Graz, ist Obfrau der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft in der Wirtschaftskammer Steiermark. Sie war 2020 bis 2024 Mitglied des Verwaltungsrats der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS). Erker wurde auf Dienstgeberseite von der Wirtschaftskammer in die ÖGK entsendet und übernahm das Amt von Vinzenz Harrer. Gemeinsam mit Josef Harb hat sie den Vorsitz der Selbstverwaltung in der Steiermark inne.

 

Fotocredit: Schiffer/Ärztekammer Steiermark