AERZTE Steiermark 06/2025
Primärarztwesen in Deutschland – und die steirische Perspektive
In Deutschland will die neue Koalition den Fokus auf mehr Patientensteuerung legen. Im Zentrum steht ein verbindliches Primärarztsystem, das den Zugang zu Fachärzt:innen regeln soll. Kurienobmann Dietmar Bayer über die Parallelen zur Situation in Österreich.
Die geplante Reform in Deutschland sieht ein Primärarztsystem vor, das künftig den Zugang der Patient:innen zu Fachärzt:innen steuern soll. Das Ziel dieses neuen Systems ist es, Wartezeiten zu verkürzen und die Praxisteams zu entlasten. Dazu soll der Direktzugang zu Fachärzt:innen eingeschränkt werden; möglich bleibt dieser nur noch in den Bereichen der Gynäkologie und der Augenheilkunde. In allen anderen Fachrichtungen wird künftig der gewählte Haus- oder Kinderarzt als erste Anlaufstelle fungieren und regulierend wirken – sowohl im hausarzt-zentrierten Modell als auch in der kollektivvertraglichen Versorgung.
Strukturierter Zugang statt freie Wahl
Hausärzt:innen übernehmen in diesem System eine Steuerungsfunktion: Sie prüfen den Bedarf für eine fachärztliche Konsultation und sind aber zusätzlich auch noch für die Organisation eines Facharzttermins verantwortlich. Mit diesem Service einher geht das Versprechen einer Termingarantie – gelingt die Vermittlung nicht zeitgerecht, erhalten Patient:innen das Recht auf eine Behandlung im Krankenhaus. Für Patient:innen mit schweren chronischen Erkrankungen sollen eigene Lösungen geschaffen werden, sei es mittels Jahresüberweisungen oder etwa Fachärzt:innen, die in diesen Fällen als steuernde Primärärzt:innen fungieren.
Dieses Versprechen einer „Termingarantie“ stößt bei Deutschlands Kassenärzte-Vertreter:innen auf Kritik. Es wird als „realitätsfern“ bezeichnet. Ein weiterer spannender Punkt in der geplanten deutschen Reform: Es soll flächendeckend die Möglichkeit geschaffen werden, via Telemedizin eine strukturierte Erst-einschätzung zu erhalten.
Steirische Perspektive
In Österreich wird das deutsche Modell genau beobachtet. Für Prof. Dr. Dietmar Bayer, Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte der Ärztekammer für Steiermark, ist klar: „Ein Modell wie das in Deutschland forcierte Primärarztwesen bedingt aber mindestens ein Viertel mehr Hausärzte, um diese Frequenzen bedienen zu können. Nur dann können die niedergelassenen Fachärzt:innen und die Ambulanzen entlastet werden.“
Zwar haben das Land Steiermark und die ÖGK angekündigt, zusätzliche Kassenstellen schaffen zu wollen – 16 neue Stellen stehen aktuell im Raum. Doch Bayer warnt: „Diese Lippenbekenntnisse werden für eine sinnvolle Stärkung des niedergelassenen Bereichs nicht ausreichen. Wenn die Honorierung nicht passt, dann werden auch zusätzliche Stellen nicht besetzt werden können.“ Von der Stärkung der Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte werde zwar viel gesprochen, doch die Politik und die Pflichtkrankenkassen müssten endlich ins Handeln kommen. „Der unzureichende Leistungskatalog der ÖGK verhindert eine zeitgemäße Versorgung der Patientinnen und Patienten“, so Bayer. Ein Blick in den einheitlichen Leistungskatalog, den die Bundeskurie vor Jahren zur Verfügung gestellt habe, zeige ca. 200 ärztliche Leistungen, die es schon längst gibt, die aber noch nicht in den ÖGK-Honorar-ordnungen umgesetzt sind.
Fotocredit: Schiffer/Ärztekammer Steiermark