Kinder-Los
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Notwendigkeit, aber vielfach noch nicht Realität. Einiges ist zwar geschehen, aber vieles bleibt noch zu tun.
MARTIN NOVAK - AERZTE STEIERMARK 05/2013
Das Ärztepaar fährt gemeinsam mit seinen beiden Kindern in der Früh ins Universitätsklinikum. Bevor die Eltern ihre Arbeit an zwei unterschiedlichen Kliniken bzw. Abteilungen aufnehmen, bringen sie den zweijährigen Sohn in die Kinderkrippe und die dreieinhalbjährige Tochter in den Kindergarten. Der Vater wird in seiner Mittagspause eine halbe Stunde nach seiner Tochter schauen und kann sogar sein Mittagessen gemeinsam mit ihr einnehmen. Weil er auch Nachtdienst hat, holt die Mutter ihre Kinder am Abend allein ab. Dass es 17 Uhr wird, bevor sie in der Kinderbetreuungseinrichtung eintrifft, ist kein Problem – gegebenenfalls können Kinder dort auch weit länger betreut werden.
Das ist der Idealfall. Und er sollte wohl auch der Normalfall sein, wenn die weitgehend problemfreie Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur Realität geworden ist. Väter und Mütter, die weder die Familie dem Beruf, noch die berufliche Karriere der Familie opfern wollen, wie das in der Vergangenheit üblich war, wünschen sich attraktive Arbeitgeber, die diesem Wunsch Rechnung tragen.
Das Bemühen ist erkennbar: Ab Herbst kommenden Jahres wird das Universitätsklinikum Graz eine Betreuungseinrichtung für 193 Kinder bekommen, ein „Mini-Paradies“, wie es in der Presseaussendung anlässlich des Spatenstichs heißt. Kostenpunkt: 8,4 Millionen Euro.
Derzeit (und wir sind im Jahr 2013) ist das Angebot noch sehr überschaubar. Begrenzte Angebote in Kooperation mit Trägern wie der Volkshilfe und Wiki gibt es bereits jetzt am Klinikum, aber auch für die LSF, das Landeskrankenhaus Leoben, das LKH Stolzalpe und Hartberg (ab Mai 2013). An anderen LKH-Standorten müssen Eltern selbst die Initiative ergreifen. Es gibt auch keine Pläne, das in absehbarer Zeit zu ändern.
Für Kathrin Sieder, „Arztberuf-und-Familie“-Referentin in der Ärztekammer, dämpft das die Freude an der Verbesserung im Klinikum beträchtlich: „In Graz ist die Infrastruktur insgesamt besser, gerade in der Peripherie brauchen wir entsprechende Angebote.“
„Ein zeitlich und personell ausreichendes Kinderbetreuungsangebot sollte für jeden größeren Arbeitgeber selbstverständlich sein“, verlangt der stellvertretende Obmann der Kurie Angestellte Ärzte, Karlheinz Kornhäusl – er ist selbst junger Vater – nach einer umfassenden Lösung für alle LKH-Standorte. Die Bedürfnisse der Pflege mit „Radldienst“, der Ärztinnen und Ärzte mit Nacht- und Wochenenddiensten seien dabei natürlich in Rechnung zu stellen. „Eine fächendeckende Betreuung muss Standard werden,“ sagt auch Kurienobmann Martin Wehrschütz.
Die „Flexibilität“ der Kinderbetreuung ist auch für Sieder eine zentrale Herausforderung. Die gesetzliche Maximalzeit von acht Stunden Betreuung sei bereits eine Achillesferse: „Das geht sich mit Hinbringen und Abholen nicht aus“, rechnet sie vor. Gar nicht zu reden von einer Betreuung während der Nachtdienste: „Davon ist in der Steiermark überhaupt nicht die Rede“, sagt sie. In Oberösterreich gebe es zumindest einen Versuch.
Große Lücken
Laut einer SORA-Umfrage im Auftrag der Arbeiterkammer aus dem Dezember 2012 meinen 53 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, dass zu wenige Betreuungsplätze zur Verfügung stünden, 59 Prozent kritisieren die unzureichenden Öffnungszeiten. In der Steiermark sind nur zehn Prozent der null- bis zweijährigen Kinder in Krippen oder Tagesmütter-Betreuungsstätten versorgt.
Laut einer Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung im Auftrag der Industriellenvereinigung aus dem Jahr 2005 lag die Betreuungsquote in dieser Altersstufe österreichweit bei zwölf Prozent, in den flächenmäßig großen Bundesländern Steiermark und Oberösterreich aber nur bei sieben bzw. sechs Prozent. Deutlich besser wird es zwar im Kindergartenalter – 80 Prozent der drei- bis fünfjährigen SteirerInnen sind versorgt, ab dem sechsten Lebensjahr geht es aber wieder bergab in den einstelligen Bereich.
Dafür gibt es aber ein massives Zeitproblem: Nur ein Viertel der Kindergärten hatte Öffnungszeiten bis zumindest 17 Uhr, wobei die Steiermark gemeinsam mit Tirol und Vorarlberg am schlechtesten abschneidet. Zu den mit Arbeitszeiten nur bedingt kompatiblen Öffnungszeiten kommen noch Schließtage (vor allem in Kindergärten).
Gesamtbilanz: 200.000 Kinder unter 15 Jahren von voll¬erwerbstätigen Müttern werden nicht betreut, das sind mehr als zwei Drittel. Bei Kindern von Müttern mit Matura oder Hochschulabschluss liegt der Wert etwas höher als bei Müttern mit Pflichtschul- oder Lehrabschluss. Das könnte auch mit den hohen Kosten zu tun haben: Für 17.000 Kinder sind sie aus Elternsicht der Grund für die Nichtbetreuung.
35.000 Plätze mehr
Ist die KAGes, mit 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei weitem größter Arbeitgeber des Landes (und als Unternehmen der öffentlichen Hand), führend in der Kinderbetreuung? Offenbar nicht: Praktisch zeitgleich mit dem Spatenstich im Universitätsklinikum fand auch einer beim Logistik-Unternehmen Knapp statt: Das Unternehmen will seine Kinderbetreuung in Hart bei Graz im September eröffnen, und zwar für 50 Kinder, obwohl das Unternehmen nur rund ein Zehntel der KAGes-Mitarbeiterzahl hat. Essen gibt es gratis. Die Andritz AG bietet bereits seit 2007 eine Kinderbetreuung ab dem 18. Lebensmonat von 6.30 bis 18.30 Uhr an. Auch die Universität Graz, die FH Joanneum, Siemens, die Holding Graz, T-Mobile, das GGZ, die Krankenhäuser der Elisabethinen und der Barmherzigen Brüder, RHI, Magna Powertrain und die Diözese Graz-Seckau haben in Kooperation mit Partnern Angebotspakete für Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschnürt.
Insgesamt gesehen bleibt aber noch viel zu tun: Zu den derzeit knapp 24.000 Kinderbetreuungsplätzen müssen nach Berechnungen der Industrie in absehbarer Zeit 35.000 dazukommen, um den (steigenden) Bedarf annähernd zu decken. 70.000 bestehende Betreuungsplätze für alle Altersstufen brauchen eine zeitliche Ausdehnung.
Nicht (nur) aus sozialen Motiven: Es geht in vielen Unternehmen, aber ganz speziell auch im Bereich der Krankenhäuser, darum, den Bedarf an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu decken: „Deutsche Träger bieten das bereits sehr offensiv an“, sagt Kornhäusl. Neben der besseren Bezahlung und anderen Rahmenbedingungen ist auch das eine Ursache, warum nicht wenige heimische Ärztinnen und Ärzte daran denken, in Deutschland zu arbeiten.
Zitate:
53 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher meinen, dass zu wenige Betreuungsplätze zur Verfügung stünden, 59 Prozent kritisieren die unzureichenden Öffnungszeiten.
„Ein zeitlich und personell ausreichendes Kinderbetreuungsangebot sollte für jeden größeren Arbeitgeber selbstverständlich sein.“
Karlheinz Kornhäusl
„In Graz ist die Infrastruktur insgesamt besser, gerade in der Peripherie brauchen wir entsprechende Angebote.“
Kathrin Sieder
Foto Credits:
Grafik: Mirko Maric´