Ärztewanderung

Die Gründe für die hohe Abwanderungsquote österreichischer MedizinstudentInnen liegen unter anderem in der unattraktiven Ausbildungssituation. In einzelnen Bundesländern findet nun ein Umdenken statt. Auch in der Steiermark ist Handlungsbedarf gegeben.

David Windisch - AERZTE Steiermark 05/2013

Laut einer kürzlich herausgegebenen Studie des Bundesministeriums für Gesundheit streben rund 25 Prozent der österreichischen MedizinstudentInnen, etwa drei Viertel der deutschen MedizinstudentInnen und zwei Drittel der MedizinstudentInnen aus allen übrigen Herkunftsländern eine Berufstätigkeit außerhalb Österreichs an.

Die Hauptargumente für die¬se hohe Abwanderungsquote scheinen definitiv in der nachteiligen postpromotionellen Ausbildungssituation in Österreich zu liegen: Ein zu langer und z.T. qualitativ schlechter Turnus, der im internationalen Vergleich auch noch mehr als unterdurchschnittlich bezahlt ist sowie ein abgeschlossener Turnus als Voraussetzung für eine Facharzt-Ausbildungsstelle.  In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass durch eine Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes „Arzt/Ärztin“ die Bereitschaft der österreichischen AbsolventInnen des Humanmedizinstudiums, im Land zu bleiben von dzt. 73% bis 2024 auf 90% steigen wird.

In meinen Augen ist das ein hohes Ziel, das ohne grundlegende Änderungen der bestehenden Ausbildungsordnung nicht erreichbar zu sein scheint.

Konkret wurden in dieser Studie Zielstellungen angegeben, die auch seitens der Ärztekammer seit Jahren gefordert werden, wie z.B. Delegation nicht-ärztlicher Tätigkeiten an qualifiziertes Personal und Entlastung von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben.

Exemplarisch seien einige Verbesserungsvorschläge aus der zitierten Studie aufgeführt:

  • Ausbildungskultur etablieren
  • JungmedizinerInnen ausbildungsgerecht verwenden
  • Qualitätsstandards in der Ausbildung, speziell auch bei Lehrpraxen
  • Facharztausbildung früher beginnen, damit kürzere Ausbildungszeiten
  • Nahtlosen Umstieg nach Beendigung des Studiums ermöglichen

Tatsache ist, dass manche dieser Forderungen in einigen österreichischen Bundesländern bereits gelebte Realität sind. Nicht, weil die Spitalsträger plötzlich ihre Verpflichtung zur Ausbildung erkannt haben, sondern weil Turnusärztinnen und Turnusärzte zur „Mangelware“ geworden sind, der Spitalsbetrieb ohne sie jedoch nicht aufrecht zu erhalten wäre!

Zahlreiche unbesetzte Turnusstellen in Salzburg, Ober¬österreich, Niederösterreich, Kärnten und Vorarlberg ziehen Maßnahmen nach sich, welche noch vor fünf Jahren Utopie waren. So sind  Bonuszahlungen bereits bei Vertragsabschluss, Einstiegsgehälter von brutto 3.412 Euro/Monat in Vorarlberg1 (im Vergleich dazu - SI Schema des Landes Steiermark dzt. ca. 2.200 Euro), Empfang mit offenen Armen durch die Abteilungsleiterin oder den Abteilungsleiter persönlich, Delegation der nicht-ärztlichen Tätigkeiten an das Pflegepersonal und vieles mehr in dieser Tonart bereits jetzt in weiten Landesteilen Realität.

Die Steiermark  als „Universitätsbundesland“ hinkt (noch) hinterher. Nur langsam beginnt¬ das System vom Rand, oder besser: von der Peripherie her, zu bröckeln. Die eine oder andere Stelle auf der Stolzalpe oder in Rottenmann ist schwer zu besetzen, noch nie gab es so wenige BewerberInnen für den KAGES-Turnus, wie in diesem Jahr und Inserate für Facharztausbildungsstellen in Österreich scheinen in vielen Medien auf. Langsam infiziert das „Turnus¬ärztemangelfieber“ also auch die Steiermark und Spitalsträger beginnen, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Diese Notwendigkeit bietet aber auch Chancen: Stichwort „Turnus NEU“! Einer kürzlich getätigten Äußerung des Präsidenten der Ärztekammer für Kärnten, Dr.  Josef Huber,  möchte ich hier entschieden entgegentreten. Er meinte in einer Presseaussendung, dass das Konzept des „Turnus NEU“ lediglich die Ausbildungszeit verlängere (von dzt. 3 auf 4,5 Jahre) und somit eine unzumutbare Perspektive für Jungärzte entstehe, indem sie noch länger zum Systemerhalter herangezogen würden.

Lassen sie mich das Konzept des „Turnus NEU“ 4 kurz skizzieren: Die Kernpunkte bestehen darin, dass erstens die Lehrpraxis für die Dauer von sechs oder neun Monaten fixer und ausfinanzierter Bestandteil sein wird, und zweitens der Turnus in der jetzigen Form nicht mehr existieren wird. Das Ziel ist, die Ausbildungsinhalte qualitativ und quantitativ an internationale Standards anzupassen.  Nach dem Studium wird ein sog. „common trunk“ absolviert, bestehend aus einem chirurgischen Teil (3 Monate) und einem internistischen Teil (6 Monate) mit Schwerpunkt Notfallmedizin. In dieser Zeit sollen sogenannte Basiskompetenzen vermittelt werden, somit ersetzt der „common trunk“ den bisherigen Turnus!  Danach soll die Entscheidung entweder für eine Facharztausbildung oder Allgemeinmediziner-Ausbildung „Turnus NEU“ fallen, diese jedoch nicht mehr Voraussetzung für eine Facharztausbildung sein. Die Ausbildung zum AM wird danach 33 Monate in Krankenanstalten dauern, plus sechs bis neun Monate in der Lehrpraxis.

Wesentlich dabei ist die neue Fächerverteilung:

  • 3 Monate Chirurgie (bereits „common trunk“ )
  • 15 Monate Innere Medizin (6 bereits im „common trunk“. Bei den neun Monaten in der speziellen Ausbildung sind auch Geriatrie, Pulmonologie, Palliativmedizin und Onkologie dazu zu zählen)
  • 3 Monate Neurologie
  • 3 Monate Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin
  • 3 Monate Orthopädie oder Unfallchirurgie
  • 3 Monate Kinder- und Jugendheilkunde
  • 3 Monate Gynäkologie und Geburtshilfe
  • 9 Monate freie Wahlfächer (wobei aus drei der folgenden Fachgebiete jeweils 3 Monate auszuwählen sind: Hals,- Nasen- und Ohrenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Augenheilkunde und Optometrie, Urologie, Unfallchirurgie, Orthopädie und orthopädische Chirurgie oder Anästhesie und Intensivmedizin. Unfallchirurgie bzw. Orthopädie und orthopädische Chirurgie können im Rahmen der Wahlpflichtfächer jedoch nur gewählt werden, sofern sie nicht bereits im Rahmen der Basiskompetenzen absolviert wurden)
  • 6 – 9 Monate Lehr(gruppen)praxis

Natürlich sind o.g. Inhalte nicht in Stein gemeißelt, doch in etwa soll das Konzept so umgesetzt werden. Die neun Monate in Form von freien Wahlfächern werden das System zusätzlich flexibilisieren und zum Einen individuelle Interessen besser berücksichtigen, zum Anderen aber die bisherigen „Flaschenhälse“ Dermatologie und HNO entschärfen.
Insgesamt werden deutlich weniger Kolleginnen und Kollegen diese Ausbildung absolvieren als den bisherigen Turnus, und somit bietet sich endlich die Möglichkeit, dem Hamsterrad der Spitalserhaltung mit Hilfe von Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung zu entkommen. Pflegetätigkeiten und delegierbare Tätigkeiten müssen durch die Pflege durchgeführt werden und die Dauer der Ausbildung soll genutzt werden, um für die nachfolgenden Anforderungen in der hausärztlichen Praxis fit zu sein.

Für mich wesentlich scheint auch ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an unseren Universitäten, um das Fach AM als solches zusätzlich aufzuwerten. Der Beruf der Landärz¬tin und des Landarztes muss wieder attraktiver und erstrebenswerter werden, denn nur in dieser Form ist eine sinnvolle und auch kostengünstige PatientInnenversorgung möglich. Natürlich bedarf es hierzu einer Reihe weiterer zweckmäßiger Reformen im niedergelassen Bereich.

Im Rahmen einer möglichen Umsetzung dieser Reform sollte auch über den Terminus „Turnus“ als solchen nachgedacht werden. Besser scheint mir, die Ausbildung zum Arzt/zur Ärztin für Allgemeinmedizin nicht als „Turnus“ zu bezeichnen, um letztlich diesen negativ behafteten Begriff im Sinne eines Klotzes am Bein loszuwerden. Grundsätzlich sollte im Zuge dieser Reform auch das „Turnusärztetätigkeitsprofil“ der ÖÄK  in geeigneter Form eine gesetzliche Verankerung finden. Der Abhängigkeit von Lippenbekenntnissen hinsichtlich der Delegation von nicht-ärztlichen Tätigkeiten an qualifiziertes Personal kann mit einer solchen Grundlage entgegengewirkt werden. 

Ich persönlich blicke hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft und scheue mich nicht, diesen Riesenbrocken der Ärzteausbildung in Angriff zu nehmen. Seit 50 Jahren besteht das System, und es ist an der Zeit es niederzureißen und neu aufzubauen, um unseren „Job“ lebenswerter zu machen.

Quellen:

1  LKH Bregenz – Inserat Österreichische Ärztezeitung, März 2013
2 Ausbildungskommission; Reform der Ärzteausbildung; Bericht über den Zeitraum; März – Dezember 2011


Zitate:

Turnusärztinnen und Turnusärzte sind zur „Mangelware“ geworden, der Spitalsbetrieb wäre ohne sie jedoch nicht aufrecht zu erhalten.

Langsam infiziert das „Turnusärztemangelfieber“ auch die Steiermark, und Spitalsträger beginnen nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

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