„An den Bruchlinien der Gesellschaft arbeiten“
Der Steirer Gerald Schöpfer wurde im Mai zum neuen Präsidenten des Österreichischen Roten Kreuz gewählt. Der Wirtschaftshistoriker, ehemalige Wirtschaftslandesrat und steirische RK-Präsident im Interview über Pläne und Ziele während seiner Amtszeit.
Robert Ernst-Kaiser
AERZTE Steiermark: Was werden die großen Herausforderungen der kommenden Jahre im ÖRK sein?
Schöpfer: Die demografischen Veränderungen bringen große Anforderungen für unser Sozialsystem und einen steigenden Pflegebedarf. Dazu kommt, dass sich die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Menschen, nicht zuletzt durch die steigende Arbeitslosigkeit, verschlechtert hat.
Was sind ihre Ziele als Präsident?
Schöpfer: Die Freiwilligkeit muss noch weiter gestärkt werden. Wir werden auch danach trachten, unser Leistungsangebot den neuen Herausforderungen noch stärker anzupassen. Wir werden uns auch an den Bruchlinien unserer Gesellschaft deutlich engagieren.
Welche Bereiche werden sie in den Mittelpunkt rücken?
Schöpfer: Wir sollten nicht nur als eine hoch effiziente „Blaulicht-Organisation“ wahrgenommen werden. Ich glaube, dass es auch für unsere sozialen Leistungen einen steigenden Bedarf gibt.
Die Freiwilligkeit ist eine der höchsten Güter im ÖRK. Es wird aber auch für diese schwer langfristig zu planen und einsatzbereit zu sein. Wie wird das ÖRK der Zeitknappheit entgegenwirken?
Schöpfer: Freiwilligkeit gehört tatsächlich zu den höchsten Gütern – nicht nur im Roten Kreuz, sondern in unserer gesamten Gesellschaft. Wir erkennen die Tendenz, dass sich viele Menschen gerne für begrenzte Zeit gezielt in Projekten engagieren. Daher gibt es beim Roten Kreuz Koordinatoren, an die sich Freiwillige wenden können, um sich entsprechend ihrer Fähigkeiten und Interessen einzubringen.
Wieviel Geld erspart sich Österreich durch die Freiwilligkeit?
Schöpfer: Allein beim ÖRK engagieren sich knapp 60.000 Menschen freiwillig. Bewertet man die Zeit, die sie aufwenden mit 27 Euro pro Stunde, so ergibt sich eine Summe von mehr als 287 Millionen Euro für das Jahr 2012.
Sie kommen aus der Politik und kennen die Mechanismen. Wie werden sie als ÖRK-Präsident, z. B. beim Thema Pflege, ihre Kontakte in die Parteizentralen spielen lassen?
Schöpfer: Selbstverständlich werden wir unter Beachtung unserer parteipolitischen Neutralität mit den Parteizentralen über die „Zeitbombe“ der Pflegeproblematik sprechen und unsere Vorstellungen einbringen. In allen Bundesländern ist die Steuerbelastung gleich, aber die Leistungen im Pflegebereich sind völlig unterschiedlich. Das gehört reformiert.
Thema Zivildienst. Mit welchen Forderungen werden sie einer Reform entgegentreten?
Schöpfer: Zusammengefasst kann man sagen, wir haben eine Forderung – und zwar, dass es unter keinen Umständen zu einer Verschlechterung der Situation jener Menschen kommen darf, die derzeit auf die Hilfe von Zivildienern angewiesen sind.
Das ÖRK ist international bei Krisen immer wieder im Einsatz. Wie wichtig sind diese Einsätze und wie werden sie mit Schwesterorganisationen zusammenarbeiten?
Schöpfer: Katastrophenhilfe im In- und im Ausland ist eine unserer Kernkompetenzen. Weltweit gibt es 188 Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaften. Kommt es zu einer Krise, gehören die hauptberuflichen und freiwilligen Mitarbeiter unserer jeweiligen Schwesterorganisation zu den ersten Helfern. Mit ihnen koordinieren wir dann unsere Hilfe. Bei Bedarf können wir Suchhunde entsenden, Trinkwasser aufbereiten oder – wie derzeit in Syrien – lebenswichtige Hilfsgüter anschaffen und verteilen.
FOTO: ÖRK_Helge O. Sommer