Immer schlimmer im Spital
Ein gutes Viertel der österreichischen Ärztinnen und Ärzte hält es für sehr unwahrscheinlich, dass der Job im Spital bis zum 65. Lebensjahr durchzuhalten ist. In der Steiermark ist es immerhin ein Fünftel. Der Wunsch nach mehr Freizeit und der Beschränkung der Arbeitszeit hat vor allem bei den Jungen höchste Priorität.
Martin Novak
Zwei aktuelle Studien, eine österreichweite IFES Umfrage und eine von der Ärztekammer Steiermark beauftragte Befragung, zeichnen ein beklemmendes Bild der ärztlichen Arbeitssituation in den Krankenhäusern.
Für 52 Prozent der Ärztinnen und Ärzte (Steiermark 51) hat sich die Arbeit im Krankenhaus in den letzten fünf Jahren zum Schlechteren verändert. Bei einer IFES-Vergleichsbefragung im Jahr 2003 waren es nur 41 Prozent (43 Prozent in der Steiermark). Fragt man nach den konkreten Problemen, steht die Personalknappheit an erster Stelle: 89 Prozent nehmen sie wahr, drei Viertel sehen darin ein gravierendes Problem. Es folgen der vermehrte Aufwand für die Patientendokumentation mit 85 Prozent (den zwei Drittel als „gravierend“ einstufen), der steigende Zeitdruck (85 bzw. 60 Prozent) und der Anstieg der Patientenaufnahmen. Die Unterschiede zwischen Österreich und der Steiermark sind in allen Punkten marginal.
Die stärksten Belastungsfaktoren für die eigene Arbeit sind aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte Verwaltungsaufgaben und Patientendokumentation. 82 Prozent erleben sie als (sehr) belastend. Mit 77 Prozent folgt der Zeitdruck. Zwei Drittel fühlen sich durch Überstunden und lange Dienste unter Druck gesetzt, ebenso viele durch (zu) viele Nachtdienste. Es folgen Patientenaufnahmedruck und Überbelegung und eine chaotische Arbeitsorganisation.
Mit dem Beruf nahezu unweigerlich verbundene Faktoren, wie die „seelisch belastende und aufreibende Arbeit“ oder schwierige Patienten, kommen erst danach – auch wenn letztere an Bedeutung gewinnen. An letzter Stelle der Problemfelder liegen Mobbing durch Kollegen und Vorgesetzte sowie mangelnde Unterstützung durch die Kollegen.
Gerade die schwerwiegenden Faktoren (Verwaltung, Zeitdruck) werden in der Steiermark im Vergleich zum Österreichschnitt als noch gravierendere Probleme wahrgenommen.
Immerhin zwei Drittel der österreichischen Ärztinnen und Ärzte sind mit dem Ansehen des eigenen Krankenhauses sehr oder zufrieden. In der Steiermark sind es sogar etwas mehr. Und: In der Steiermark verbessern sich die Werte gegenüber den Befragungen 2003, 2006 und 2010, während sie im gesamtösterreichischen Ergebnis eher gleichbleibend sind.
Mit Art und Inhalt der eigenen Tätigkeit sind zwei Drittel zufrieden, ebenso mit der beruflichen Tätigkeit insgesamt. Nur mehr etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) bewertet die Weiterbildungsmöglichkeiten als (sehr) zufriedenstellend. Ähnlich sieht es beim Dienstplan aus. Nur 44 Prozent sind mit dem Einkommen sehr oder zufrieden, in der Steiermark sind das um neun Prozentpunkte mehr – der Prozentanteil der „sehr Zufriedenen“ liegt aber jeweils im einstelligen Bereich.
Eine Zufriedenheit von weniger als 50 Prozent erreichen Ausbildung, Führungsstil, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten oder die Maßnahmen zur Frauenförderung. Ganz hinten liegen Vereinbarkeit von Beruf und Familie (für 32 Prozent sehr oder zufriedenstellend) und das Zeitbudget für Ausbildung, das in Österreich ein Viertel und in der Steiermark sogar nur ein Fünftel der Befragten für sehr oder zufriedenstellend hält.
Geld allein macht nicht glücklich, das bestätigt die Befragung ganz klar. Im Ranking der für die Arbeitszufriedenheit wichtigen Faktoren ist die Freude an der Arbeit vorrangig, es folgen weitere „weiche Faktoren“ (für andere Menschen und die Gesellschaft da sein, persönliche Erfahrungsmöglichkeiten). Die materielle Absicherung kommt erst danach (liegt aber verständlicherweise mit mehr als 80 Prozent dennoch hoch). Karriere machen zu wollen folgt an letzter Stelle.
Alarmierend sind die Werte, wenn gefragt wird, ob man unter diesen Bedingungen bis zum 65. Lebensjahr durchhalten wird. Nur zwölf Prozent halten das für sehr wahrscheinlich. Wenn es im Gegenzug 28 Prozent für sehr unwahrscheinlich halten und 36 Prozent für eher unwahrscheinlich, dann gilt für die Personalabteilungen der Krankenhausträger wohl Alarmstufe Rot. Dass bei Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung zum Allgemeinmediziner und zum Facharzt die Ergebnisse noch weit schlechter sind (37 bzw. 38 Prozent sehr unwahrscheinlich), macht die Lage bereits dramatisch. In der Steiermark ist die Situation mit 22 bis 23 Prozent „sehr unwahrscheinlich“ zwar etwas besser als im Bundesschnitt, für sich alleine betrachtet aber dennoch hoch problematisch. Hier wird wohl die Hauptursache für den zu erwartenden Ärztemangel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu suchen sein.
54 Wochenstunden arbeiten Spitalsärztinnen und -ärzte im Bundesschnitt (gefragt wurde nach dem letzten halben Jahr). Die Höchstarbeitszeit (Bundesschnitt im letzten halben Jahr) waren 68 Stunden pro Woche. In der Steiermark sind die Werte mit 57 bzw. 71 Stunden noch höher. Die Wunscharbeitszeit liegt dagegen nur bei 42 bis 44 Stunden. Drei Viertel der Befragten wollen zumindest eine Beschränkung der Dienstdauer auf 25 Stunden und der Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden. Je jünger die Ärztinnen und Ärzte sind, desto stärker ist dieser Wunsch. Die ebenfalls abgefragte Beschränkung auf 40 Wochenstunden mit Gehaltsreduktion wird zwar wenig goutiert, aber bei den Allgemeinmedizin-Turnusärztinnen und -ärzten können sich immerhin 40 Prozent (in der Steiermark) und sogar 49 Prozent österreichweit dafür erwärmen.
Die Ergebnisse, der in der Steiermark im Auftrag der Ärztekammer (Managementcraft) durchgeführten Studie, für die 925 Ärztinnen und Ärzte online befragt wurden, bestätigen das Bild. Fast zwei Drittel halten die Arbeitsbelastung für weniger oder gar nicht zumutbar, drei Viertel der Befragten hätten gerne mehr Zeit für Persönliches, 41 Prozent hätten lieber mehr Freizeit (und nur 18 Prozent würden mehr Gehalt vorziehen), mehr als ein Drittel ist der Meinung, dass in der derzeitigen Arbeitssituation mehr Freizeit aber gar nicht möglich ist …
Den Mythos, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Freizeit vorwiegend in Sanatorien verbringen, widerlegt wiederum die IFES-Umfrage: Nur 18 Prozent gehen einer Nebentätigkeit nach und 72 Prozent tun dies, weil sie dort die ihre Interessen befriedigen und Freude empfinden.
Drei Fragen an Ärztekammerpräsident Herwig Lindner
Veränderung: Das System verändert sich langsamer als die Menschen. Jahrzehntelang hat Selbstausbeutung zum Selbstverständnis im Arztberuf gehört. Aber jetzt ist Schluss. Das liegt daran, dass die Intensität massiv gestiegen ist. Oft arbeitet man im Nachtdienst genauso viel, wie in der regulären Arbeitszeit.
Gleichzeitig wollen Ärzte keine Menschen aus Eisen mehr sein. Ausgewogene Lebensqualität einzufordern, ist auch ein Teil der Professionalität.
Ärztemangel: Der Ärztemangel ist zwar politisch unerwünscht und wird so lange wie möglich ignoriert, aber Menschen und auch die Medien nehmen ihn bereits als sehr real wahr. Da muss die Politik von ihrer Ignoranz abgehen.
Frauen: Mehr Frauen im Beruf helfen uns. Es ist zwar ein patriarchalisches Bild, aber Frauen tun sich leichter, das Recht auf Familienleben einzufordern. Das nützt auch den Männern, die das Gleiche wollen.
Interview Martin Wehrschütz und Karlheinz Kornhäusl:
„Wir sind lösungsorientiert“
Angestellten-Kurienobmann Vizepräsident Martin Wehrschütz und Stellvertreter Karlheinz Kornhäusl wollen für den Arztberuf kämpfen.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Wehrschütz: Wenn jeder fünfte Arzt davon überzeugt ist, es nicht bis zum 65. Lebensjahr in der Tretmühle Spital auszuhalten, müsste ein Arbeitgeber eigentlich verzweifeln. Wir als Standesvertretung wollen gemeinsam mit der KAGes die Hebel finden, die zu einer raschen Verbesserung beitragen.
Kornhäusl: Wir Jungen lieben den Beruf, wir hassen aber, was er aus uns macht, nämlich Sklaven des Systems, die das Gute am Arztsein irgendwann nicht mehr spüren werden. Und dann können wir auch keine guten Ärzte für unsere Patienten sein.
Ums Geld geht es offenbar nicht?
Kornhäusl: Es geht immer um ein faires Einkommen, mit dem man frei von materiellen Sorgen sein Auskommen hat. Es geht nicht um Gewinnmaximierung.
Wehrschütz: Wenn bei den Industrie-Kollektivverträgen Erhöhungen von vier und mehr Prozent verhandelt werden, und in den Spitälern von Erhöhungen unter der Inflationsrate oder gar Nulllohnrunden die Rede ist, müssen Menschen, die so hart arbeiten, wie unsere Spitals¬ärzte, das als Verhöhnung empfinden. Aber es muss vor allem in Arbeitzufriedenheit investiert werden. Wenn Personalknappheit und Bürokratie die größten Probleme sind, dann gehören die als erste gelöst.
Finden Sie Verständnis dafür?
Wehrschütz: Ich denke, die KAGes sieht das sehr ähnlich. Aber sie braucht den Rückhalt der Politik. Die macht es sich aber einfach. Sie beschließt Kürzungen, verspricht gleichzeitig, dass alles wunderbar ist und lässt das Unternehmen mit den Problemen allein. Wenn es zu Arbeitszeitüberschreitungen kommt, ändert man lieber das Gesetz, als Missstände abzustellen. Stellen Sie sich vor, das würde in einer Papierfabrik passieren.
Welche Lösungen gibt es?
Wehrschütz: Das Unternehmen ist lösungsorientiert, wir sind es auch. Gemeinsam muss es möglich sein, den Eigentümer zur Besinnung zu bringen.
Kornhäusl: Ich könnte sagen, warten wir ab. In zehn bis 15 Jahren wird man jeden einzelnen Arzt in Gold aufwiegen, weil es nicht mehr genügend gibt. Aber so zynisch bin ich nicht. Wir kämpfen, weil wir nicht wegen des Goldes Ärzte geworden sind. Denken Sie an unsere Lehrpraxis-Petition. Da geht es ja nicht um’s Wohlfühlen, sondern darum dass wir das Beste aus unserer Ausbildung holen wollen.
Grafik: Conclusio
Fotos: Fotolia, Schiffer