Offener Brief zur Lehrpraxis
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister!
Sehr geehrte Damen und Herren im Ministerrat und in den Landesregierungen!
Ich schreibe Ihnen nicht als Bundesobmann der Turnusärztinnen und -ärzte, auch nicht als stellvertretender Kurienobmann der Angestellten Ärztinnen und Ärzte in Österreich und der Steiermark. Das bin ich nur geworden, weil ich Arzt bin. Ich schreibe Ihnen also als junger Arzt. Das ist mein Beruf, den ich auch als Berufung empfinde. Das klingt vielleicht kitschig, aber es ist so.
Ich gehöre zu den wenigen Ärzten, die das Glück haben, einen Teil ihrer Ausbildung in einer Lehrpraxis erlebt zu haben. Das hat mich ungemein bereichert. Ich bin überzeugt: Dadurch kann ich ein besserer Arzt sein. Natürlich ist die Ausbildung im Spital ungemein wichtig, aber sie ist nicht alles. Ich will eine komplette Ausbildung. Nicht nur für mich, nicht nur für wenige, sondern für alle jungen Ärztinnen und Ärzte.
Sie wollen das nicht, vielleicht wollen Sie es auch nur nicht genug. Oder es ist Ihnen egal. Es sollte Ihnen aber nicht egal sein. Warum? Nun, seit ich mich für Gesundheitspolitik interessiere (ja, ich bin ein politisch interessierter Arzt) höre ich von der Schnittstelle zwischen Spital und niedergelassenen Ärzten. Wie schwierig das ist. Was man alles machen muss.
Das Einfachste, das man machen kann, ist sicherzustellen, dass jede Ärztin und jeder Arzt beide Seiten hautnah erlebt und damit versteht. Fällt Ihnen etwas Einfacheres ein, das zu verwirklichen, als die Lehrpraxis? Mir nicht. Darum will ich sie.
Zweitens: Zehntausend niedergelassene Ärztinnen und Ärzte werden in den nächsten Jahren in Pension gehen. Sie werden Nachfolger brauchen. Wenn sie keine finden, brauchen wir über wohnortnahe Versorgung der Menschen und Landmedizin gar nicht mehr zu reden. Dann ist sie weg. Dann sind die politischen Sonntagsreden über den „best point of service“ nur mehr Makulatur. Dann ist die ganze Gesundheitsreform samt allen angeblichen Vorteilen für den Menschen nur mehr Gewäsch.
Deswegen will ich die Lehrpraxis. Und zwar jetzt. Denn die Ausbildung heute ist die Grundlage der Gesundheitsversorgung in zehn, fünfzehn Jahren. Ich weiß schon, Sie müssen an die Wahlen jetzt denken. Nicht an die Gesundheitsversorgung in einem oder zwei Jahrzehnten.
Aber seien Sie doch einfach egoistisch. In zwanzig Jahren sitzen sie eventuell nicht mehr in einer Regierung, dem Parlament oder einem Landtag. Dann werden Sie möglicherweise am Land leben. Und dann hätten Sie gerne eine Hausärztin, einen Hausarzt.
Jetzt können Sie etwas dafür machen. Ganz einfach. Kostet weniger als eine neue Medizin-Uni. Viel weniger.
Machen Sie die garantierte Lehrpraxis von zwölf Monaten möglich. Damit eines der besten Gesundheitssysteme der Welt (den Satz habe ich von Gesundheitsminister Stöger entlehnt) nicht länger die armseligste Ausbildung für Ärztinnen und Ärzte in Europa hat.
Ihr
Karlheinz Kornhäusl