Gute Daten, böse Daten

Weil zwei beamtete deutsche Datenschützer Streit hatten, erlebte Österreich eine bizarre Datenschutzdiskussion. Fakten spielten dabei eine eher bescheidene Rolle. Das Protokoll eines behaupteten Skandals.

Von Martin Novak

Am Anfang stand eine fachliche Auseinandersetzung zwischen Thilo Weichert, dem Datenschutzbeauftragten in Schleswig-Holstein, und seinem bayrischen Kollegen Thomas Kranig. Ersterer bestritt, dass Verschreibungsdaten von einem deutschen Apothekenzentrum ausreichend anonymisiert worden waren und sprach im SPIEGEL Online von einem „der größten Datenskandale der Nachkriegszeit“. Kranig sah es völlig anders und teilte in einer Presseaussendung mit, das (zuständige) bayrische Landesdatenschutzamt habe „keine datenschutzrechtlich unzulässigen Datenverarbeitungen (…) festgestellt“. Und an die Adresse seines norddeutschen Kollegen gerichtet, wetterte der Bayer: „Es ist traurig, wenn Datenschützer durch das Werfen von Nebelkerzen  (…) das Vertrauen der Patienten in ihre Apotheken untergraben und sich selbst dabei so verhalten, dass sie ihre Rechtsauffassung nur über die Medien und nicht durch Erlass von Bescheiden zum Ausdruck bringen, und sich dadurch einer gerichtlichen Kontrolle zu entziehen versuchen.“

Als die Österreich-Repräsentantin von IMS Health, Erika Sander, in einem Radio-Interview sagte, dass in Österreich 350 Ärzte und 280 Apotheken (sowie Anstaltsapotheken von Krankenhäusern) dem Unternehmen Daten zur Verfügung stellen, stürzten sich heimische PolitikerInnen, KassenvertreterInnen und Medien auf das Thema, riefen nach dem Staatsanwalt und drohten Vertragsärzten mit möglicher Kündigung.

 

Statistik ist notwendig

Dass die Weitergabe vollständig anonymisierter Daten datenschutzrechtlich unbedenklich ist, wie auch die Datenschutzkommission beim Bundeskanzleramt im Vorjahr der Ärztekammer auf Anfrage mitgeteilt hatte, fiel fast vollständig unter den Tisch. Dass die Daten des weltweit agierenden Marktforschungsinstituts (siehe unten „Die Marktforschungsmaschine“) auch von öffentlichen Spitälern und der Gesundheit Österreich GmbH des Bundes genutzt werden, blieb weitgehend unbeachtet. Lediglich die vorwiegend von Fachleuten gelesene Zeitschrift Medianet berichtete ausführlich.

Einige Planer und Ökonomen, darunter der Geschäftsführer des steirischen Gesundheitsfonds, Harald Gaugg, und der ansonsten von den Medien gerne gefragte Ernest Pichlbauer, erhoben zwar warnend ihre Stimmen, wurden aber kaum gehört. „Wir arbeiten mit Daten über Belagsdauer und -dichte, über OP-Methoden, Verbrauchsgüter wie Medikamente und natürlich mit Finanzdaten“, sagte Gaugg in der Kleinen Zeitung. Der Gesundheitsminister sei „glücklich, im Wahlkampf ein Thema zu haben“. In dieser aufgeheizten Atmosphäre sei keine seriöse Debatte zu führen, bilanzierte Pichlbauer resignierend im Standard.

Und der SPIEGEL? Widmete dem Top-Thema in der Woche darauf keine Zeile mehr. Dafür gab es in der gedruckten Ausgabe neue Enthüllungen über Abhörskandale beim US-Geheimdienst NSA …

 

IMS: Die Marktforschungsmaschine

200 Milliarden Dollar könnte sich das US-Gesundheitssystem durch den verantwortungsvolleren Umgang mit Medikamenten ersparen, sagt ein im Juni 2013 erschienener Report. Dahinter steckt IMS Healthcare, jenes Unternehmen, das nun in Deutschland und Österreich in die Kritik geraten ist.

Gegründet wurde das US-amerikanische Spezialunternehmen für Marktforschung im Pharmabereich 1954. „1969 wurde IMS Health zum Gold Standard für pharmazeutische Marktforschung in Europa und Asien“ vermeldet die Unternehmenschronik stolz. 1988 kaufte ein noch größerer Fisch – D&B, das auch hinter der Nielsen Media Research steckt – den etwas kleineren, und zwar um 1,7 Milliarden Dollar. Von 1998 bis 2009 notierte IMS Health an der New Yorker Börse. Bis es von einer Investorengruppe übernommen wurde, um 6 Milliarden Dollar.

Nach eigenen Angaben operiert IMS in mehr als 100 Ländern, zahlreiche Unternehmensakquisitionen fanden im Lauf der fast 60-jährigen Firmengeschichte statt. Kunden sind Pharmaunternehmen, aber auch Regierungen und staatliche Gesundheitsagenturen.

Nach eigenen Angaben verfolgt IMS die Marktentwicklung für 1,4 Millionen unterschiedliche pharmazeutische Produkte und deckt damit 80 Prozent der weltweiten Pharma-Umsätze ab. Die Daten kommen von mehr als 260 Millionen anonymisierten PatientInnen.

Fotocredit: Fotodienst/Anna Rauchenberger

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