„Immer die bestmögliche Versorgung“

Seit Anfang November ist die Juristin Verena Nussbaum neue Obfrau der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse. Sie lehnt Selbstbehalte ab und rechtfertigt Ärzteabschlüsse unter der Inflationsrate. Betriebliche Gesundheitsförderung ist ihr Schwerpunkt.


Von Martin Novak


AERZTE Steiermark: Sie waren bisher schon im Vorstand der GKK. Sie wollen, haben Sie in einer ersten Stellungnahme gesagt, die erfolgreiche Arbeit fortsetzen. Sie werden aber sicher auch eigene Akzente setzen wollen. Was hat denn da die höchste Priorität?
Nussbaum: Grundsätzlich ist die Gesundheit unser höchstes Gut, wir wollen sie erhalten. Darum habe ich von Anfang an gesagt, dass mir Prävention ein besonderes Anliegen ist – vor allem die betriebliche Gesundheitsförderung.

Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse konnte 2012 laut Jahresbericht das beste Finanzergebnis ihrer Geschichte verbuchen. Sie ist schuldenfrei und verbucht Rücklagen. Für ein privatwirtschaftliches Unternehmen wäre das ein Grund zum Jubel für die Aktionäre. Aber was haben Ihre Stakeholder, die Versicherten, davon?
Nussbaum: Die Versicherten haben die Garantie, dass ihre Versorgung weiter gewährleis¬tet bleibt. Wir haben ja auch den Konsolidierungskurs nie auf Kosten der Versicherten durchgeführt, sondern in anderen Bereichen Einsparungen getätigt. Für die Versicherten ist sogar immer eine Mehrleistung möglich gewesen.

Konkreter: Die Beitragseinnahmen sind um rund 4,7 Prozent gestiegen, die Aufwendungen für die Krankenbehandlung um 2,3 Prozent …
Nussbaum: Man kann das System der Sozialversicherung nicht nach dem Prinzip „Was zahle ich ein, und was bekomme ich heraus“ bewerten. Die Stärke unseres Systems liegt ja darin, dass die Versorgung unabhängig vom sozialen Status, vom Alter und vom Geschlecht gewährleistet ist. Es gibt immer die bestmögliche Versorgung. Das zeichnet uns in Öster¬reich generell aus.

Die Vertragsärzte haben zuletzt eine Tariferhöhung von 1,78 Prozent akzeptiert. Also unter der Inflationsrate. Wollen Sie das wiederholen?
Nussbaum: Auch wenn es einen Abschluss unter der Inflationsrate gab, haben die Ärzte dennoch um sieben Millionen Euro mehr bekommen als 2011. Das ist ein neues Rekordergebnis. Wichtig ist aber eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Versorgung.

Wie würden Sie antworten, wenn in den nächsten Verhandlungen gesagt würde „das Angebot ist eine Pflanzerei und bedeutet Verlust. Es gab in der Geschichte der zweiten Republik noch nie eine derartige Provokation?“  So ähnlich haben die Metallgewerkschafter im Oktober argumentiert.
Nussbaum: Wenn man das auf die Metallerverhandlungen bezieht, ist das eine Momentaufnahme. Als diese Aussage fiel, gab es ja noch keinen Abschluss. Im Zuge der Verhandlungen ist es üblich,  die Positionen abzustecken, bevor man zu einem Ergebnis kommt.

Kommen wir zur Prävention. Für präventive Maßnahmen  wurden im Vorjahr 1,08 Prozent ausgegeben. Das ist der geringste Einzelposten bei den Versicherungsleistungen. Wie wollen Sie das verändern?
Nussbaum: Nicht alles, was teurer ist, ist auch mehr wert. Da kann man sehr viel im Vorfeld abdecken. Die betriebliche Gesundheitsförderung hat 2005 mit sieben Unternehmen begonnen. Inzwischen sind es 108. Da gibt es auch dann ein großes Potenzial, wenn man die Kosten nicht exorbitant erhöht.

In der Vergangenheit hat man immer wieder gehört, dass Prävention und Gesundheitsförderung nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen gehören. Muss man das ASVG ändern?
Nussbaum: Da muss man unterscheiden: Die Vorsorgeuntersuchung ist sehr wohl eine Pflichtleistung. Die Gesundheitsförderung hingegen ist eine Pflichtaufgabe, auf die es keinen Rechtsanspruch der Versicherten gibt. Das ASVG als gesetzliche Basis ist ein Faktum, in diesem Rahmen wollen wir uns möglichst gut bewegen.

Wo liegen Ihre inhaltlichen Schwerpunkte in der betrieblichen Gesundheitsförderung?
Nussbaum:  Die Dienstgeber sind hier in die Pflicht zu nehmen, um einen weiteren Ausbau zu ermöglichen.

Was bedeutet „in die Pflicht nehmen“?
Nussbaum: Dass man ihnen die Vorteile und den Nutzen der betrieblichen Gesundheitsförderung noch näher bringt.

Man könnte sie also zu Maßnahmen verpflichten?
Nussbaum:  Nein. Aber heutzutage muss alles messbar sein. Viele Unternehmer haben noch nicht erkannt, dass betriebliche Gesundheitsförderung auch ihnen großen Nutzen bringt. Es geht um Bewusstseinsbildung und darum, gute Beispiele auch im Marketing zu nutzen.

Ist für Sie ein Anreizsystem denkbar, wie es die SVA installiert hat? Menschen werden für einen gesunden Lebensstil finanziell belohnt?
Nussbaum: Das geht eher in Richtung einer Privatversicherung und ist abzulehnen.

Ihre generelle Position zu Selbstbehalten?
Nussbaum: Das ist für uns kein Thema. Die SVA bestraft mit diesem Modell ja auch das Kranksein.

Beim Mamma-Screening gab es zuletzt keine Einigung. Rechnen sie damit, dass sie bis zum 1. Jänner gelingt? Was wollen Sie dafür tun?
Nussbaum: Nachdem ich bei den ersten Verhandlungen nicht dabei war, will ich mich da noch nicht festlegen. Wünschenswert wäre eine Einigung natürlich.

Stichwort Gesundheitsreform: Wie zufrieden sind Sie mit dem Bundeszielsteuerungsvertrag?
Nussbaum: Ganz sicher ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir uns ab- und angleichen müssen, um die bestmögliche Versorgung zu schaffen.

Und wie zufrieden sind Sie mit dem Fortgang bei der Landeszielsteuerungsvereinbarung?
Nussbaum: Die Zusammenarbeit ist gut und konstruktiv, das Resultat kann sich sehen lassen.

Ein Stichwort ist „best point of service”. Was verstehen Sie darunter? Im Gesetz und in den Vertragswerken wird das ja nicht sehr genau erläutert.
Nussbaum: Das heißt, dass die Versicherten den besten Ansprechpartner auf medizinischer Ebene in ihrer Umgebung finden – und zwar losgelöst davon, ob es ein Spital, ein niedergelassener Arzt oder ein Ambulatorium ist.

Welche Rolle spielt die Nähe? Vor allem Gemeinden wünschen sich ja immer wieder die Ärztin, den Arzt im Ort. Sind solche Wünsche aus Ihrer Sicht erfüllbar? Was sagen Sie etwa den Eisenerzern, die dazu kürzlich eine öffentliche Diskussion veranstaltet haben?
Nussbaum:  Wünsche wird es immer geben. Man muss aber sehr genau schauen, wie das Preis-Leistungsverhältnis aussieht. Sprich: Was ist für die Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung, was ist für das Gesundheitssystem verkraftbar? Hier muss man einen Ausgleich finden. Generell sind wir in der Steiermark bei den Allgemeinmedizinern gut aufgestellt.

Und bei den Fachärzten?
Nussbaum: Bei den Fachärzten muss man die Frage stellen, ob ein niedergelassener Arzt erforderlich ist, oder ob man die Versorgung mit Spitalsambulanzen abdecken kann. Aus meiner Sicht muss man sich das immer im Detail anschauen.

Wenn sich bei den Kassenärzten nichts tut, gehen die Leute verstärkt zu Wahlärzten. Die GKK hatte 2012 laut Jahresbericht mehr als 500.000 Einreichungen von Wahlarztrechnungen zu bewältigen. Ist eine weitere Steigerung wünschenswert? Schließlich ist das ja nicht unattraktiv für die GKK.
Nussbaum: Das ist auch für die Wahlärzte nicht unattraktiv …

Ist die hohe Beteiligung der Wahlärzte an der Grundversorgung wünschenswert für die Kasse?
Nussbaum: Das muss man sich bei der Beurteilung der „best points of service“ anschauen. Macht es Sinn, die wahlärztliche Versorgung in dieser Form beizubehalten oder auszubauen, macht es Sinn, mehr Kassenstellen zu schaffen, macht es Sinn, in Ambulanzen zu gehen … das muss man sehr genau durchrechnen.

Wie viele Wahlarztrechnungen werden gar nicht eingereicht, weil sich die Leute sagen, dass es sich gar nicht lohnt?
Nussbaum: Die Frage ist interessant, es gibt aber keine Möglichkeiten, das zu erheben.

Es gibt ja nicht nur im ärztlichen Bereich Klagen. Die Psychotherapeuten sagen, dass die Kontingente für die Kassenpsychotherapie viel zu gering sind. Menschen, die eine Ergotherapie brauchen und sie nicht selbst bezahlen können, wechseln in benachbarte Bundesländer. Irgendwer muss also den Preis für ein herausragendes Finanzergebnis bezahlen.
Nussbaum: Da wird es sicher Bewegung geben, um diesen Bedürfnissen der Bevölkerung nachkommen zu können.

Letzte Frage: Gruppenpraxen bzw. Ärztegesellschaften. Bis wann werden sich die Rahmenbedingungen so verändern, dass es davon eine größere Zahl im kassenärztlichen Bereich gibt?
Nussbaum:  Da gibt es gewisse Auffassungsunterschiede. Das steckt noch in den Kinderschuhen, man wird darauf aber in Zukunft verstärktes Augenmerk legen müssen.


 

Fotocredit: Schiffer

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