Der Berg ruft
Als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist Hannes Pichler besonders um Mütter und deren Babies in einem besonderen Lebensabschnitt bemüht. Als experimentierfreudiger Schi-Bergsteiger und Buchautor sind ihm kreative, selten oder noch nie befahrene Extrem-Schitouren ein Anliegen.
Von Reinhard A. Sudy
„Soweit es der Beruf zuließ, gingen unsere Eltern an den Wochenenden mit uns Kindern wandern. Uns machte es Spaß, und wir sammelten mit Begeisterung Wandernadeln und Abzeichen“ schildert Hannes Pichler den Anfang einer wachsenden sportlichen Leidenschaft. Seine Begeisterung fürs Bergsteigen führt er auf seinen Großvater zurück. Der einstige Bergknappe besuchte mit 65 Jahren einen Kletterkurs und begann dann mit einer alten Kamera Bergfilme zu drehen, die er mit Volksmusik vertonte und seinen Enkelkindern vorführte. Die¬se waren fasziniert: „Es hat uns schon wahnsinnig beeindruckt, als er mit 67 Jahren seine Dachstein-Südwand-Besteigung selbst filmte und uns bei Wanderungen die ersten Kletterschritte und das Anlegen eines Klettergurtes zeigte.“
Mit 18 Jahren wurde Pichler zu einer internationalen Tagung nach Chamonix mitgenommen, bei der Experten aus aller Welt über Sicherheits-Standards im Bergsport diskutierten. „Die eindrucksvollen Touren dort haben mich sicher geprägt“ ist der Bergsportler überzeugt, der zumeist mit seiner Lebensgefährtin Sabine auf Berg- und Schitouren unterwegs und vom Reiz neuer, extremer Schitouren fasziniert ist.
„Trotz aller Erfahrungen und Vorsicht habe ich schon Situationen erlebt, wo sich Begleiter verletzt haben. Ich selbst blieb bisher Gott sei Dank verletzungsfrei.“ Dramatisch war aber ein Lawinenunfall im Gebiet des Bösensteins, bei dem Pichler gemeinsam mit seinen vier Begleitern verschüttet wurde. Zwei der Verunglückten, darunter Pichler selbst, konnten sich rasch selbst aus den Schneemassen befreien. „Ich war zwar auch vollkommen verschüttet, muss aber ganz knapp unter der Schneedecke gewesen sein, als die Lawine zum Stillstand kam“, erinnert er sich sehr nachdenklich: „Aus meiner Kauerstellung heraus reichte es, einmal kräftig anzudrücken, um wieder an die Oberfläche zu kommen. Wir haben dann die Bergrettung verständigt, konnten die anderen drei aber ausgraben, bevor die Bergrettung eintraf. Einer war zwar nur teilweise verschüttet aber so vom Schnee ‚einbetoniert‘ gewesen, dass er sich nicht bewegen oder gar selbst befreien konnte. Die beiden anderen konnten wir mit Hilfe des LVS-Gerätes auch finden und noch rechtzeitig ausgraben“.
Unmittelbar danach hat Pichler mit Schitouren weitergemacht: „Aber mit einem ungeheuren Respekt, der bis heute geblieben ist. Ich bin noch viel vorsichtiger geworden und habe mich intensiv weitergebildet.“ Wenn Pichler heute allein unterwegs ist, hat er nicht nur sein LVS-Gerät bei sich, sondern auch einen zwei bis drei Kilogramm schweren Lawinen-Airbag. Der soll helfen, bei einem Lawinenunfall nicht verschüttet zu werden, sondern an der Oberfläche zu bleiben.
„Einmal meinte mein Bruder, der ein ziemlicher Draufgänger ist, wir sollten unsere Erfahrungen mit Schitouren jeder Art in einem Buch zusammenfassen“, erinnert sich Pichler. Etwa zwei Jahre vor dem Erscheinungstermin seines Führers im Dezember 2012 hat sich diese Idee so richtig entwickelt und „ich habe quasi eine Bestandsaufnahme von klassischen und extremen Routen gemacht und mit meinem Bruder Michael und seinem Jugendfreund Peter ausführlich zu recherchieren begonnen“, schildert Pichler die Vorbereitungsarbeiten. Entstanden ist ein Guide für Steilhangspezialisten und für Normaltourengeher, der Steilwände und Normalanstiege auf zahlreiche Gipfel in der Steiermark, in Niederösterreich und Salzburg detailliert beschreibt, darunter fast vergessene oder noch nie publizierte Anstiege und Abfahrten. „Von den extremeren Schitouren macht mir die Reichenstein-Nordost-Rinne immer viel Spaß. Sie ist sehr schön, anspruchsvoll, und oft liegt hier bis in den Mai hinein Schnee“, verrät Pichler. Einmal die Eiger Westflanke zu befahren, ist sein eigener sportlicher Traum. Und für eine zweite Auflage des Buches, mit dem Schwerpunkt Steiermark und neuen Abfahrten, hätte er bereits Ideen.
Studienjahre
Bei dem früh geweckten Interesse an Wanderungen, Bergsteigen und Schitouren wundert es nicht, dass Pichler zuerst an der Wiener Universität für Bodenkultur mit dem Schwerpunkt Wildbach- und Lawinenverbauung zu studieren begann. Seine Erfahrungen als Kind mit den Nacht- und Wochenend-Diensten seines Vaters, damals Internist am LKH Bruck, sprachen eher gegen ein Medizinstudium, von dem ihm sein Vater abgeraten hat. Dennoch wechselte Pichler drei Jahre später an die Med-Uni Wien. „Ich dachte mir eigentlich schon mit 18 Jahren: Medizinstudium, das wär’s, und ich würde auch heute nichts anderes als Medizin studieren, obgleich mich die Physiotherapie sehr interessiert.“ Nach dem ersten Studienabschnitt ging es von Wien nach Graz. „Knapp vor Abschluss meiner Turnusärzte-Ausbildung habe ich das Angebot für eine Facharzt-Ausbildungsstelle an der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des LKH Leoben erhalten“, so Pichler, der dann seine Facharzt-Ausbildung am LKH Rottenmann abschloss.
Dort schätzt der erste Oberarzt als Leiter der Pränataldiagnostischen und Geburtshilflichen Ambulanz und Stellvertreter von Primarius Peter W. Klug die große Eigenverantwortung seiner Arbeit, die sehr persönliche Betreuung der Patientinnen und die unmittelbare Kommunikation mit den KollegInnen anderer Abteilungen.
Da muss die Zeit für Familie und Hobby gut eingeteilt werden. Da die beiden Kinder Magdalena und Felix aus seiner ersten Ehe sich wunderbar mit den Kindern Jakob und Johannes seiner Lebensgefährtin vertragen, werden freie Wochenenden und Urlaube häufig gemeinsam verbracht: „Da wird das Auto für alle sechs schon sehr eng“, lacht Pichler.
Michael Pichler, Hannes Pichler, Peter Kolland: Ski Extrem Guide, Steilwände und Normalanstiege auf 78 Gipfel in der Steiermark, Niederösterreich und Salzburg. Alpinverlag.
Bild: Der Berg ruft © Pichler.jpg