Qual-ität

Einfach im Internet nachschauen und wissen, in welchem Krankenhaus oder bei welchem niedergelassenen Arzt man bei einer bestimmten Diagnose am besten aufgehoben ist. Das wünschen sich PatientInnen. Die österreichische Gesundheitsplanung scheint nicht weit weg davon, diesen Wunsch erfüllen zu wollen. Ob sie es in ausreichender Qualität kann, ist allerdings sehr zweifelhaft.

Von Martin Novak

Es gibt keine Evidenz dafür, dass die Empfehlung, auf beide Seiten zu schauen, bevor man die Straße überquert, die Zahl der Verkehrstoten reduziert“. Mit diesem absichtlich absurden Beispiel erklärt R. Scott Braithwaite vom Department für Volksgesundheit der School of Medicine an der Universität New York die Abgründe der evidenzbasierten Medizin (EBM). Tatsächlich sei die Behauptung richtig, weil bis dato niemand die Evidenz überprüft habe, so Braithwaite im Journal of the American Medical Association (JAMA; Nr. 310, 27. 11. 2013).

Niemals wäre EBM so gemeint gewesen, dass Erfahrung und Intuition als Grundlage medizinischer Behandlungen ausgeschlossen seien, die EBM-Experten würden sie nur so interpretieren. EBM müsse den Stand der verfügbaren Evidenz-Daten klar kommunizieren, statt Mängel hinter der gefährlichen Phrase „There is no evidence to suggest that …“ zu verbergen, schreibt der Mediziner in seinem Essay.

Die (mangelnde) Qualität der grundlegenden Daten ist generell das Dilemma in der medizinischen Qualitätssicherung. Das gilt ganz besonders für die Ergebnisqualität. „Man versucht, etwas messbar zu machen, das nur begrenzt greifbar ist“, sagt Eiko Meister, Präsidialrefer¬ent für Qualitätssicherung in der Ärztekammer Steiermark. Grundsätzlich sei es gut, „die Outcome-Qualität zu messen“, betont Meister, man müsse allerdings über die Qualität der Basisdaten diskutieren. LKF-Daten seien oft ungenau, aber genau diese LKF-Daten sind die Grundlage des im November vorigen Jahres A-IQI-(Austrian Impatient Quality Indicators)-Berichts an die Bundeszielsteuerungskommission. Dass dies nicht unproblematisch ist, wird im Bericht selbst eingeräumt: „Angemerkt wird, dass die Daten zum Teil verzerrt sein können, da sie für den Zweck der Abrechnung erhoben werden und dementsprechende Anreize bei der Dokumentation auftreten können.“

Das ist kein österreichisches Problem. In einem im April 2013 im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Artikel schreiben Maria Eberlein-Gonska (Universitätsklinikum Dresden, Qualitäts- und Medizinisches Risikomanagement) und Oda Rink (IQM – Initiative Qualitätsmedizin), dass in nur 35 Prozent aller seit 2009 durchgeführten Review-Verfahren „die Dokumentation einigermaßen zufriedenstellend“ gewesen sei.

Brandgefährlich
Solange Vergleichsdaten nur anonymisiert zur Verfügung stehen und in Peer-Review-Verfahren analysiert werden, haben Mess- und Datenfehler nur begrenzte Auswirkungen und können objektiv diskutiert werden.

Anders ist die Situation, wenn aus den Daten öffentliche Spitals-Rankings generiert werden, wenn sich also PatientInnen im Internet kundig machen wollen, in welchem Krankenhaus sie bei einer bestimmten Diagnose am besten aufgehoben sind. Der Wunsch danach ist verständlich, auch Medien gieren nach solchen Rankings. Und auch die Anbieter selbst wollen ihre Qualität darstellen: „Die Erkenntnis, dass Qualität zu einem Wettbewerbsfaktor im Gesundheitswesen geworden ist, hat sich in den letzten Jahren verfestigt“, meinen Eberlein-Gonska und Ring im vorher zitierten Artikel. Marketing-Ambitionen, wissenschaftliche Redlichkeit und ärztliches Ethos sind (nicht immer ganz leicht) in Einklang zu bringen.

Gleiches mit Gleichem
Denn Rankings haben ihre Tücken: Unterschiedliche Patientenstrukturen (Alter, allgemeiner Gesundheitszustand etc.) werden in den Daten nicht berücksichtigt, andere wesentliche Informationen, wie Wiederaufnahmen (die auf Komplikationen hinweisen können) oder OP-Zeiten stehen teils gar nicht zur Verfügung. „Gleiches muss mit Gleichem verglichen werden“, sagt Meister, also die Universitätsklinik mit der Universitätsklinik  und das kleine periphere Haus mit ähnlichen Spitälern“. Über Rankings die Finanzierung zu regeln, sei angesichts der aktuell vorhandenen Werkzeuge und Daten „brandgefährlich“, warnt Meister.

Auch flexible Leitlinien, die rasch an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können, hält er für notwendig. „Stattdessen schreibt man bei uns Qualität in ein Gesetz“, sagt der Qualitätsfachmann. „Bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen ist die Transparenz betreffend Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gegen¬über den Patientinnen und Patienten auf deren Nachfrage zu gewährleisten“, heißt es in diesem seit 2005 rechtskräftigen Gesundheitsqualitätsgesetz.

Und was ist transparenter als ein Ranking, das ein Patient schnell im Internet aufruft, um zu entscheiden, wo er seine Hüfte operieren lassen will? Dass das „beste“ Krankenhaus vielleicht keine PatientInnen aufnimmt, die älter als 70 sind, wird ihm dabei kaum auffallen. Was nach schöner, neuer Welt klingt, ist im österreichischen Spitalskompass bereits ein Stückchen Realität. Dort kann man etwa nachlesen, dass gemeinnützige steirische Spitäler im Jahr 2012 zwischen einer und 374 Leukämie-Aufnahmen mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer zwischen drei und 23 Tagen und einem durchschnittlichen Alter der PatientInnen zwischen 48 und 81 Jahren ausweisen.

Noch problematischer könnte es werden, wenn der Ausweis der Ergebnisqualität auch auf den niedergelassenen Bereich übergreift, wo es derzeit noch keine Daten gibt, solange die ICD 10-Codierung nicht implementiert ist: „Es ist völlig unklar, wie man die Qualität im niedergelassenen Bereich misst“, sagt Meister. Wie man willkürlich mit unterschiedlichen Parametern zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, zeigen die zwei euro¬päischen System-Rankings, die im Herbst 2013 veröffentlicht wurden (siehe AERZTE Steiermark 1/2014): Bei einem landete Österreich am ersten, beim anderen auf dem zwölften Platz …

Webtipps:
http://www.spitalskompass.at/
http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/CurrAerztlPeerReview2013.pdf
http://www.initiative-qualitaetsmedizin.de/

 

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