Rollenspiele

Die großen Krankenanstalten sollen als erste ELGA nutzen. Dafür baut man in der Steiermark und anderswo technisch anspruchsvolle ELGA-Bereiche auf. Und muss sich mit grundlegenden, aber sehr konkreten Fragen befassen: Wer darf was? Wie wird aufgeklärt? Wie geht man mit dem „situativen Widerspruchsrecht“ der Patientinnen und Patienten um?

Von Martin Novak

ELGA ist angekommen. Noch als Hülle ohne Befüllung. PatientInnen können vorerst nur ihr Ausstiegsrecht wahrnehmen (wenn sie die technischen und administrativen Hürden bewältigen). Vor allem in den großen Krankenhausverbünden wird aber fieberhaft an technischen Lösungen gearbeitet, damit Patientendaten aus den bestehenden Krankenhausinformationssystemen ab 2015 rechtskonform in das ELGA-System wandern können.

Keine geringe Herausforderung: „Manche haben noch keine Idee, wie sie damit umgehen werden“, sagt Michael Wiltschnegg, gemeinsamer, österreichweiter ELGA-Projektleiter für die Ordenskrankenhäuser der Barmherzigen Brüder und Schwestern. Aber was heißt umgehen? In erster Linie Krankenhausverbünde und Spitalsgesellschaften, wie die KAGes, aber auch Krankenversicherungen, wie die AUVA, bauen an ELGA-Bereichen (so genannten Affinity Domains), mächtigen Knotenpunkten, auf denen zwar nicht unbedingt die unmittelbaren Patientenakten liegen müssen, aber jedenfalls alle Informationen, die erforderlich sind, um zu diesen Daten zu gelangen. Zehn bis zwölf wird es letztendlich in Österreich geben, meint Werner Leodolter, der als ehemaliger KAGes-Vorstandsvorsitzender und langjähriger IT-Fachmann den Aufbau des ELGA-Bereichs Steiermark vorantreibt.

 

Aufklärung

Wie komplex die Herausforderungen sind, lässt sich am besten von der Anwenderseite her erklären. Ein Arzt in der Abteilung eines steirischen Landeskrankenhauses gibt Daten in das KAGes-System openMEDOCS ein. Nicht alle diese Daten sind aber für ELGA vorgesehen. Im Standardfall sollte das System das wissen. Das ELGA-Gesetz sieht aber auch die Möglichkeit des „situativen“ Widerspruchs vor. Ein Patient, bei dem eine bipolare affektive Störung diagnostiziert wird, kann darauf bestehen, dass diese Information in seiner elektronischen Gesundheitsakte nicht aufscheint. Das gilt nicht nur für psychische Erkrankungen. „Über dieses Recht ist der ELGA-Teilnehmer/die ELGA-Teilnehmerin insbesondere bei ELGA-Gesundheitsdaten, die sich auf a) HIV-Infektionen, b) psychische Erkrankungen, c) Daten gemäß § 71a Abs. 1 GTG oder d) Schwangerschaftsabbrüche beziehen, zu informieren“, heißt es etwas vage im ELGA-Gesetz. Denn: „Insbesondere“ bedeutet nicht „ausschließlich“ … Und wie handhabt man die Eintragung einer an einer Diagnose hängenden Medikation, wie geht man mit PatientInnen um, die einen Sachwalter in medizinischen Belangen haben?

In der Projektentwicklung gibt es daher einen Fokus auf die Patientenaufklärung. Beim EGOR-Projekt (der Elektronischen Gesundheitsakte der Ordenseinrichtungen) will man alle technischen Voraussetzungen für die Patientenfreigabe bis auf die Befundebene schaffen. In der KAGes will man die Aufklärung auf den Ambulanz- und Aufnahmebereich konzentrieren und mit Aushängen arbeiten, um so den zusätzlichen Verwaltungsaufwand für Ärztinnen und Ärzte in Grenzen zu halten. Wie das genau gehen soll, wird aber offenbar noch diskutiert: Die Details seien im Projekt zu klären, heißt es bei der KAGes.

 

Rollen

Herumschlagen muss man sich auch mit der genauen Rollendefinition derer, die grundsätzlich auf ELGA-Daten zugreifen bzw. ELGA mit ihren Daten füttern dürfen. Die mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretene Gesundheitstelematik-Verordnung listet einen Katalog von 23 Personenrollen (Ärztin/Arzt für Allgemeinmedizin bis KardiotechnikerIn) und 32 Organisationsrollen (von „allgemeinen Krankenanstalten“ bis „IKT-Gesundheitsservice“) auf und sieht ausdrücklich vor, dass noch weitere hinzukommen. Für alle sind unterschiedliche Berechtigungen zu definieren – so wird ein Heilmasseur vielleicht keine Medikamenteninformationen, aber sehr wohl die über den Status des Bewegungsapparats benötigen.

 

Nutzen

Die technisch noch anspruchsvollere Herausforderung wird es sein, die Daten nutzbar zu machen. Dass nur vom menschlichen Auge lesbare PDF-Dateien keine brauchbare Lösung darstellen, ist allen Beteiligten klar, aber noch vielfach die Realität. Der Medizininformatiker und eHealth-Beauftragte des Landes Steiermark, Karl Peter Pfeiffer, denkt an die Möglichkeit, aus Freitext-Dokumenten Daten zu extrahieren und hält einheitliche Standards in der medizinischen Dokumentation für „ganz wichtig“. Das betrifft die medizinische Terminologie (Stichwort ICD-10), die Formalisierung bei der Eingabe (Datenfelder statt freier Textierung) und die maschinelle Verarbeitbarkeit (siehe „Datenaustausch medizinischer Dokumente“, Seite 24). „Lieb gemeinte Krankengeschichten“ (Pfeiffer) sollen also bald der Vergangenheit angehören, an deren Stelle soll eine Industrienorm für klinische Informationssysteme treten.

Der Wiener Arzt Andreas Oswald, der für die Barmherzigen Brüder in der einschlägigen ELGA-Arbeitsgruppe mitarbeitet, setzt auf ein strukturiertes „Patient Summary“, das es jedem Behandler erlaubt, sich rasch einen Überblick der zentralen Informationen zu beschaffen. Doch was ein Dermatologe zu Recht als „wichtig“ einstuft, ist für einen Internisten, der denselben Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt behandelt, zumindest in der akuten Situation nicht wirklich relevant. Oswald hält ein Dreistufenmodell, wie es die BHB praktizieren, für sinnvoll: Dauerdiagnosen, aktuelle Diagnosen/Status ex post und „interessante, aber nicht wichtige Diagnosen“.

 

Zentral

Die letzte Frage führt in den extramuralen Bereich und zu kleinen stationären Einrichtungen, für die sich ein eigener ELGA-Bereich wirtschaftlich nicht rechnet: Dort wird es kaum möglich sein, darüber sind sich alle IT-Fachleute einig, die Daten, die auf den Computern niedergelassener Ärzte, aber auch andere Health Care Professionals liegen, permanent für ELGA-Abfragen verfügbar zu halten. „Ein Physiotherapeut wird die Daten hoffentlich nicht auf seinem privaten Notebook bereithalten“, meint Pfeiffer. Er setzt auf „sichere Systeme“: Dazu gehören große Praxissoftware-Anbieter. Oder eben die ELGA-Bereiche, die neben der Registrierungsinformation auch gleich die gesamten Daten rechtskonform lagern könnten. Die KAGes denkt daran, das anzubieten, EGOR könnte Krankenhäusern, wie dem St. Anna Kinderspital oder dem Hartmannspital in Wien, elektronischen Unterschlupf gewähren. Letztendlich werden „wenige zertifizierte Anbieter“ übrigbleiben, ist Pfeiffer überzeugt. Das relativiert einen der wichtigsten Pluspunkte, die ELGA für sich in der Datenschutz-Diskussion in Anspruch nimmt; die dezentrale Speicherung der Daten.

 


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