„Ein großer Schatz“
Richard Pichler ist Turnusarzt. Vielleicht wird er Priester. Vielleicht Psychiater. Was ihn treibt, ist die Sehnsucht zu verstehen, wie der Mensch heil werden kann.
Es hat als ganz normaler Lebensweg begonnen, der nicht ganz gewöhnlich weiterging: Das Medizinstudium hat Richard Pichler vom oberösterreichischen Aschach an der Donau nach Graz gebracht. Die „Sehnsucht zu verstehen, wie der Mensch ‚heil‘ werden kann“, hat ihn nach Abschluss dieses Studiums dazu motiviert, zusätzlich ein Theologiestudium zu beginnen.
Der Ausgang ist noch offen: Pichler war zwei Jahre als Missionar (www.catholic.at) in Graz tätig, kürzlich hat er seinen Allgemein-Turnus in der psychiatrischen Abteilung der Barmherzigen Brüder in Eggenberg begonnen. Psychiatrie oder Kinder- und Jugendpsychiatrie sind mögliche Ziele. Ein anderes ist es, Priester zu werden.
Wie kann Heil passieren?
Sein doppeltes Interesse hat Pichler dazu bewogen, mit seiner Diplomarbeit an der Medizinischen Universität einen „Randbereich der Medizin“, wie er es selbst nennt, zu betrachten: „Therapeutic Touch“ als Heilverfahren – Eine kritische Aufarbeitung der Literatur“ lautet der prosaisch klingende Titel. Dahinter stehen für ihn aber grundlegende Fragen, die er auch bei einer Vorlesung anlässlich der Grazer Fortbildungstage 2014 erläutert hat: „Wie kann Heil passieren?“
Heil, heilen, heilig, das sind verwandte Begriffe, die sowohl in der Medizin, als auch in der Religion von zentraler Bedeutung sind, nicht nur – aber auch – in der christlichen. Das Wort „heil“ ist, wie die etymologische Forschung verrät, aus dem sakralen Bereich in die Alltagssprache gekommen. Es bedeutet neben „gesund“, „unversehrt“ oder „gerettet“ auch „ganz“ (man denke an das englische „whole“). Auch in der norddeutschen Umgangssprachewird „heil“ immer noch in der Bedeutung von „ganz“ verwendet.
„Heil“ werden, ist Pichler überzeugt, reicht über die Medizin hinaus, sie kann aber einen wichtigen Beitrag leisten – „wenn nicht nur die Laborparameter wieder in Ordnung sind, sondern der Mensch wieder zu strahlen beginnt“. Das Teilhabendürfen an dieser umfassenden Gesundung sei auch ein Geschenk, das man im Arztberuf erfährt. Der über das rein Medizinische hinausreichende Beitrag des Arztes sei es, könne es sein, dem Menschen, den er als Patienten behandelt, Vertrauen und Zutrauen zu vermitteln, ihn dabei zu unterstützten, die Bedeutung seines Lebens (wieder) zu erkennen.
Die Menschen tun es
Damit gehört es auch zum Arztsein, sich mit komplementären oder alternativen Methoden zumindest in den Grundlagen zu befassen. Denn „die Anspruchshaltung nimmt extrem zu“ ist Pichlers Eindruck. Diese Entwicklungen, so schreibt er in seiner Diplomarbeit, „zeigen deutlich die Notwendigkeit auf, sich als Arzt mit Themen und Inhalten der alternativ/komplementären Medizin wie Therapeutic Touch gewissenhaft auseinanderzusetzen, um vielleicht in ferner oder naher Zukunft komplementäre Behandlung unter kontrollierten Bedingungen unterstützend zu evidenzbasierten Therapieformen anbieten zu können – Behandlungsmethoden, die hilfesuchende Patienten bereits ohnedies in Anspruch nehmen“.
Vom amerikanischen Psychiater und Mitbegründer der modernen Hypnose in der Psychotherapie Milton Ericson stammt die, so Pichler, Erkenntnis, „dass Patienten einem vernünftigen Therapieansatz gegenüber eher zugänglich sind, wenn es dem Arzt gelingt, die geplante Therapie in das Weltbild des Patienten einzubetten und mit einer ihm vertrauten Terminologie zu erklären bzw. Verhalten und Vorstellungen des Patienten zu ‚utilisieren‘“.
Daher sei es nötig, „dass wir darüber Bescheid wissen“ ist Pichler überzeugt. Ärzte sollten „offen für diese Themen“ sein, er könne sich auch ein spezielles Studienmodul vorstellen.
Wobei er betont, dass immer der „kritische Blick“ aus der Perspektive der medizinischen Wissenschaft, die „super Fortschritte macht“, nötig sei. Auch wenn er als Christ an Wunder glaube, seien doch Berichte darüber immer skeptisch zu hinterfragen: Waren die Menschen, über deren wunderbare Heilung berichtet werde, tatsächlich krank? Gibt es wirklich keine plausible, medizinische Erklärung für die Gesundung? Auch die katholische Kirche verlange ja Untersuchungen von unabhängigen Ärzten, bevor sie eine Wunder-„Heilung“, wie sie etwa Bedingung für eine „Heilig“-Sprechung (sic!) sei, anerkenne.
In seiner Diplomarbeit hat er es so formuliert: „Während der wissenschaftliche Blick auf der einen Seite nicht getrübt werden darf, steht dem gegenüber die Grenze des Machbaren, die unheilbare Todeserkrankung, der Punkt, an welchem die Hoffnung auf Heilung durch analytische Wissenschaft langsam blasser wird und Glaube und Religion dem Menschen helfen, sein Schicksal zu ertragen.“
Skepsis
Bei den Grazer Fortbildungstagen hat Richard Pichler großes Interesse bei den Kolleginnen und Kollegen erfahren: „Es gab sehr viele Rückfragen.“ Skepsis gehöre dazu.
Als er sich nach dem Medizinstudium dazu entschloss, zusätzlich ein Theologiestudium zu beginnen, sei er aber auch auf Unverständnis gestoßen, aber auch auf Menschen, die den „positiven Wert“ gesehen hätten.
Irremachen lässt er sich jedenfalls nicht: „Es ist ein großer Schatz, wenn man als Behandler nicht nur den Blick auf das Organische hat, sondern auch auf das, was im Verborgenen liegt“. Worauf er sich konzentrieren wird, soll sich bald entscheiden.
Fotocredit: beigestellt