APPsolut verwirrend
Die Markteinführung der Apple-Watch hat auch zusätzliche Impulse für die Gesundheits-Apps gebracht. Können kleine Programme für Smart Phones und kleine Computer zum Anziehen (Wearables) professionelle medizinische Anwendungen ersetzen oder sind sie nur Spielzeug?
Sie sind ein Faktum und verbreiten sich rasch: Allein Amazon bietet mehr als 100 Pulsuhren und ähnliche Geräte an, mit denen vor allem LäuferInnen ihr Training überwachen können sollen. Wem eine solche Pulsuhr (die es schon um 7, aber auch um 700 Euro gibt) zu teuer ist, kann sich auch eine Gratis-App auf sein Smartphone laden und seinen Puls mithilfe der Kamera und des LED-Blitzes messen.
„Die Autorität des Arztes wird also angekratzt“, befand kürzlich die Wochenzeitung „Die Zeit“ und fand für den Artikel einen kritischen Arzt (Franz-Joseph Bartmann, Referent für Telemedizin in der deutschen Bundesärztekammer), aber mit Markus Müschenich, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes für Internetmedizin, auch einen enthusiastischen Befürworter, der mit seinem Unternehmen solche Apps produziert.
Wer hat recht? Heiko Renner, EDV-Referent in der Ärztekammer Steiermark, sieht es differenziert: Professionelle Endgeräte aus dem Medizintechnikbereich, die an das Telefon angehängt werden, das als Computer und zur Darstellung dient, können dem Arzt durchaus helfen. Programme, die den Benutzer dran erinnern, dass er zum Beispiel genug Wasser trinken oder sich bewegen sollte, aber keine medizinischen Daten erheben, könnten, so Renner, durchaus nützlich sein. Allerdings würden sie den einzelnen auch seiner Eigenverantwortung berauben. Und die Aussagekraft sei dadurch begrenzt, dass sich die Werte immer auf den „Durchschnittsmenschen“ beziehen.
„Herzrasen“
Problematisch werden Apps allerdings, wenn sie präzise Werte nur vorgaukeln. Ein Praxistest, den wir in der Ordination von Heiko Renner gemeinsam mit einer Gesundheitsjournalistin vornahmen, zeigte, dass das mehr ist, als eine abstrakte Vermutung: Innerhalb weniger Minuten wurden bei ein- und derselben sitzenden Person mit Hilfe einer gängigen App und des gleichen Smartphones Pulswerte von etwas über 70 bis mehr als 150 gemessen – die Ergebnisse lagen also zwischen „normal“ und „Herzrasen“. Da ist es kaum möglich, die App ernst zu nehmen, es ist aber durchaus anzunehmen, dass es ein Laie dennoch tut.
Der freundliche Warnhinweis „Achtung! Auch wenn dieses Instrument präzise ist, handelt es sich hierbei um kein medizinisches Gerät. Frag Deinen Arzt“ reicht da wohl nicht aus.
Datensammlungen
Die meisten messenden Medizin-Apps bieten an, die Ergebnisse auf einem Server zu speichern. Auch wenn man nicht jedem Anbieter unterstellen will, dass er den Datenschutz verletzt, stellen sich viele Fragen. Denn die medizinisch wenig aussagekräftigen Werte, haben doch einen beträchtlichen Marketing-Wert, wie Renner erklärt: „Aus dem Gesundheitsverhalten oder den Trainigsdaten kann man Rückschlüsse auf das Kaufverhalten ziehen und die Nutzer gezielt ansprechen.“ Bespiel: Eine Trainings-App, weiß wieviele Kilometer gelaufen wurden. Für Laufschuh-Verkäufer ist das eine wertvolle Information.
Illusion
Dass sich die Apps wieder aus der Welt schaffen lassen, scheint trotzdem unmöglich, NutzerInnen und Markt wollen sie. Ebenso dürfte die Forderung nach Qualitätssicherung kaum erfüllbar sein. Vor zwei, drei Jahren habe es noch die Illusion gegeben, dass man die Spreu vom Weizen trennen könne, sagt Bartmann im „Zeit“-Artikel, „als die Zahl der Apps dann fünfstellig wurde, mussten wir das aufgeben“.
Was können Ärztinnen und Ärzte also tun? Sich mit dem Phänomen befassen und ihre eigenen PatientInnen über die Risiken aufklären. Gesundheits-App-Beratung wird damit genauso wichtig, wie es etwa Ernährungsberatung bereits ist.