Kind und Regel

Ärztinnen und Ärzte wollen mehr Kinderbetreuung. Die Anpassung der Rahmenbedingungen an die Bedürfnisse erfolgt langsam. Aber sie folgt.


MARTIN NOVAK, NICOLE SCHWAR

„Wir sind die Brücke“, sagt Thomas Chromecki, Oberarzt am Universitätsklinikum für Urologie. Er gehört zu den Vätern, die den Schritt in die Elternkarenz gegangen ist. Damit gehört er zu einer Minderheit in Österreich: 8,4 Prozent aller Karenzgeldbeziehenden waren laut einer Studie von Joanneum Research Policies im Jahr 2011 Männer. Diese 21.293 Väter konsumierten allerdings nur 4,2 Prozent der Kinderbetreuungstage. Denn Männer gehen kürzer in Karenz als Frauen.

Dabei zeigen die (letztverfügbaren) Zahlen aus dem Jahr 2011 bereits einen gewaltigen Fortschritt: Im Jahr 2002 lag der Männer-Anteil noch bei 1,7 Prozent. „Die Einführung der unterschiedlichen Kinderbetreuungsgeld-Varianten mit kürzerer Bezugsdauer und höherer Geldleistung im Jahr 2008 hat einen sprunghaften Anstieg der Anzahl der Karenzväter bewirkt“, heißt es in der Studie „Karenzväter in Zahlen“ von Helene Schiffbänker und Sybille Reidl. Wobei Bildungseliten (akademische und gleichwertige Berufe) die Möglichkeit der Elternkarenz intensiver nutzen als wenige Gebildete.

In der KAGes waren 2014 208 ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Elternkarenz, davon 57 Männer, also mehr als 27 Prozent. Dieser vergleichsweise hohe Anteil lässt sich durch das Zusammentreffen mehrerer Phänomene erklären: Nicht nur der höhere Bildungsstand, auch der öffentliche Arbeitgeber und die Branchenzugehörigkeit (Gesundheits- und Sozialwesen) tragen laut der Zahlen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, die für die Joanneum Research-Studie ausgewertet wurden, zu einer hohen Väter-Quote und insgesamt zu einer verstärkten Nutzung der Elternkarenz bei.

 

Offiziell gepusht

Selbstverständlich ist die Karenz dennoch nicht, auch in diesem Bereich. „Offiziell wird sie gepusht“, sagt Helene Schiffbänker, „Probleme werden dagegen öffentlich nicht benannt und oft auch nur vorgeschoben, gerade in den großen Institutionen“, lautet ihr Befund. Tatsächlich ist Elternkarenz eine organisatorische Herausforderung für die Leitung und die Kolleginnen und Kollegen. In der Regel, so Schiffbänker, werden Stellen erst nach zwölf Monaten Abwesenheit nachbesetzt, Karenzen bis zu einem halben Jahr seien logistisch gut bewältigbar, meint die Wissenschaftlerin, schwieriger würde es danach.
Wobei Karenz nicht Karenz ist. Als Chromecki zwei Monate in Elternkarenz ging, hat er zwar keinen Widerstand, aber auch keine Euphorie erfahren. Völlig andere Reaktionen erlebte der Oberarzt, als er ein Jahr im Ausland arbeitete und 60 Publikationen vorzuweisen hatte: „Da hat die Kosten-Nutzenrechnung gestimmt.“

Ganz anders sieht die persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung aus: „Man entwickelt eine völlig andere Beziehung zum Kind“, so Chromecki, „das Kind erlebt beide Elternteile als gleichwertig.“ Ähnlich sieht es der Allgemeinmediziner Christian Kogelnik, der als Karenzvater Zwillinge betreute: „Grundsätzlich würde ich es jedem empfehlen.“

Ob Väter in Karenz gehen, hängt aber auch von der beruflichen Situation der Partnerin ab. Chromecki konnte mit seiner zweimonatigen Elternkarenz seiner Frau, die ebenfalls Urologin ist, helfen. Kogelniks Frau arbeitet als Managerin bei einem internationalen Konzern in ihrem „Traumjob“ (Kogelnik), während er selbst noch ein Suchender war bzw. ist.

Markus Magnet, Psychiater im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder am Standort Eggenberg, ist frischgebackener Vater eines zweiten Sohnes. Nächstes Jahr wird er in Karenz gehen, das erste Jahr übernimmt seine Frau, ebenfalls Ärztin. Wenn die Väterkarenz normal wird, werde sich auch die Situation für die Frauen verbessern, ist er überzeugt: „Dann werden Arbeitgeber keinen Vorteil mehr darin sehen, einen Mann zu beschäftigen.“ Aus seinen Plänen, in Karenz zu gehen, habe er nie ein Geheimnis gemacht. Und es sei durchwegs positiv aufgenommen worden: „Da hat sich viel getan.“ 

Ganz grundsätzlich gilt aber: Väter dürfen, Mütter müssen in Karenz gehen. Helene Schiffbänker: „Bei Männern ist es cool, verantwortungsvoll und mutig, in Karenz zu gehen. Bei Frauen hört man so etwas eher nicht.“

Stattdessen würden sie ihre Karenz oft abkürzen, weil sie berufliche Nachteile befürchten, vermutet Magnet. Wenn auch mehr Väter in Karenz gingen, würden diese Ängste geringer werden, ist er überzeugt.

 

(Keine) Einbußen

Den berüchtigten Karriereknick durch die Karenz müssen Männer laut Schiffbänkers Daten übrigens nicht befürchten: Sie verdienen nach der Karenz nicht weniger, ja sogar geringfügig mehr, als vor der kinderbedingten Unterbrechung.

„Auch als Frau ist man ein Bittsteller“, diagnostiziert Kathrin Sieder, niedergelassene Allgemeinmedizinerin, karenzierte Mutter und Referentin für Arztberuf und Familie in der Ärztekammer. Wobei es Verbesserungen gibt: Wer (bis zu einem Jahr) einkommensbezogenes Kinderbetreuungsgeld bezieht, bleibt in der Ärzteliste und ist von Wohlfahrtsfondszahlungen befreit. Aber gerade für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die in dieser Zeit ihrem Beruf nicht nachgehen können, stellt sich das Problem wirtschaftlicher Einbußen. Erleichterung für Kassenvertragsärztinnen und -ärzte bringt das Angebot der erweiterten Stellvertretung.

Durch die Möglichkeit des Job-Sharings, an dem gerade gearbeitet wird, und anderen Kooperationsmodellen sollte es aber einfacher werden, Kind und Beruf zu vereinbaren, drängt Sieder: „Es darf keine rechtlichen Graubereiche geben.“

Der Hebel dafür ist aber weniger die stärkere Zuwendung der Väter zu ihren Kindern, sondern die Tatsache, dass die Medizin weiblich wird. Und es geht nicht nur um das Thema Karenz, sondern vor allem auch um die Kinderbetreuung: „Das ist die Zukunft“, ist Christian Lagger, Geschäftsführer des Krankenhauses der Elisabethinen in Graz, überzeugt. Die Elisabethinen gehören zu jenen Arbeitgebern, die ein erfolgreiches Audit „berufundfamilie“ hinter sich haben. Bei der Kinderbetreuung kooperieren die Elisabethinen mit der Grazer GGZ. Eine Betreuung auch für die Sommermonate fehlt noch, soll aber laut Zielvereinbarung mit den Auditoren geschaffen werden. Die Barmherzigen Brüder in Eggenberg haben bereits eine eigene Kinderkrippe und einen Kindergarten. Seit fünf Jahren leitet Angelika Greiler-Kottar die Einrichtung und hat sie so umgebaut, dass der klassische Pfarrkindergarten nun den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerecht wird – nicht nur der eigenen, sondern auch der in den benachbarten Krankenhäusern LKH Graz-West und UKH. Geöffnet wird um 6 Uhr morgens, „das ist der springende Punkt“, sagt Greiler-Kottar. Auch während der Sommermonate seien Krippe und Kindergarten „bummvoll“. Dazu gibt es noch ein „Goody“: Beide Kindergartengruppen werden mit speziell qualifiziertem Personal zweisprachig – deutsch und englisch – geführt. Noch ist die Einrichtung öffentlich, aber man denkt daran, „stärker in Richtung Betriebskindergarten zu gehen“, was auch die Möglichkeit der Anpassung an die Arbeitszeiten erleichtert. Kindergärten dürfen ohne zusätzliche Nachweise die Kinder maximal acht Stunden pro Tag betreuen.

 

Kinderbetreuung: Bedarf und Bedürfnis

Dieses Problem kennt man auch bei anderen privaten Arbeitgebern, etwa beim Grazer Logistikunternehmen Knapp AG. Seit 2013 gibt es dort eine „Kinderwelt“. Die Nachfrage ist höher als das Angebot – ab Herbst 2015 werden statt der geplanten 50 Kinder bereits 69 betreut. Die Knapp-Kinderwelt hat täglich zwölf Stunden geöffnet: werktags von 6.30 Uhr bis 18.30 Uhr, ganzjährig, bis auf drei Wochen Urlaub. Auch in den Ferien sind die Kinder versorgt – es gibt eine Sommerbetreuung für Sechs- bis Elfjährige. Dennoch: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten auch hier. „Wir sind weit nicht so flexibel, wie wir gerne sein möchten, beispielsweise bei den Bring- und Abholzeiten“, sagt CEO Gerald Hofer. Eltern müssten ihre Kinder für eine Ganztags- oder Halbtagsgruppe anmelden. Spontan in die andere Gruppe zu wechseln, falls kurzfristig Überstunden zu leisten sind, sei nicht möglich.

Die KAGes bietet Kinderbetreuung an sieben Standorten (siehe Grafik) an, teils mit eigenen Einrichtungen, teils in Kooperation mit Trägern. Üblicherweise sind sie ebenfalls ab 6 Uhr oder 6.30 Uhr geöffnet, immer bis 16.00, teils auch bis 18.00 Uhr. In Summe sind es an die 500 Plätze. Ob Eltern aber tatsächlich einen Platz bekommen, scheint nicht durchwegs gesichert: „Wir haben unsere Kinder im zweiten oder dritten Monat der Schwangerschaft für die Krippe angemeldet“, erzählt Oberarzt Chromecki. Die Zusage habe man aber erst einige Wochen vor dem notwendigen Eintrittstermin bekommen. „Ich weiß nicht, was wir tun würden, wenn wir keinen Platz bekommen hätten“, sagt der Urologe.

Psychiater Markus Magnet hat die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber Kinderbetreuungsangebote bei Bewerbungsgesprächen zunehmend ansprechen, um die eigene Attraktivität zu erhöhen.
Aber auch wenn es immer mehr und „offiziell genug“ Plätze gibt, wäre „es ohne das familiäre Netzwerk der Eltern und Großeltern“ kaum zu bewältigen, weiß Chromecki.

Dass es ohne familiäre Unterstützung schwierig ist, sieht auch Magnet, der genau dieses Problem hat, weil in seinem Fall beide Großmütter nicht in der Steiermark leben. Ihm und seiner Frau hilft aber die Mutter des Freundes ihres älteren Sohnes. Nur: „Wenn die krank ist, muss ich Pflegeurlaub nehmen“, so Magnet.  Auch Greiler-Kottar bezweifelt, dass Einrichtungen alle Bedürfnisse befriedigen können.

Und dann gibt es noch den Kostenfaktor: Je nach Einrichtung, Träger und finanzieller Situation der Eltern schwanken die Preise pro Monat zwischen knapp 63 und 300 Euro. Kathrin Sieder verweist auf die teils weit bessere Situation im Norden Europas („Schweden ist Vorreiter“), aber auch darauf, dass die Kosten in der Steiermark weit höher seien als in Wien. Ihr Ziel: „Kinder dürfen im Arbeitsleben nicht ausgeblendet werden.“

Magnet schildert die Lage von Bekannten in Brüssel: Für EU-Beschäftigte seien Betreuungsplätze selbstverständlich, und das bereits bald nach der Geburt. Das Kind würde direkt am Arbeitsplatz versorgt und „alle drei Stunden gibt es Stillpausen“. 

Thomas Chromecki ist aber vorsichtig optimistisch: „Die Jungen fordern es, es hat sich schon viel zum Positiven verändert.“ Das empfindet auch Magnet so. Eine Erleichterung sieht er auch im neuen KA-AZG, das merklich kürzere Arbeitszeiten bringe.

 

Fotocredit: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Conclusio

Grazer Straße 50a1
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