Sterbehilfeschrei
Ärztinnen und Ärzte, die Patienten bei der Selbsttötung unterstützen (müssen)? Die Ablehnung in Österreich ist groß. Aber die aus Holland kommende Welle hat die heimischen Ufer bereits erreicht.
MARTIN NOVAK
Am 20. Februar erschien das Magazin Newsweek mit einem düsteren Titel: „Sterben auf Holländisch: Euthanasie verbreitet sich Europa“, lautete die Schlagzeile. Wenige Tage zuvor hatte die Bio-ethikkommission beim Bundeskanzleramt ihre umstrittene Stellungnahme beschlossen, in der sie sich für eine Lockerung der Bestimmungen für den assistierten Selbstmord aussprach. Und noch drei Tage früher hatte die Ärztekammer Steiermark zur Diskussionsveranstaltung „Menschenwürde am Lebensende“ geladen. Auf Initiative des Vorsitzenden der steirischen ÄK-Ethikkommission, Prof. Ronald Kurz, referierten dort Prof. Karl Harnoncourt, Mitbegründer der Hospizidee in der Steiermark, der Sozialmediziner Prof. Horst Noack, der frühere Dekan der Medizinischen Fakultät Graz, Prof. Thomas Kenner und die Palliativmedizinerin OA Juljana Verebes. Mit dem Theologen und Mediziner Prof. Walter Schaupp war auch ein Mitglied der österreichischen Bioethikkommission anwesend, deren Text wenig später so hohe Wellen schlagen sollte.
Holland war auch in Graz omnipräsent: Ärztekammerpräsident Herwig Lindner wies bereits in seiner Begrüßung auf die nahezu explosive Entwicklung der niederländischen Tötungszahlen hin. Diese Zahlen sind tatsächlich beklemmend: 2013 (letzte verfügbare Zahl) gab es 4.829 gemeldete ärztlich assistierte Suizide, 641 mehr als im Jahr davor. Rund drei Viertel betrafen Krebspatienten, die höchsten Steigerungsraten – wenngleich auf niedrigem Niveau – gab es aber bei Demenzkranken und psychiatrischen Diagnosen. „Die Sterbehilfe gerät außer Kontrolle, da ist ein System krank“ warnte Lindner. Diese Entwicklung ist nicht neu: Seit mehreren Jahren steigen die Fälle jährlich um zweistellige Prozentsätze. Selbst einer der Befürworter des niederländischen Euthanasiegesetzes, der Ethiker Theo Boer, hat sich kürzlich von seiner positiven Einstellung verabschiedet: „Ich lag falsch“, schrieb er in einem Mitte 2014 veröffentlichten Artikel, „wenn der Geist einmal aus der Flasche ist, ist es unwahrscheinlich, dass er je wieder zurückkehrt.“
Während in Holland fast 4.300 Allgemeinmediziner¬Innen und hunderte FachärztInnen Euthanasie betreiben (müssen), gibt es hierzulande eine klare ärztliche Ablehnung: „Töten ist nicht im Kanon der Ärzte festgelegt“, formulierte Noack in Graz die Position, die auch Inhalt einer ÖÄK-Resolution ist, die erst kürzlich wieder bekräftigt wurde.
Aber: Es ist sei „ein Kampf“ im Gange, warnte Schaupp bei der Enquete. Zur von der Euthanasiebewegung proklamierten „Philosophie der Freiheit“ gehöre auch der selbstbestimmte Tod. Der Hebel zur Lockerung scheint die Abschaffung des Paragrafen 78 im Strafgesetzbuch zu sein, der die Mithilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellt. Die Bioethikkommission verlangt hier (mehrheitlich) eine Abänderung. Schaupp gehört zu jenen, die das ablehnen, er wies aber in seinem Referat in Graz darauf hin, dass der Paragraf in Österreich „sehr rigide ausgelegt“ werde: „In einer strengen Auslegung müssten Ärzte zwangseinweisen, wenn ein Patient einen Suizidwunsch äußert.“ Wobei diese Befürchtung überzogen sein könnte: „So sehr Suizidgedanken nicht erfreulich sind, so wenig sind sie insbesondere als erste Reaktion auf eine schlechte Diagnose sofort als psychische Krankheit einzustufen. Eine zwangsweise Unterbringung wäre also gar nicht möglich“, schreiben Stephanie Merckens und Klaus Voget, beide juristische Mitglieder in der Bioethikkommission.
Vorrang für die Palliativmedizin
Die klare Position der Expertinnen und Experten in Graz: Die Palliativmedizin müsse ausgebaut werden, um den Wunsch nach Selbsttötung gar nicht aufkommen zu lassen. Für Harnoncourt ist es ein „Skandal“, dass sie noch nicht überall zur Verfügung steht. Palliativmedizinerin Verebes zitierte einen Vierjährigen, um zu verdeutlichen, was Palliativmediziner leisten: „Er heilt die Menschen und dann sterben sie.“
Die Bioethikkommission gibt der professionellen Sterbebegleitung zumindest Vorrang gegenüber der Euthanasie: Es werde „die Palliative Care als suizidpräventive Option angesehen, der ein grundsätzlicher Vorrang vor Suizidbeihilfe zukommt.“
Sehr viel klarer formulierte es Ronald Kurz in der Kleinen Zeitung: „Mit der palliativmedizinischen Versorgung kann der Arzt eine ethisch einwandfreie, vertrauensvolle und lebensgerechte Haltung gegenüber seinen Patienten einnehmen.“
Stellungnahme der Bioethikkommission
„Darüber hinaus sollte die Hilfeleistung durch Ärzte beim Suizid in bestimmten Fällen entkriminalisiert werden, um es letztlich dem Patienten zu ermöglichen, offen mit dem Arzt über seine Situation zu sprechen, ohne gleich fürchten zu müssen, aufgrund akuter Selbstgefährdung zwangsweise untergebracht zu werden.“
Mehrheitsvotum
„Bei Angehörigen oder betreuenden Ärzten der suizidwilligen Person kann ein solcher Suizidwunsch zu gravierenden Gewissenskonflikten führen, nicht zuletzt aufgrund von Unkenntnis der geltenden Rechtslage bzw. irrtümlicher Annahme einer Strafbarkeit. Eine solche Gewissensnot ist in der ethischen und rechtlichen Urteilsbildung in Fällen von Suizidbeihilfe bei Angehörigen und bei Ärzten zu berücksichtigen.“
Abweichendes Votum
Weitere Infos:
https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=58509
Fotocredit: Newsweek