Gesund machen, gesund sein
Sind ÄrztInnen kränker als andere Gruppen? Manches deutet darauf hin. Aber es gibt auch positive Signale.
MARTIN NOVAK
Die Website www.aerztegesundheit.de lädt Ärztinnen und Ärzte zum Selbsttest über Gesundheit und Lebensqualität ein. Zwischen null und 21 Punkte sind zu erreichen, ab 21 Punkten darf man behaupten, sich „weit überdurchschnittlich gut“ um die eigene Gesundheit zu kümmern. Aber: „Der Selbsttest wird eher wenig in Anspruch genommen“, bedauert Bernhard Mäulen, Gründer des Instituts für Ärztegesundheit in Baden-Württemberg und selbst Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Tradition
„Wir Ärzte haben eine lange Tradition darin, uns ausschließlich um unsere Patienten zu kümmern, wir lernten nichts anderes in der Universität – sicherlich waren die Vorbilder in der klinischen Ausbildung auch ähnlich grenzenlos einsatzbereit, und in der Praxis setzen wir dann die Selbstausbeutung fort“, sagt Mäulen.
Die Zahlen bestätigen diese Wahrnehmung: So die 2011 von der Medizinischen Universität Graz und der Arge Burnout für die Österreichische Ärztekammer durchgeführte Studie „Burnout bei Ärzt/innen“ (6.249 auswertbare Datensätze). Demnach ist das Burnout-Risiko von Ärztinnen und Ärzten signifikant höher als das anderer Berufsgruppen, wie LehrerInnen, RichterInnen, Freiberufler, Angestellte oder Manager. Weit über die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte sind laut dieser Studie belastet, bei 11,1 Prozent gleichen die Symptome dem Bild einer klinischen Depression.
Solche Alarmsignale werden auch durchzahlreiche weitere Untersuchungen in anderen Ländern bestätigt. „Ja, die Depressionsraten bei Ärzten sind höher als im Bevölkerungsdurchschnitt und leider auch die Suizidraten, insbesondere für Ärztinnen. Ursächlich werden massive Überlastung, sehr hohe Verantwortung, Begegnung mit Leid und Tod, schlechte Selbstfürsorge sowie zu hohe berufliche Ich-Ideale diskutiert“, so Mäulen.
Wandel
Wobei auch der Wandel, den der Arztberuf erlebt, Ursache für eine Verschärfung des Problems sein könnte, zumindest war das die These des letztjährigen Kongresses über Ärztegesundheit, den das British Medical Journal (BMJ) und die Ärzteorganisationen der USA (AMA) sowie Kanadas (CMA) gemeinsam ermöglichten. „In der Vergangenheit stand die Autorität des Arztes außer Frage“, schrieb das BMJ im Vorfeld, die Beziehung zu den Patientinnen und Patienten sei eher paternalistisch gewesen, diese hätten keine unangenehmen Fragen gestellt. Aber heute? „Die Erwartungen der Patienten haben sich geändert, sie sind sich ihrer Rechte und Ansprüche viel bewusster und haben viel mehr Zugang zu Informationen“, schreibt das BMJ (2013;347:f7086 doi: 10.1136/bmj.f7086): „Die Ärztinnen und Ärzte fühlen, dass ihre professionelle Identität bedroht ist.“
Wobei die nächste Generation der Ärztinnen und Ärzte („Generation Y“) durch „eine bisher nicht gekannte innovative Lebenskonzeption“ und ihren „pragmatischen Optimismus“ (Hurrelman, Albrecht: Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Beltz Verlag 2014) mit diesen Anforderungen vielleicht besser umgehen wird können, als ihre Mütter, Väter, Großmütter und Großväter).
Aber noch ist es nicht soweit. Jüngere, unter 47-jährige, sind laut der Grazer Burnout-Studie stärker belastet als Ältere. Wenig Unterschiede gibt es übrigens zwischen den Geschlechtern, nur in der am stärksten belasteten Gruppe überwiegt der Männer-Anteil. Auch Nacht- und Bereitschaftsdienste wirken sich negativ aus.
Dass früher, im Zeitalter des ärztlichen Paternalismus, alles besser war, kann man aber bezweifeln, wenn man Mäulens Zugang zum Thema betrachtet. Er ist, wie er auf seiner Website schreibt, über Ärztebiografien und Romane darauf gestoßen. Sie „hielten mehr oder minder stimmige Schablonen der Arztrolle bereit – zugleich zeigten die besseren … aber auch ein realistisches Bild von den Schwierigkeiten im Studium, den Assistenzjahren, der bedrohten Lebensqualität, den finanziellen Engpässen sowie der erheblichen Konkurrenz unter Ärzten auf“.
Schlechte Selbstfürsorge
Wer über Ärztegesundheit spricht, darf aber nicht nur auf die psychische Belastungen schauen: „Die Indikatoren für schlechte Selbstfürsorge von Ärztinnen und Ärzten sind niedrige Raten an Krebsvorsorge, niedrige Impfraten, erhöhter Konsum von Schmerz- und Beruhigungsmitteln, signifikante Prävalenz von stoffgebundener Sucht insbesondere Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit, erhöhte Suizidraten, zu wenig körperliche Bewegung bzw. Fitness und zu hoher Body Mass Index etc.“, sagt Mäulen.
Also trinken Ärztinnen und Ärzte Wein, während sie Wasser rufen? Harte Zahlen liefert vor allem die Influenza-Durchimpfungsrate, die vor allem in den USA regelmäßig erhoben wird. Laut jüngster Zahlen liegt sie unter den Beschäftigten im Gesundheitsbereich (Health Care Workers/HCW) „unakzeptabel niedrig“ bei etwa 40 Prozent (Medscape 2015). Am niedrigsten aber beim Pflege- und medizintechnischen Personal. Andere, vom Center of Disease Control and Prevention (CDC) veröffentlichte Untersuchungen (MMWR September 19, 2014), gehen zwar von einer insgesamt deutlich höheren Durchimpfungsrate von 75 Prozent aus, bestätigen aber die Unterschiede zwischen den Gesundheitsberufen: Ärztinnen und Ärzte haben demnach mit 92,2 Prozent den höchsten Wert, dann folgt das diplomierte Pflegepersonal und dann erst kommen weitere Berufsgruppen. Man könnte also sagen: Je höher die medizinische Qualifikation, desto höher die Compliance.
Eine – nicht gerade überraschende – Erkenntnis liefert der CDC-Report allerdings auch: Dort, wo die Impfung erforderlich (weil vom Arbeitgeber verlangt) ist, liegen die Werte höher als in Bereichen, wo „nur“ Überzeugungsarbeit geleistet wird. Dazu passt die Forderung des steirischen Ärztekammerpräsidenten Herwig Lindner, der kürzlich in einer Aussendung verlangt hat, dass Arbeitgeber im Gesundheitsbereich sicherstellen sollten, „dass besonders in sensiblen Bereichen nur vollständig durch Impfungen geschütztes Personal eingesetzt wird“.
Impfpflicht
Eine generelle Impfpflicht, wie sie angesichts der jüngsten Masernfälle (siehe dazu auch Seite 12f) immer wieder verlangt und auch von Ärztinnen und Ärzten („Epikrise“, Seite 5) gefordert wird, steht aber im Widerspruch zum österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzrecht, das sich wiederum auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) beruft (Wiedermann-Schmidt et al.: Impfungen für MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens. Empfehlungen als Erweiterung des Österreichischen Impfplans. 2012). Allerdings: Die EMRK und das österreichische Epidemiegesetz kennt als Ausnahme die Möglichkeit, „dass für Personen, die sich berufsmäßig mit der Krankenbehandlung, der Krankenpflege oder Leichenbesorgung beschäftigen, und für Hebammen u.a. auch Schutzimpfungen angeordnet werden können“.
Vorbild
Dass Ärztinnen und Ärzte in Gesundheitsbelangen durchaus vorbildlich sein können, zeigt die Diplomarbeit von Julia Forster am Institut für Public Health der Medizinischen Universität Wien.
Sie erforschte die „Prävalenz des Nikotinabusus unter steirischen Ärzten im Vergleich mit der steirischen Allgemeinbevölkerung“ (2013). Fazit: Es „wurde eine signifikant niedrigere Raucherprävalenz unter Ärzten gefunden als in der Allgemeinbevölkerung. Es konnte kein statistisch signifikanter Unterschied in den Raucherprävalenzen männlicher und weiblicher Ärzte gezeigt werden. Es fanden sich die meisten Raucher in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, die meisten Ex-Raucher in der Gruppe der über 60-Jährigen und die meisten Nichtraucher unter den 30- bis 44-Jährigen.“ Und: „Die Raucherprävalenz unter steirischen Ärzten ist im Vergleich mit einigen anderen Ländern niedrig …“
Das Thema Ärztegesundheit ist also vielleicht doch keines, das man nur düster sehen muss. Und es scheint auch zunehmend weniger ein Tabu zu sein: „Im Zuge der Burnout Diskussion haben sich zumindest die deutschsprachigen Ärztepublikationen durchaus dem Thema Ärztegesundheit zugewandt“, beobachtet Bernhard Mäulen. Nur das (allgemeine) Medienecho hielt sich in Grenzen.
Fotocredit: Conclusio