Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Dialog: die Argumente
In Österreich sterben mehr als 80 Prozent der Menschen an einer chronischen Erkrankung oder einem zuvor diagnostizierten gesundheitlichen Problem. Nahezu 70 Prozent jener, die in medizinischer Versorgung sterben, tun das nach einer Phase, in der sie nicht mehr selbst entscheiden konnten, daher sollte eigentlich jede/r entsprechend vorsorgen.
Die unterschiedlichen Möglichkeiten haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile:
Eine Möglichkeit ist die Patientenverfügung, in Österreich seit 1. Juni 2006 im so genannten Patientenverfügungs-Gesetz geregelt. In einer Patientenverfügung legen Menschen fest – meist noch vor Eintritt einer kritischen Situation –, welche medizinischen Behandlungen sie dezidiert ablehnen, und diese müssen auch explizit aufgezählt sein. Dabei dürfen nur Maßnahmen abgelehnt werden, aber keine bestimmten Behandlungen eingefordert werden.
Haben Personen eine verbindliche Patientenverfügung erstellt, müssen sich die behandelnden ÄrztInnen daran halten. Ansonsten erfüllen sie den strafrechtlichen Tatbestand der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ nach Paragraph 110 StGB. Daher verfassen Mitglieder der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas durchgehend verbindliche Patientenverfügungen: Sie lehnen die Gabe von Fremdblut ab, worauf Ärzte in Notfällen ausschließlich dann verzichten, wenn ihnen eine entsprechende verbindliche Patientenverfügung vorliegt.
Arzt erforderlich
Für eine verbindliche Verfügung ist das ärztliche Aufklärungsgespräch verpflichtend vorgeschrieben. Der aufklärende Arzt oder die Ärztin muss in der Verfügung mit Namen und Adresse genannt sein. Er oder sie bestätigt einerseits das Stattfinden des Aufklärungsgespräches und andererseits, dass der oder die VerfasserIn bei der Errichtung einsichts- und urteils- und äußerungsfähig war. „Dieses Gespräch ist umfassend zu dokumentieren und auch in den internen Unterlagen des Arztes zu archivieren“, betont Rechtsanwältin Renate Rechinger. „Besteht auch nur die kleinste Unsicherheit in punkto Einsichts- und Urteilsfähigkeit, sollten Ärzte zur Sicherheit eine gesonderte diesbezügliche Untersuchung einfordern.“
Die verbindliche Patientenverfügung muss in Zusammenarbeit mit einem/r NotarIn, RechtsanwaltIn oder einem/r rechtskundigen MitarbeiterIn der Patientenvertretung verfasst und im Patientenverfügungsregister erfasst werden.
Von der verbindlichen zu unterscheiden ist die beachtliche Patientenverfügung. Damit geben PatientInnen den behandelnden Ärztinnen lediglich eine Orientierungshilfe, eine Art Rahmen, innerhalb dessen dann für die Ärzteschaft ein Handlungsspielraum besteht. Bei der beachtlichen Verfügung steht es den PatientInnen frei, ob sie sich vorab ärztlich beraten lassen oder nicht. Da jedoch die wenigsten Laien über das nötige Wissen verfügen, um die Konsequenzen (intensiv-)medizinischer Maßnahmen abschätzen zu können, sollten ÄrztInnen den PatientInnen nahelegen, auch für die beachtliche PV eine medizinische Beratung einzuholen. Für die beachtliche Verfügung muss keine juristische Beratung absolviert werden und es bedarf keiner Registrierung (diese ist allerdings fakultativ möglich). Die beachtliche kann jederzeit und ohne großen Aufwand geändert werden.
Werden nicht alle Formvorschriften der verbindlichen Patientenverfügung erfüllt, ist sie von den ÄrztInnen wie eine beachtliche zu behandeln, wobei es graduelle Unterschiede gibt: Eine beachtliche ist laut Gesetz umso mehr zu berücksichtigen, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichen erfüllt. Außerdem zählt, wie häufig sie erneuert wurde und wie lange die letzte Erneuerung zurückliegt.
Stellvertreter nennen
Neben der Patientenverfügung existiert auch die Vorsorgevollmacht, um vorab Angelegenheiten für den Fall des Verlusts der Urteilsfähigkeit zu regeln. Auch sie erfordert juristische Beratung und ist registrierungspflichtig – zudem wird festgehalten, wann die Vorsorgevollmacht in Kraft tritt. Dabei gibt es zwei Varianten: Entweder tritt die Wirksamkeit der Vollmacht sofort ein, aber die Aufträge an die Bevollmächtigten werden erst für den Fall des Verlustes der Geschäfts-, Einsichts- und Urteilsfähigkeit erteilt, oder die Vorsorgevollmacht wird erst mit dem Verlust der Urteilsfähigkeit wirksam.
Vorsorgevollmachten werden im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis ÖZVV erfasst. Darin kann ein Sachwalter bestimmt werden oder es werden die Kompetenzen auf mehrere Personen aufgeteilt. Für ÄrztInnen von Belang ist vor allem die Bestellung einer Vertrauensperson, die in Zweifelsfragen zu kontaktieren ist (wenn keine verbindliche PV besteht), die Einsicht in die Patientenakte haben sollte und die über die religiöse und generelle Lebenseinstellung des/der PatienIn Bescheid wissen sollte. Diese darf entscheiden, ob eine Behandlung erfolgt bzw. fortgesetzt wird. Vor dem alleinigen Abfassen einer Vorsorgevollmacht – also ohne zusätzliche Patientenverfügung – warnt Primarius Günther Weber jedoch: „Existiert eine Vorsorgevollmacht, wiegt das Wort des Bevollmächtigten gleich viel wie das Wort des oder der Betroffenen. Daher sollten die VerfasserInnen vorab in einer beachtlichen Patientenverfügung einen Rahmen vorgeben.“ Denn auch nach Verlust der Urteilsfähigkeit haben viele Menschen helle Momente, in denen sie durchaus ihre Wünsche äußern können, die berücksichtigt werden sollen, selbst wenn sie denen der Bevollmächtigten widersprechen.
Eher unbekannt ist die Tatsache, dass der oder die durch eine Vorsorgevollmacht bestellte VertreterIn (Bevollmächtigte/r) in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis oder einer anderen engen Beziehung zu einer Krankenanstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung stehen darf, in der sich der oder die Vollmachtgebende aufhält.
Gemeinsam planen
Erst im Planungsstadium befindet sich die gesundheitliche Vorausplanung im Zuge eines Vorsorgedialogs. Diese interprofessionellen, wiederkehrenden und dokumentierten Gespräche sollen vor allem in Alten- und Pflegeheimen stattfinden – mit dem Ziel, alle relevanten Fragen zu klären, bevor ein/e PatientIn nicht mehr urteilsfähig ist. Im Gespräch, an dem idealerweise auch die Vertrauenspersonen der/des PatientIn ebenso wie ausgewähltes Pflegepersonal teilnehmen, sollen die individuellen Wünsche zur letzten Lebensphase geklärt werden, und das unter ärztlicher Aufklärung. Fünf Hauptfragen, so Primarius Günther Weber, sollen jedenfalls angesprochen werden: Wer trifft im Falle mangelnder Urteilsfähigkeit die medizinischen Entscheidungen? Welche medizinischen Behandlungen werden gewünscht, welche abgelehnt? Wie und wo möchte der/die Betroffene in der allerletzten Lebensphase betreut werden? Was wünscht er oder sie sich von seinem Umfeld, und was möchte er oder sie den Angehörigen und Freunden noch mitteilen?
Das Ergebnis soll dann im Heim aufliegen und im Notfall schnell zur Hand sein – auch ohne den großen bürokratischen Aufwand einer offiziellen Registrierung. Der Start des Vorsorgedialoges war ursprünglich für den Sommer 2015 vorgesehen gewesen, musste aber verschoben werden – noch sind juristische Punkte zu klären. Die nächste Sitzung dazu findet Ende November statt.
Fürchten sich PatientInnen vor der Endgültigkeit einer Patientenverfügung, können sie die behandelnden ÄrztInnen in einem wesentlichen Punkt beruhigen: Laut Gesetz wird eine Bestimmung in einer Patientenverfügung nämlich nicht nur dann unwirksam, wenn sie der Patient widerruft, sondern auch, wenn sich „der Stand der medizinischen Wissenschaft (…) im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat“.
Niemand muss also aufgrund einer Patientenverfügung an einer später heilbaren Krankheit oder Verletzung sterben.
Auf den ersten Blick
Den einfachsten Hinweis auf das Vorhandensein einer Patientenverfügung stellt die entsprechende Karte im Portemonnaie dar: Sie wird beispielsweise vom beratenden Rechtsanwalt oder der Anwältin ausgegeben, wenn es sich um eine verbindliche oder eine registrierte beachtliche Verfügung handelt. Im Falle nicht registrierter Patientenverfügungen liegen diese manchmal direkt auf dem Nachttisch– gut sichtbar für behandelnde ÄrztInnen oder Vertrauenspersonen. Sofern keine notfallmedizinische Maßnahme vonnöten ist, können ÄrztInnen bei Vertrauenspersonen nachfragen, ob sie von einer PV wissen. Manchmal sind auch nur Hausärztin oder Seelsorger informiert.
In der Notfallmedizin besteht für die Ärzteschaft ohnehin keine Verpflichtung, nach einer Patientenverfügung zu suchen. Aber auch für weniger akute Situationen lehnt ÄK-Vizepräsident Garzarolli es ab, dass ÄrztInnen sich darum kümmern sollten, ob eine Patientenverfügung vorhanden ist. „Wer eine Verfügung errichtet, muss selbst dafür sorgen, dass diese im Ernstfall bekannt gemacht wird.“ Für die Ärzteschaft dürfe kein zusätzlicher bürokratischer Aufwand entstehen.