Vermessung der Belastung
Wie ist für Ärztinnen und Ärzte die Belastung am Arbeitsplatz? Über die Ergebnisse einer groß angelegten Studie haben wir in der Jänner-Ausgabe von AERZTE Steiermark ausführlich berichtet. Hier nun Ergebnisse für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte – mit und ohne §-2-Kassen-Vertrag.
10 Prozent der §-2-KasssenärztInnen stimmen der Aussage zu, dass der Aufwand für die Patientendokumentation immer oder zumindest sehr oft angemessen sei. 90 Prozent tun es also nicht. Bei Nicht-Kassenärztinnen und -ärzten ist die Zahl zwar auch noch alarmierend (18,4 Prozent halten den Dokumentationsaufwand für angemessen), aber doch weniger schlimm.
Das ist nur eines der Ergebnisse der großen Studie der KF-Uni und der Medizinischen Universität Graz sowie der Ärztekammer Steiermark (ein ausführlicher Bericht ist in AERZTE Steiermark 1/2016 nachzulesen) zur Situation im Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.
„Meine Arbeit leidet (sehr oft oder immer) unter meinen administrativen Tätigkeiten“, sagen fast 25 Prozent der §-2-Kassenärztinnen und -ärzte – sowie etwas über 17 Prozent (also klar weniger, aber immer noch sehr viele) Ärztinnen und Ärzte ohne §-2-Kassenvertrag.
Gar fast 40 Prozent der §-2-Kassenärztinnen und -ärzte meinen, „die Bürokratie nimmt mir (sehr oft oder immer) viel Zeit, die mir dadurch für PatientInnen fehlt.“ Bei den nicht §-2-vertraglich gebundenen Ärztinnen sagen das nur knapp 30 Prozent, wobei man (auch) hier das Wort „nur“ wohl unter Anführungszeichen setzen muss.
Noch mehr, nämlich über 43 Prozent der §-2-Kassenärztinnen und -ärzte – und immer noch fast 34 Prozent der anderen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, stimmen der Aussage zu, dass sie Dinge immer oder sehr oft dokumentieren müssten, „die den Patientinnen und Patienten nichts bringen“.
Und immer noch an die 16 Prozent der Kassenärztinnen und Kassenärzte – aber nur 4,2 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ohne §-2-Kassenvertrag – meinen, dass sie sehr oft oder immer zu wenig Zeit für ihre PatientInnen haben. Noch mehr – nämlich mehr als ein Fünftel der §-2-Kassenärztinnen und -ärzte sowie knapp 12 Prozent der Nicht-Kassenärztinnen und -ärzte hätten gerne mehr Zeit für den Kontakt mit den Patientinnen und Patienten.
Das sind die düsteren Nachrichten. Es gibt aber auch gute Botschaften: Zwar verschlechtern ungeduldige Patientinnen und Patienten bei mehr als 26 Prozent der Kassenärztinnen und -ärzte immer oder sehr oft die Laune (bei Ärztinnen und Ärzten, die keinen §-2-Kassenvertrag haben, sind es nur 7,4 Prozent), aber die immer wieder gehörte Behauptung, sich auf eigene Faust vorab informierende Patientinnen und Patienten würden Ärztinnen und Ärzte im großen Stil irritieren, ist offenbar falsch: Dem stimmen nämlich nur rund 2 Prozent der Befragten zu. Und es gibt hier keinen Unterschied zwischen Ärztinnen und Ärzten mit oder ohne §-2-Kassenvertrag.
Ganz offenbar beeinflussen die negativen Auswirkungen der Bürokratie die persönliche Gesundheit von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten nur in geringem Umfang, in weit geringerem als bei angestellten. Beim Gesamtscore Beanspruchung (EBF-Work) haben Kassenärztinnen und -ärzte den besten Wert unter allen Ärztegruppen (1,71), Ärztinnen und Ärzte ohne Vertrag liegen geringfügig darüber (1,75), beide Gruppen haben hier aber bessere Werte als die Bevölkerung (2,06).
Auch beim BDI Depression Summenscore schneiden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sehr gut ab. Bei jenen mit §-2-Kassenvertrag ist der Durchschnittswert 6,02, bei denen ohne Vertrag ist er 6,35. Die österreichische Bevölkerung kommt auf 8,53, angestellte Ärztinnen und Ärzte zum Vergleich auf 9,16.
Was sich dadurch erklären lässt, dass §-2-Kassenärztinnen und -ärzte mehr Motivation aus der Bedeutsamkeit ihrer Arbeit ziehen können als die Durchschnittsbevölkerung. Ärztinnen und Ärzte ohne Vertrag liegen etwas unter dem durchschnittlichen Bevölkerungswert.
Gemeinsam ist niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten aber, dass sie im Beruf eine klar überdurchschnittliche „Erfüllung“ finden: 5,2 ist der Wert bei §-2-Kassenärztinnen und -ärzten, 5,15, also nur sehr knapp darunter, der von Ärztinnen und Ärzten ohne GKK-Vertrag. Spitalsärztinnen und -ärzte erreichen hier nur einen Wert von 4,98, der Referenzwert der Bevölkerung ist mit 4,71 doch deutlich niedriger.
In einem Punkt – und zwar einem deutlich weniger erfreulichen – sind Kassenärztinnen und -ärzte jedoch auch voran. Mehr als 45 Prozent sagen, dass sie im letzten Jahr mehr als einmal zur Arbeit gingen, obwohl sie selbst krank waren. Bei Nicht-KassenärztInnen sind es rund 38 Prozent, also immer noch sehr viele, bei Angestellten sind es 44 Prozent. Angesichts des Ärztemangels und knapper Ressourcen will man sich keinen Ausfall gestatten – und kann es wohl oft auch nicht.
„Belastungen am Arbeitsplatz steirischer ÄrztInnen“:
Studie zur Evaluierung psychischer Belastungen, Burnout und Depression bei steirischen angestellten und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, 2015 (Ärztekammer Steiermark (Dr. Dietmar Bayer, Karl-Franzens-Universität Graz (Mag. Anita Dunkl, Dr. Paul Jiménez), Medizinische Universität Graz (Univ.-Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer, Dr. Walter Wurm).
„Mehr als 45 Prozent der §-2-Kassenärztinnen und -ärzte sagen, dass sie im letzten Jahr mehr als einmal zur Arbeit gingen, obwohl sie selbst krank waren.“
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