„Bessere Lösungen sind die Feinde der guten“
Rektor Hellmut Samonigg will den Campus fertigbauen, aus MUG und KAGes einen Katamaran machen, die Lehre vereinfachen und bessere Dienstmodelle verwirklichen. Die Diskussion um Versorgungszentren im extramuralen Bereich sieht er mit Besorgnis.
MARTIN NOVAK
Große Erfolge – Campus, die Don’t smoke-Kampagne – haben Sie bereits vor Beginn Ihres Rektorats erzielt. Was wollen Sie noch erreichen?
Samonigg: Ich sehe es nicht ganz so. Bedeutende Etappen sind gelungen.
Aber: Beim Campus fehlt der zweite Teil. Das ist ein wichtiges, großes Anliegen, weil nur das Gesamtprojekt den gewünschten Effekt für die Medizinische Universität und damit schlussendlich auch für das Klinikum haben wird – nämlich einen großen Sog für hochqualifizierte Professoren und weitere Wissenschafter, nach Graz an unsere Universität zu kommen. Wenn es uns gelingt, den Gesamt-Campus umzusetzen, wird Graz im europäischen Vergleich Top-Bedingungen für Forschung und Lehre haben. Das ist uns kürzlich vom international sehr renommierten Universitätsplanungsbüro Lohfert & Lohfert bestätigt worden, das die europäische Szene gut kennt. Sie haben mit großem Erstaunen festgestellt, dass unser in Umsetzung begriffenes Campus-Konzept bislang nirgendwo in Europa realisiert werden konnte, obwohl viele ähnliche Ideen dazu hatten. Wir haben da ein wirkliches Vorzeigeprojekt in Gang gesetzt. Es ist aber, wie gesagt, noch nicht fertiggestellt. Bei Dont’t smoke ist es ähnlich: Hier ist es mir gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie zwar gelungen, einen deutlichen Anstoß für das diesbezüglich neue Gesetz zu geben, aber umgesetzt ist dies noch lange nicht. Erst 2018 soll es soweit sein. Ich hoffe sehr, dass es zu keinem Rückschlag kommt. In diesem Fall würde ich sofort wieder auf der Bühne stehen.
Hatten Sie bei Don’t smoke genügend Unterstützung?
Samonigg: Da möchte ich auch ganz ehrlich sagen, dass uns die steirische Ärztekammer und Präsident Lindner ganz massiv geholfen haben. Ich habe versucht, das österreichweit zu machen, aber die Unterstützung war nirgendwo so groß wie in der Steiermark. Das war eine vorbildhafte, unkomplizierte, pragmatische Hilfestellung. Wir haben den Erfolg auch ganz sicher deswegen einfahren können, weil solche Signale von der steirischen Ärzteschaft, der steirischen Ärztekammer und deren Präsidenten gekommen sind. Es ist mir und meinem Team neben den angeführten Punkten auch gelungen, Fortschritte in anderen Bereichen zu erzielen, z. B. in der Palliativmedizin, aber auch in der Psychoonkologie. Man könnte schon auf die Idee kommen, es reicht eigentlich. Aber ich habe das Gefühl, dass ich noch einiges Sinnvolles bewegen könnte. Und ich bin ein Mensch, der gerne etwas weiterentwickelt. Ich habe mich nach langem Zögern und auch mit einem gewissen Schmerz entschieden, mich von der Onkologie zu trennen, diese Chance wahrzunehmen, in der Funktion eines Rektors noch ein bisschen mehr gestalten und bewegen zu können.
Stichwort Struktur der Universität, auch der Vorklinik. Wie soll die Universität sich verändern?
Samonigg: 2017 geht der Campus Teil I in Betrieb. Hier werden leider noch nicht alle, aber ein großer Teil der Vorklinischen Institute angesiedelt sein. Die Pharmakologie, die Gerichtsmedizin und die Pathophysiologie, die Sozialmedizin und die Anatomie bleiben vorerst an den derzeitigen Standorten. Was uns im Modul I fehlt, sind großzügige Lehrflächen, die wir bis auf weiteres nicht in dem Ausmaß zur Verfügung haben, wie wir sie bräuchten. Auch die administrative Infrastruktur der Medizinischen Universität ist weitestgehend noch disloziert.
Noch haben wir den großen Nachteil, dass wir an zwei Standorten lehren und forschen müssen. Das enorme Potenzial, welches durch die örtliche Zusammenführung des gesamten nichtklinischen Bereichs mit dem klinischen Bereich gegeben sein wird, kann vorerst noch nicht voll zu Tage treten.
Die Finanzierung für das Modul II – die Fertigstellung des gesamten Med Campus – gemeinsam mit der nunmehr simultan geplanten Verlegung des Anatomie-Instituts ist noch nicht gesichert. Es sind allerdings alle Vorarbeiten erledigt und wir könnten durchstarten, sobald wir das Go vom Ministerium bekommen.
Im sogenannten Bauleitplan-Süd aller Grazer Universitäten sowie der Universitäten in Leoben und Klagenfurt steht das Projekt auf Bundesseite an erster Stelle. Wir hoffen auf einen positiven Bescheid noch im ersten Quartal dieses Jahres. Wenn es jetzt genehmigt würde, könnten wir 2020 fertig sein. Das ist eine sehr anspruchsvolle Timeline, aber die Vorbereitungen sind, wie gesagt, getroffen.
Sie starten mit einem zu zwei Dritteln neuen Vizerektoratsteam. Der Finanzexperte Lackner bleibt. Mit Doris Lang-Loidolt haben Sie eine Klinikerin und Oberärztin und mit Caroline Schober-Trummler eine Chemikerin von der KFU ins Team geholt. Was wollen Sie mit diesem Team bewirken?
Samonigg: Das ist eine sehr gute Mischung exzellenter Persönlichkeiten. Es bleibt die Kontinuität des Wissens, um die finanziellen und rechtlichen Ressourcen in der Person von Vizerektor Lackner erhalten. Vizerektorin Lang-Loidolt ist ein klares Zeichen in Richtung Erfahrung und Durchsetzungsvermögen. Sie war ja bereits bisher in verschiedenen Funktionen in die universitäre Lehre involviert. Sie kennt insbesondere die Problematik des Spannungsfelds im Klinikum mit der Verpflichtung zur bestmöglichen Patientenversorgung einerseits, sowie zu Lehre und Forschung für MUG-Bedienstete andererseits. Ich erwarte mir von ihr auch einen deutlichen Schub in Richtung Entflechtung und Vereinfachung der Lehr-Organisation. Wir haben ein sehr gutes System aufgestellt. Aber wo ich sehr genau hinschauen möchte, ist, ob wir das eine oder andere nicht einfacher gestalten können – mit dem Ziel, gleichzeitig die Qualität weiter anzuheben. Es ist dies ein wichtiges Vorhaben, welches nur gemeinsam mit den Gremien und insbesondere gemeinsam mit den Studierenden Erfolg haben kann. Bezüglich der Vizerektorin für Forschung und Internationales bin ich überzeugt, dass durch sie ein zusätzlicher Blick von außen erschlossen wird und auch ein Zeichen der noch intensiveren Kooperation u. a. mit der KFU gesetzt wird. Schober-Trummler kommt aus einem der produktivsten und bekanntesten Forschungsbereiche der KFU und ist dort ob ihrer administrativen und organisatorischen Fähigkeiten und ihrer einschlägigen Expertise mit Tränen in den Augen verabschiedet worden. Ich erwarte mir nicht zuletzt durch ihr jugendliches Alter einen zusätzlichen Impuls in Richtung Aufbruchsstimmung.
Personalpolitik ist an einer Universität ein wichtiges Thema. Neigen Sie eher zu Hausbesetzungen oder zu internationalen Besetzungen?
Samonigg: Die Devise muss lauten: Die Besten müssen genommen werden. Die Besten kommen nicht automatisch aus dem Ausland. Wenn es vor Ort exzellente Leute gibt, sind sie zu bestellen. Aber es darf erst recht nicht den Reflex geben, Hände weg von Leuten, die von auswärts kommen. Wir müssen gemeinsam immer danach trachten, die wirklich besten personellen Ressourcen zu generieren. Die zentrale Frage ist: Wie können wir es schaffen, dass sich die Besten hier in Graz bewerben, dass exzellente Forscher auch verstärkt auf Graz aufmerksam werden und hierher kommen wollen? Das hat u. a. mit der Infrastruktur zu tun, wo wir sicherlich durch das Campus-Projekt europaweit mithalten können und in Zukunft wahrscheinlich auch mit vorne sein werden. Es hängt schlussendlich aber auch damit zusammen, welches personelle Umfeld wir darüber hinausgehend anbieten können. Finanziell müssen wir uns sehr nach der Decke strecken.
Stichwort Lehre. Da hat sich ja einiges verändert in der letzten Zeit. Sie sprechen von Vereinfachung, was heißt das konkret?
Samonigg: Ich bin noch nicht so weit, das im Detail zu überblicken. Wenn ich das System nach eingehender Beschäftigung nicht durchblicken kann, dann könnte das natürlich an meiner Intelligenz liegen. Es ist aber auch möglich, dass das System zu komplex aufgesetzt ist. Ich konnte mir bislang aus Zeitgründen noch keinen wirklich tiefen Einblick verschaffen, habe allerdings den noch zu verifizierenden oder auch zu falsifizierenden Eindruck, dass das mit sehr viel Engagement aufgesetzte, komplexe System möglicherweise ein Stück weit entflochten werden sollte und könnte.
Wir sprechen auch über die postpromotionelle Ausbildung. Da hat sich auch einiges getan. Haben Sie diesbezüglich bereits einen Überblick gewonnen?
Samonigg: Ja, das durchblicke ich sehr gut. Große Häuser, das betrifft das Klinikum und speziell die Universitätsklinik für Innere Medizin, haben gute Möglichkeiten, die neue Ärzteausbildungsordnung umzusetzen. Die Abteilungsstruktur, die wir an der Universitätsklinik für Innere Medizin haben, ist geradezu idealtypisch. Ich weiß, dass es an anderen Kliniken nicht ganz so einfach ist, etwa in den chirurgischen Fächern. Ich weiß, dass es an kleinen Häusern außerhalb von Graz da und dort zu einem ziemlichen Problem führen wird. Möglicherweise wird es bei den Leistungskatalogen noch Adaptionen geben müssen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es einerseits gelungen ist, Ausbildungen zeitlich zu verkürzen. Wir werden uns aber sehr anstrengen müssen, auch im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz, attraktive Ausbildungsmodelle in der Steiermark anzubieten, damit wir dem Sog, nach Deutschland zu gehen – unter anderem mit der Begründung, dass dort konsequentere Ausbildungsangebote vorhanden sind –, etwas entgegensetzen können. Wir müssen das optimieren. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es wird noch mehrere Schritte brauchen, damit wir diesen Sog umdrehen, damit wir verstärkt sehr gute Ärztinnen und Ärzte vom Ausland zu uns bringen, um einem allfälligen Ärztemangel entgegenzuwirken.
Wettbewerb gibt es auch mit den anderen Medizinischen Universitäten in Österreich. Mit der Linzer Fakultät gibt es eine Mischung aus Wettbewerb und Kooperation. Wie wird sich Graz nicht zuletzt im Lichte des neuen KA-AZG erfolgreich schlagen können?
Samonigg: Prinzipiell glaube ich, dass in Zeiten, in denen wir mit den Auswirkungen des Krankenanstaltenarbeitszeitgesetzes massiv kämpfen, jede Universität selbst massive Herausforderungen hat, diese Hürden zu überwinden. Hier kann ich aus meiner Sicht nur die Situation am Klinikum beleuchten. Es ist im ersten Schritt gelungen, das Ärgste abzuwenden, aber nur, weil sich der Großteil der Ärztinnen und Ärzte bereit erklärt hat, die Ärmel noch mehr als bisher hochzukrempeln und mitzutun, zu helfen, damit wir nicht in ein Chaos stürzen. Trotzdem sollten wir uns klar darüber sein, dass die Zahl der Ärzte, die am Tag anwesend sind, aufgrund des neuen KA-AZGs natürlich reduziert ist. Wer das nicht eingesteht, versucht, Sand in die Augen zu streuen. Wir sollten auch klar zur Kenntnis nehmen, dass es für die Kollegen und Kolleginnen, die jeweils Nachtdienst gemacht haben, zwar angenehm ist, am nächsten Morgen nach Hause zu gehen. Aber die Gleichen sagen zu Recht, dass sie an den Tagen, an denen sie tagsüber arbeiten, wesentlich mehr Stress und Druck haben. Also, die Ärzte sind in der Zeit, in der sie hier sind, mehr denn je gefordert. Und das mit der Drohung im Nacken, dass wir in ein paar Jahren die Opt-out-Lösung in Österreich nicht mehr haben werden – im Unterschied zu anderen Ländern. Gleichzeitig sehen manche die Drohung, Journaldienste herunterzufahren, als Lösung und wollen nicht wahrhaben, dass dies zu einer Qualitätsreduktion für die Patientinnen und Patienten führen wird. Es muss kreative Modelle dafür geben, das Problem zu lösen, ohne die Qualität zu reduzieren, aber nicht auf Kosten der Ärztinnen und Ärzte. Es gibt Modelle für die Universitätsklinik für Innere Medizin, die wir noch nicht umsetzen können, weil in der KAGes diesbezüglich derzeit die Mittel fehlen. Das muss man respektieren. Aber es gibt die Möglichkeit, durch kreative Modelle unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Ärzte und der Patienten Lösungen zu verwirklichen, die eine Einschränkung der Qualität vermeiden.
Was heißt in diesem Zusammenhang kreativ?
Samonigg: Indem wir zum Beispiel für dieses Haus den konkreten Vorschlag gemacht haben, die Bettenkapazität der EBA zu erweitern, damit diese Patienten nicht mehr in der Nacht auf die Stationen kommen, mit Zusatzbelastung der Ärzte, der Pflege und der Nachbarpatienten. Zusätzlich müssten so manche unserer EBA-Patienten erst gar nicht stationär aufgenommen werden, hätte man vor Ort in der EBA die Möglichkeit eines längeren Aufenthaltes und einer noch intensiveren Abklärung. Dies ist leider derzeit noch nicht möglich. Es gibt auch Bereiche, etwa die Erstaufnahme oder Teile der Intensivstation, wo die Kontinuität der Patientenbetreuung nicht so im Vordergrund steht wie auf den Normalstationen – dort kann man auch andere Dienstmodelle andenken. Es gibt vernünftige Modelle, die die Ärzte nicht in einen „Fabrikdienst“ bringen, die aber ein bisschen anders ausschauen und die, wenn es genügend Posten gibt, zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität führen und gleichzeitig für die Ärztinnen und Ärzte attraktiver sind als der Istzustand.
Das klingt nach Radldienst …
Samonigg: Radldienst ist negativ besetzt. Es ist dies ein Mischdienstmodell. Ähnliche Modelle gibt es im UKH. Dort klagt meines Wissens kaum ein Arzt über dieses Modell. Dort sind am Tag aber auch genügend Ärzte vor Ort.
Zurückkommend auf Ihre Frage nach dem Wettbewerb mit anderen medizinischen Universitäten in Österreich und der Fakultät Linz bedeutet dies, dass derzeit primär jede einzelne Universität mit obiger Problematik intensiv beschäftigt ist, da sich das neue KA-AZG natürlich auch ganz massiv im klinischen Bereich auf die Forschungs- und Lehrkapazität auswirkt. Auch hier gilt es, zwischen den Universitäten abgestimmt und kooperativ vorzugehen und – wohl erst sekundär – sich mit dem sicherlich notwendigen Wettbewerb auseinanderzusetzen.
Es gibt die bekannte Kooperationsvereinbarung mit der KAGes. Wie soll sie sich weiterentwickeln?
Samonigg: Beide Partner, KAGes und MUG, wissen genau, dass sie viel gewinnen, wenn sie es gemeinsam schaffen, die jeweils besten Lösungen für die anstehenden Probleme zu generieren und umzusetzen.
Der Kooperationsvertrag ist ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewesen und sollte aus meiner Sicht unbedingt nicht nur bestehen bleiben, sondern konstruktiv und effizient weiterentwickelt werden. Bessere Lösungen sind bekanntlich die Feinde der guten. Ich werde mich hierzu intensiv einbringen. Wenn wir gemeinsam zeigen können, dass es bessere Lösungen gibt als die bislang angedachten, wird dies auch zu keinem Widerstand führen, wenn wir sie umsetzen. Wir, MUG und KAGes, sitzen bildlich gesprochen im LKH-Univ. Klinikum in zwei Booten. Das geht auch ganz gut, wenn beide die gleiche Geschwindigkeit haben und auch parallel unterwegs sind. Aber es gibt leider immer noch Phasen, in denen wir unterschiedlich schnell unterwegs sind und auch der jeweils eingeschlagene Kurs nicht ganz parallel verläuft. Damit haben insbesondere die Vorstände der Kliniken und die Abteilungsleiter ein Problem, weil sie ja mit dem einen Fuß auf dem KAGes-Boot und mit dem anderen auf dem MUG-Boot stehen. Mein Lösungsvorschlag ist daher der „Katamaran“: zwei Rümpfe, gleiche Augenhöhe, fix miteinander verbunden, ein Steuerrad, mit einer Vereinbarung, wo es hingehen soll und einem Commitment darüber, wieviel Treibstoff beide zur Verfügung stellen. Wir wollen gemeinsam bestmögliche Patientenversorgung, bestmögliche Forschung und bestmögliche Lehre, gute Organisation und die Minimierung von Reibungsverlusten. Bekanntlich kann man sich in einem Katamaran manchmal im Backbord- und dann wieder im Steuerbord-Rumpf aufhalten. Man soll auch hin und her wechseln können – das wäre das idealtypische Modell. Mein Ziel ist, dass der Katamaran vom Stapel gelassen ist und fährt, wenn ich als Rektor ausscheide.
Eine Veränderung der steirischen Spitalsstruktur steht im Raum. Mit welchen Auswirkungen auf das Universitätsklinikum rechnen Sie?
Samonigg: Ich hoffe sehr, dass es gelingt, dies in gedeihlicher Stimmung so zu gestalten, dass es zu keinen negativen Auswirkungen kommt. Alle an dem Prozess Beteiligten sollten darauf achten, dass möglichst alle Menschen in der Steiermark mit unterschiedlichsten Erkrankungen, je nach Schweregrad, jeweils bestmöglich behandelt werden können. Man muss unabhängig von den Strukturen für die Bevölkerung nachhaltig sicherstellen, dass jemand, der 50 Kilometer oder mehr entfernt von einem Spital oder Zentrum lebt, die gleichen Chancen hat, einen Herzinfarkt, eine Krebserkrankung oder ein akutes Nierenversagen zu überleben, wie jemand, der direkt in Graz, kliniknahe, z. B. in der Hilmteichstraße, wohnt. Aus medizinischem Blickwinkel bestehen verschiedenste Modelle, dies den Menschen auch ehrlich anbieten zu können. Ob das immer an eine bestimmte Struktur mit einer bestimmten Bettenzahl gekoppelt ist, muss man hinterfragen dürfen. Aber es gibt sicherlich auch eine andere Perspektive – die der lokalen Arbeitsplätze. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu kommentieren. Ich verstehe aber auch die diesbezüglichen Ängste. Wenn wir ein gutes, abgestimmtes Versorgungskonzept in der Steiermark umsetzen, sollte es gelingen, gute, moderne Medizin flächendeckend anzubieten. Ich bin dagegen zu sagen, wir wollen einsparen, das ist ein falsches Signal. Es ist am Klinikum falsch und es ist für jedes Haus draußen falsch. Es darf nicht um Einsparungen per se gehen. Es muss darum gehen, das Geld, das wir jetzt ausgeben, möglichst so einzusetzen, dass die Versorgungssicherheit und die Versorgungsqualität gewährleistet bleiben und gegebenenfalls weiter ausgebaut werden. Und wir sollten versuchen, beizutragen, den notwendigen Zuwachs an finanziellen Mitteln im Gesundheitsbereich in Grenzen zu halten.
Man darf ja nicht nur den intramuralen Bereich sehen.
Samonigg: Ja, ganz sicher! Ich beobachte mit gewisser Sorge die Ideen, die niedergelassenen Allgemeinmediziner und auch die Fachärzte im niedergelassenen Bereich schrittweise durch sogenannte Versorgungszentren zu ersetzen. Wenn, kann es nur ein vernünftiges Sowohl-als-auch geben. Aber ich persönlich halte es für eine der größten Herausforderungen, das primär nicht so umzusetzen, sondern die Attraktivität für den niedergelassenen Arzt zu erhöhen. Vorbildaktionen in Bayern und anderswo gibt es bereits. Manche hier in Österreich sind aber momentan noch der Meinung, wir machen dieses Alternativmodell, wo wir in Wirklichkeit auf diese Struktur bewusst oder unbewusst verzichten wollen. Ich halte das für keine gute Entwicklung. Eine hochqualifizierte Betreuung im niedergelassenen Bereich ist auch für uns im Spitalsbereich ganz essenziell.
Wenn man von Universität spricht, muss man ja auch den Standort insgesamt betrachten. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit den anderen Universitäten der Steiermark?
Samonigg: Die Stärke des Südens ist eine ehrlich gelebte Bereitschaft zur Kooperation zwischen allen Universitäten. Das hab ich z. B. beim Campus-Projekt erleben dürfen.
Die vier Grazer Universitäten bemühen sich wirklich, Kooperation zu realisieren und nicht nur darüber zu reden. Das gilt für Forschungsprojekte, aber auch für die gegenseitige Unterstützung, zum Beispiel durch Verständnis und gegenseitiges Fördern von Weiterentwicklungen. Dies möchte ich als nunmehriger Rektor der Med Uni Graz unbedingt aufrechterhalten und weiter ausbauen. Dass in den letzten Jahren so viel weitergegangen ist, hängt auch damit zusammen, dass wir uns nicht gegenseitig bekämpfen, sondern gemeinsam agieren.
Ein Thema, mit dem Sie verknüpft sind, sind die großen Erfolge in der Palliativmedizin. Als Rektor sind Sie ein wenig weiter weg, was können Sie jetzt strukturell tun?
Samonigg: Es ist dies sicherlich nicht die primäre Aufgabe unserer Universität. Wir werden uns aber intensiv mit einbringen, wenn es um die Herausforderung geht, Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen, um für Menschen im hohen und sehr hohen Lebensalter ergänzende Betreuungsmodelle anzudenken und umzusetzen. Wir haben in der Steiermark ein exzellentes Netz für Palliativmedizin im klassischen Sinn aufgebaut. Aber Palliativmedizin ist nicht Geriatrie. Wir müssen unter einem Dach eine Zusatzstruktur bauen, in enger Zusammenarbeit mit allen und Schnittstellenprobleme vermeiden. Hier haben wir bereits sehr gute Voraussetzungen in der Zusammenarbeit mit den GGZ und den Elisabethinen.
Auch als Rektor ist es mir wichtig, Signale zu setzen, dass es an einer Medizinischen Universität in der Forschung und der Lehre nicht nur darum gehen kann, alles zu unternehmen, um Menschen zu heilen. Ich möchte auch deutlich signalisieren, dass es die Aufgabe und Verpflichtung einer medizinischen Universität ist, sich in Lehre, Forschung und Patientenbetreuung auch ganz besonders um Patienten zu kümmern, deren Erkrankungen nicht heilbar sind und auch zum Tod führen. Es ist also auch unsere Aufgabe, für diese Situationen wissenschaftliche Evidenz zu schaffen und diese auch zu lehren und umzusetzen. Nicht zuletzt, um den zukünftigen Ärztinnen und Ärzten die kommunikativen und emotionalen Hilfsmittel in die Hand zu geben, auch Menschen mit nicht heilbaren Krankheiten empathisch und fachlich hoch qualitativ zu betreuen.
Zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg wurde 1951 in Spittal/Drau in Kärnten geboren.
Er promovierte 1979 in Graz, ist seit 1986 Facharzt für Innere Medizin und seit 1992 Univ.-Prof.
Von 1994 an leitete er die Klinische Abteilung für Onkologie der Med. Univ. Klinik Graz. Von 2001 bis 2008 war er Vizedekan der Fakultät bzw. Vizerektor der MUG, danach als Direktor der Medizinischen Universität Graz Leiter der Organisationseinheit zur Entwicklung des MED CAMPUS. Von 2008 an war er zuerst Vizepräsident und dann Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie.
Zitate
„Es gibt die Möglichkeit, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Ärzte und der Patienten Lösungen zu verwirklichen, die eine Einschränkung der Qualität vermeiden.“
„KAGes und MUG wissen genau, dass sie viel gewinnen, wenn wir es gemeinsam schaffen, die jeweils besten Lösungen für die anstehenden Probleme zu generieren und umzusetzen.“
„Ich möchte auch deutlich signalisieren, dass es die Aufgabe und Verpflichtung einer medizinischen Universität ist, sich auch ganz besonders um Patienten zu kümmern, deren Erkrankungen nicht heilbar sind.“
„Man muss sicherstellen, dass jemand, der 50 Kilometer oder mehr entfernt von einem Spital oder Zentrum lebt, die gleichen Chancen hat zu überleben, wie jemand, der direkt in Graz wohnt.“
„Eine hochqualifizierte Betreuung im niedergelassenen Bereich ist auch für uns im Spitalsbereich ganz essenziell.“
Fotos: Schiffer