Im Netzbett – gefangen oder geschützt?
Seit Juli 2015 sind Netzbetten in Österreich verboten. Als alternative freiheitseinschränkende Maßnahme wird bei akutem Raptus die 5-Punkt-Fixierung angewendet – oft in Kombination mit medikamentöser Sedierung. Die Bilanz der Experten fällt durchwachsen aus.
U. Jungmeier-Scholz
Nur „aus dem Museum“ kenne er Netzbetten, nicht aber aus seiner langjährigen ärztlichen Tätigkeit, betonte der deutsche Professor für Psychiatrie Heinrich Kunze vor der Wiener Untersuchungskommission. Diese war im Frühjahr 2008 eingesetzt worden, nachdem eine Patientin im Netzbett fast verbrannt wäre. Immer wieder war im Zusammenhang mit Netzbetten auch von die Menschenwürde verletzender, käfigähnlicher Unterbringung die Rede. Schließlich ist das Netzbett, auch Psychiatrisches Intensivbett (PIB) genannt, ähnlich konstruiert: Ein Bettgestell, über dem sich eine Metallkonstruktion befindet, die auf allen Seiten mit einem textilen Netz überzogen ist. Auf einer Bettseite kann das Netz zum Ein- und Ausstieg heruntergelassen werden.
Ein Bett des Grauens? „Netzbetten repräsentieren sicher nicht die schönste Seite der Psychiatrie“, betont Michael Lehofer, Leiter der Abteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie 1 und 3 am LKH Graz Süd-West. „Von außen gesehen schauen sie furchtbar aus. Subjektiv wurde ihr Einsatz von den Patienten nicht selten jedoch angenehmer erlebt als die nun bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung angewandte 5-Punkt-Fixierung.“ Denn nur im Zustand ernstlicher und erheblicher Gefahr dürfen Maßnahmen zur Freiheitseinschränkung angewendet werden, und sie müssen entsprechend begründet und dokumentiert werden (siehe Kasten). Dabei lautet die Devise, für einen möglichst kurzen Zeitraum das gelindeste Mittel zu wählen.
Verboten und entsorgt
Mittlerweile steht eine freiheitsentziehende Maßnahme weniger zur Auswahl: Nach mehr als 100-jährigem Einsatz gehört das Netzbett in Österreich der Geschichte an: Seit Juli 2015 sind Netzbetten per Erlass des Gesundheitsministeriums abgeschafft – sowohl in Einrichtungen nach dem Unterbringungsgesetz als auch in jenen, für die das Heimaufenthaltsgesetz gilt. Im Bereich des Strafvollzugs durften sie bereits seit einem Erlass des Justizministeriums vom 18.11.1999 nicht mehr eingesetzt werden.
Die letzten österreichischen Bundesländer, in denen Netzbetten verwendet wurden, waren Wien und die Steiermark – vor allem in psychiatrischen Einrichtungen, vereinzelt auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Viele psychiatrische Institutionen haben die Netzbetten jedoch sofort entsorgt, als das Verbot am 1. September 2014 per Erlass des Gesundheitsministeriums angekündigt worden war.
War die Psychiatrie in Wien und der Steiermark so rückständig und wurde daher mit dem Verbot ein Missstand endlich beseitigt? Darüber herrscht keine einheitliche Meinung.
Prof. Hans-Peter Kapfhammer, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Grazer Klinikum, sieht im Netzbetten-Verbot nicht unbedingt eine Verbesserung für die betroffenen PatientInnen: „Die Entscheidung, die Netzbetten in der Psychiatrie abzuschaffen, war weniger von fachlichen und sachlichen Argumenten bestimmt, sondern erfolgte auf Anordnung des Bundesministeriums nach vorheriger Intervention der Volksanwaltschaft.“ An der von ihm geleiteten Uniklinik wurden die Netzbetten mit Jahresbeginn 2015 eingezogen.
Kapitel geschlossen?
Ausschlaggebend für die Neuregelung waren Interventionen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) sowie der Volksanwaltschaft. Das Anti-Folter-Komitee hatte Netzbetten in mehreren Berichten an die Bundesregierung als Form der erniedrigenden Behandlung klassifiziert und gefordert, sie gänzlich aus dem Verkehr zu ziehen. Volksanwalt Günther Kräuter resümierte nach Bekanntwerden des Verbots in einer abschließenden Aussendung: „Ein dunkles Kapitel der österreichischen Psychiatrie wird endgültig geschlossen.“
Hundertprozentig scheint die Endgültigkeit dieser Regelung jedoch nicht gegeben zu sein. „Es wird juristisch darüber debattiert, ob ein solcher Erlass für die Einrichtungen überhaupt verbindlich ist“, gibt Medizinrechtsexperte Christian Kopetzki von der Uni Wien zu bedenken. Er selbst würde das eher verneinen, auch die Gerichte müssten sich seiner Einschätzung nach nicht daran halten.
Fehlt im Spektrum
Ob nun endgültig oder nicht – derzeit sind in Österreich keine Netzbetten mehr in Verwendung. Fachärzte ziehen Bilanz über ihre Erfahrungen ohne Netzbett. „Ich finde, es fehlt im Spektrum der Möglichkeiten von Freiheitseinschränkung – vor allem im psychiatrischen Bereich“, sagt Friedrich Rous, ärztlicher Leiter des Johannes von Gott-Pflegezentrums der Barmherzigen Brüder in Kainbach bei Graz. Im Bereich der Heimunterbringung gäbe es andere beruhigende Maßnahmen (siehe Kasten) – und als Ultima Ratio die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt. „Die als Alternative zum Netzbett in der Psychiatrie angewandte, gesetzeskonforme 5-Punkt-Fixierung erscheint mir in vielen Fällen als gravierenderer Eingriff“, sagt der Arzt. Auch Jurist Kopetzki kann nicht erklären, warum ein Netzbett nicht menschenrechtskonform sein soll, die Fixierung aber schon. „Ich halte die ‚Sonderlösung‘ für Netzbetten nicht für überzeugend.“
Während sich Menschen im Netzbett ihre Körperhaltung weitgehend selbst aussuchen, sich bei Juckreiz kratzen und umdrehen können, aber auch eine Trinkflasche oder ein Kuscheltier bei sich haben können, ist die Freiheit im fixierten Zustand deutlich eingeschränkter.
Aus ärztlicher Sicht hat aber auch die Fixierung Vorteile. So gab Kurt Sindermann, bis 2014 ärztlicher Leiter am Therapiezentrum der Stadt Wien in Ybbs an der Donau, vor dem Wiener Untersuchungsausschuss zu Protokoll, worin aus seiner Sicht die Vorteile einer Fixierung gegenüber dem Netzbett bestünden: „Für mich ist der Vorteil des Gurtensystems, dass ich zu den Patienten ganz nahe heran kann. Ich kann den Puls fühlen, ich kann den Blutdruck messen, ich kann eine Infusion legen, ich kann den Menschen internistisch untersuchen (…) ich kann Medizin machen.“
Fixiert gestorben
Da Menschen im akuten Erregungszustand enorme Kräfte entwickeln, müssen die Gurte beim Fixieren ziemlich fest angelegt werden, um eine (teilweise) Befreiung und damit verbundene Strangulationsgefahr auszuschließen. Nicht immer lässt sich dabei die Sicherheit der Patienten wahren: Am Institut für Rechtsmedizin in München wurden in den Jahren 1997 bis 2010 26 Verstorbene obduziert, die zum Zeitpunkt ihres Todes fixiert waren. Bei 22 wurde die Fixierung als Todesursache festgestellt, bei den anderen wurde ihr eine mit beeinflussende Komponente zugesprochen. 19 starben wegen einer falschen Anwendung der Gurte. Bei einem war zwar die Anwendung der Gurte fachgerecht erfolgt, er starb „aufgrund seiner Wendigkeit“ durch Strangulation. Wer also die Fixierung als gelinderes Mittel im Vergleich zu Netzbetten sieht, muss damit nicht in jedem Fall richtig liegen.
Jemanden zu fixieren, erklärt Friedrich Rous, dauere zudem länger und erfordere mehr körperlichen Einsatz als die Unterbringung in einem Netzbett. „Ein unwürdiges Spektakel. Da fühlt man sich nicht wohl als Arzt.“ In Kainbach würden daher auch keine 5-Punkt-Fixierungen durchgeführt – Patienten, die sich durch keine deeskalierende Maßnahme beruhigen lassen, müssten an die Psychiatrie überwiesen werden.
Nicht mehr zeitgemäß
So wird es auch in den Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz gehandhabt. Eric Stoiser, ärztlicher Leiter der GGZ, betont, hier seien seit 1990 keine Netzbetten eingesetzt worden – so lange ist er im Hause tätig –, aber vermutlich hätte es auch zuvor keine gegeben. Fixierungen würden seit den frühen 1990ern keine mehr vorgenommen. „Beides ist in der Geriatrie nicht mehr zeitgemäß“, erklärt Stoiser. In den GGZ kämen bei Sturzgefahr Niederflurbetten zum Einsatz, seit kurzem werde auch Bodenpflege praktiziert. „In einzelnen Fällen kommen auch sedierende Medikamente zum Einsatz“, so Stoiser. „Sie werden allerdings primär verwendet, um eine Gedankenspirale zu unterbrechen. Die Dosis wird dann so rasch wie möglich minimiert.“ Dass dies unverzüglich geschehe, würde auch die Patientenvertretung im Auge behalten.
Wichtig sei es, im Umgang mit Dementen jegliche Hektik zu vermeiden, die zu Stress und Aggressionsausbrüchen führen könne. „Motorisch unruhig ist man, wenn einen die Gedanken dazu treiben.“ Solange keine Gefahr für Leib und Leben besteht, wird die Motorik in den GGZ auch zugelassen: Per Desorientierungschip werden jene überwacht, die sich gerne aus dem Stationsbereich entfernen. Passieren sie bestimmte Punkte, wird das Personal automatisch alarmiert und holt sie zurück. Bei akuter Gefährdung wird medikamentös sediert und – wenn gar nichts mehr hilft – über den Polizeiarzt an die Gerontopsychiatrie überwiesen.
Letzte Instanz
Während andere Institutionen gefährliche Patienten und Bewohner überweisen können, ist dies auf der Psychiatrie nicht möglich – sie ist sozusagen die letzte Instanz. Psychiatrische Abteilungen müssen Menschen manchmal in einem Zustand übernehmen, wo eine massive Selbst- und Fremdgefährdung gegeben ist. „Da sind bei der Einlieferung bis zu zehn Polizisten auf einmal im Einsatz – und unsere erste Aufgabe ist es dann, die Patienten entsprechend zu behandeln, dass sie sich selbst und andere nicht mehr in Gefahr bringen“, sagt Lehofer. Hier gilt es auch, für die Sicherheit des Klinikpersonals zu sorgen. Folglich waren an den steirischen psychiatrischen Abteilungen, an der Uniklinik und im LKH Graz Süd-West am Standort Süd, Netzbetten im Einsatz, die nach dem Verbot von Fixierungen abgelöst wurden. „Wir sind mit dieser Modalität der Beschränkungsmaßnahme in der Vergangenheit sehr sensibel umgegangen – und tun dies jetzt mit der Alternative 5-Punkt-Fixierung“, betont Kapfhammer für die Uniklinik.
Am LKH Graz Süd-West, Standort Süd, resümiert Primarius Lehofer: „Wir leben mit der Situation. Ich bin nicht so glücklich über die Fixierung als einzige Möglichkeit, aber sie hat neben den Nachteilen auch Vorteile: Oft ist eine zwar anfangs etwas höhere Medikation notwendig, dafür erfolgt die Fixierung für einen kürzeren Zeitraum.“ Eine Fixierung erfolge in einem Zeitrahmen von wenigen Minuten bis zu ein paar Stunden, nur in Extremfällen länger.
Im Zuge der Reduzierung der Netzbetten 2010 im damaligen LSF und der gänzlichen Abschaffung 2013 sei ein kontinuierlicher Anstieg an Fixierungen zu verzeichnen gewesen, so Lehofer. Insgesamt sei jedoch die Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahmen gesunken, die anfangs notwendige Medikation habe zwar zugenommen, aber „maßvoll“. Die Fixierung erfolge in eigenen Räumen und es sei immer jemand in der Nähe, mit dem der/die Fixierte Blickkontakt aufnehmen könne.
Für Österreich gibt niemand Zahlen preis – laut einer Publikation der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie aus dem Jahr 2010 liegen zumindest für Slowenien Daten für den Prä-post-Vergleich vor, die eine generelle Reduktion von Zwangsmaßnahmen durch das Netzbettenverbot belegen.
Kein Vorteil herauszulesen
Dass die Fixierung als menschenrechtskonform gilt, nicht aber das Netzbett, lässt sich jedenfalls nicht durch das Empfinden der Betroffenen erklären. Im Zuge seiner Masterthesis im Studiengang Health Care Management hat Wolfgang Egger Menschen befragt, die mindestens eine der beiden Zwangsmaßnahmen erfahren haben. Insgesamt berichteten 80 Prozent der Befragten, durch die Maßnahme zur Ruhe gekommen zu sein und die Kontrolle wiedererlangt zu haben. Nach einem Aufenthalt im Netzbett waren es sogar 90 Prozent. Naturgemäß war die Situation für die meisten emotional extrem belastend (61 Prozent), allerdings gaben mehr als ein Drittel mit Netzbett-Erfahrung an, sie hätten während der Maßnahme auch positive Empfindungen gehabt, während das bei den Fixierten gar nicht der Fall war. Zwar sind die Ergebnisse der Befragung nicht einfach zu interpretieren, ein Vorteil der Gurtenfixierung gegenüber dem Netzbett lässt sich laut Egger jedoch keinesfalls herauslesen. Trotzdem empfahl das CPT, Netzbetten aus dem Verkehr zu ziehen und gab in puncto Fixierung lediglich die Anweisung, diese möge „prinzipiell außer Sicht anderer PatientInnen geschehen“ – also keine Empfehlung zur Abschaffung. Auch der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft (MBR) hielt in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2014 fest: „Der MBR verkennt nicht, dass es medizinisch indizierte Sondersituationen über eng begrenzte Zeiträume geben kann, während denen eine direkte Fixierung am Krankenbett unter laufender bed-side-Beobachtung durch entsprechend qualifiziertes ärztliches oder pflegerisches Personal notwendig und dann als gelindestes Mittel auch menschenrechtlich verhältnismäßig sein kann.“
Anders sieht die Diskussion im Behindertenbereich aus. In den Handlungsempfehlungen des UN Fachausschusses zur Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird ein „sofortiges Ende von nicht einvernehmlichen Praktiken, insbesondere Netzbetten und Fixierungen“ gefordert.
Priorität vor der Fixierung haben alle anderen deeskalierenden Maßnahmen – wie im Idealfall auch schon zu Zeiten des Netzbettes. Möglicherweise hat das Netzbettverbot dazu geführt, dass nun noch mehr Augenmerk auf deeskalierende Maßnahmen vorab gelegt wird – ansonsten ist zu konstatieren, dass es durch die Fixierung ersetzt wurde.
Rechtliche Grundlagen: UbG & HeimAufG
Im § 33 des Unterbringungsgesetzes wird festgehalten, dass zusätzliche Beschränkungen während der Unterbringung vom behandelnden Arzt eigens angeordnet und in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes dokumentiert werden müssen. Außerdem sind sofort der Vertreter des Kranken bzw. der Patientenanwalt darüber zu informieren; auf Antrag des Kranken oder seines Vertreters muss das Gericht unverzüglich über die Zulässigkeit entscheiden. Diese „Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes“ sind nach Art, Umfang und Dauer nur zur Abwehr einer Gefahr zulässig und müssen zu dieser im Verhältnis stehen.
Nach §§ 4–7 des HeimAufG dürfen psychisch kranke oder behinderte Bewohner nur dann in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, wenn Leben und Gesundheit „ernstlich und erheblich gefährdet“ sind und die Maßnahme zur Abwehr der Gefahr unerlässlich ist. Dauer und Intensität müssen im Verhältnis zur Gefahr stehen. Eine medikamentöse Freiheitseinschränkung muss vom Arzt angeordnet werden, Maßnahmen im Rahmen der Pflege können von Angehörigen des gehobenen Dienstes durchgeführt werden. Grund, Art, Beginn und Dauer sind schriftlich zu dokumentieren, der Leiter der Einrichtung ist zu verständigen, ebenso der Betroffene, sein Vertreter oder eine Vertrauensperson.
Von der Zwangsjacke zur Fixierung
Die gelindeste Mittel der Freiheitseinschränkung besteht in der Unterbringung in einem geschlossenen Bereich, innerhalb dessen jedoch Bewegungsfreiheit herrscht. Mögliche zusätzliche Einschränkungen sind die Isolierung in einem Raum (früher Gummizelle genannt), die medikamentöse Sedierung, die Fixierung und das Netzbett, wobei jeweils auch Kombinationen von Maßnahmen angewendet werden – oder angewendet wurden. Vor allem im geriatrischen Bereich wird die Bewegungsfreiheit auch durch Plüschsessel oder Sitzsäcke, aus denen Alte nicht ohne Hilfe aufstehen können, eingeschränkt, – oder durch einen Vorstecktisch, der am Stuhl befestigt wird.
Die Regelungen einzelner Staaten zur erlaubten Bewegungseinschränkung unterscheiden sich wesentlich von einander: So ist in den Niederlanden die Isolierung die übliche Maßnahme, in Großbritannien, wo mechanische Fixierungen verboten sind, werden Menschen mit akutem Raptus festgehalten (physical restraint), was maximal zwanzig Minuten dauern soll. Bis das gleichzeitig gegebene Medikament wirkt. Bis mindestens 2009 wurden in Finnland Zwangsjacken verwendet, in der Schweiz wurden psychiatrische Patienten in Tücher gewickelt, sodass sie niemanden mehr verletzen konnten. In Deutschland wurde zeitgleich mit dem Verbot der Netzbetten in Österreich eine „unerwartete Konjunktur“ derselben (zit. nach Psych. Pflege Heute 5/2015) konstatiert.
„Time-out-Raum“ als Ultima Ratio
Im Johannes von Gott-Pflegezentrum in Kainbach gibt es Snoezel-Räume, in denen angespannte PatientInnen zur Ruhe kommen können, bevor die Situation eskaliert.
Diese Räume, erfunden von zwei niederländischen Zivildienern, bieten ein Maximum an Komfort durch angenehmes Licht, weiche Sofas oder Wasserbetten. Sie werden mit beruhigender Musik oder Wasserrauschen beschallt, beduftet, alles darin geschieht langsam und soll dazu beitragen, eine entspannende Atmosphäre herzustellen.
Als hauseigene Ultima Ratio steht der Time-out-Raum zur Verfügung, ein fensterloser, reizarmer gepolsterter Raum – sogar der Stoff der Polstermatten hat einen möglichst glatten Bezug –, in dem tobsüchtige BewohnerInnen bis zu ihrer Beruhigung verbleiben können, ohne sich selbst und anderen wehzutun und ohne medikamentös sediert zu werden.
Im Raum selbst sind sie allein, werden jedoch permanent per Video überwacht und sobald wie möglich herausgelassen. Manchmal reicht eine halbe Stunde, viel länger als zwei Stunden sollte aber niemand im Time-out-Raum verbleiben. Ansonsten erfolgt die Überweisung in die psychiatrische Klinik.
„Es wird juristisch darüber debattiert, ob ein solcher Erlass für die Einrichtungen überhaupt verbindlich ist.“
Christian Kopetzki
„Netzbetten repräsentieren sicher nicht die schönste Seite der Psychiatrie … Subjektiv wurde ihr Einsatz von den Patienten nicht selten jedoch angenehmer erlebt als die (...) 5-Punkt-Fixierung.“
Michael Lehofer
„Die Entscheidung, die Netzbetten in der Psychiatrie abzuschaffen, war weniger von fachlichen und sachlichen Argumenten bestimmt …“
Hans-Peter Kapfhammer
„Ich finde, das Netzbett fehlt im Spektrum der Möglichkeiten von Freiheitseinschränkung – vor allem im psychiatrischen Bereich.“
Friedrich Rous
Fotos:
Ein Foto aus dem Museum – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Es zeigt Netzbetten in einer Psychiatrie Anfang des 20. Jahrhunderts.
Foto: Württembergisches Psychiatriemuseum
Barmherzige Brüder Kainbach:
Angespannte Patientinnen und Patienten können im Snoezel-Raum zur Ruhe kommen.
Foto: BB Kainbach