„Ich will Spuren hinterlassen“
Anastasija Sugic kam nach Graz, um Ärztin zu werden, schloss das Medizinstudium ab und blieb als international gefeierte Designerin.
U. Jungmeier-Scholz
Kindheit am Dorf in der Nähe von Banja Luka in Nordbosnien. Anastasija Sugic – heute als Designerin international bekannt unter dem Namen Anastasia Su – spielt im Wald um den Bauernhof der Großmutter, läuft durchs hohe Gras der Wiesen und „will Spuren hinterlassen“. Ein gutes Vierteljahrhundert später sind diese Spuren deutlich zu sehen: In der Kanonenhalle des Zeughauses, in Form einer dominant geometrischen Schmuckkollektion, oder am neuen Schwebesessel, auf dem das Sitzen fast so dynamisch verläuft wie das Leben der gebürtigen Bosnierin.
Dazwischen liegen Kindheits- und Jugenderfahrungen zwischen Entbehrungen im Krieg und der Fülle an Kreativität, die ihr die Familie bietet: Die Mutter, selbst Modedesignerin und Inhaberin mehrerer Boutiquen in Banja Luka, wohin die Sugics schließlich übersiedeln. Sie ermöglicht der erst 13-jährigen Tochter, ihr erstes Kleid zu entwerfen und auch umsetzen zu lassen. Anastasija designt ein Kleid der Zukunft – für eine Erwachsene. Mittlerweile ist die 31-Jährige hineingewachsen und trägt das behutsam aufbewahrte Stück selbst.
Der Vater, Musikproduzent und leidenschaftlicher Rockmusiker, wird zum Vorbild des jüngeren Bruders Severin, dessen Welt die elektronische Musik ist. Die Eltern lassen den Kindern freie Hand bei der Berufswahl, leben ihnen die interdisziplinäre Kreativität einfach vor. Was beim Nachwuchs auf fruchtbaren Boden fällt: Bei der aktuellen Ausstellung in Berlin mit dem Beitrag „Architectural Fashion“ von Anastasia Su (und Martin Lesjak), der dann zur Biennale nach Venedig übersiedeln wird, ist Severins Musik Teil der Installation.
Zwei Wege, ein Ziel
In welcher Form Anastasija Sugic ihre Spuren hinterlassen würde, war nicht von vornherein klar. „Als kleines Kind habe ich entweder gezeichnet und gemalt oder war mit meinem Spielzeug-Arztkoffer unterwegs und habe meinen Verwandten Rezepte ausgestellt“, erzählt sie rückblickend.
Beide Passionen verfolgt sie voll Neugier, aber ebenso zielstrebig: Indem sie nicht nur eigene Kleider entwirft, sondern auch eine Art medizinisches Gymnasium besucht, das eine Krankenschwesternausbildung beinhaltet, aber eben auch eine solide Basis für ein Medizinstudium legt. Der Wunsch, noch etwas ganz Anderes zu machen, bringt Su nach der Matura nach Graz.
„Ich wollte unbedingt eine Sprache lernen.“ Dass sie ausgerechnet im Jahr der Kulturhauptstadt hierher kommt, kann eigentlich kein Zufall sein, ist aber nur ein zusätzliches Benefit einer bereits getroffenen Entscheidung. Mit ganzer Kraft widmet sie sich dem Spracherwerb und baut einen beeindruckenden Wortschatz auf. Ihre Aussprache repräsentiert nach 13 Jahren in Graz die Vielfalt ihres Lebens – ein bisschen Bosnisch und ein bisschen Steirisch dringen durch. Wer weiß, was noch dazukommen wird?
Die neue Sprache wird zum Schlüssel für ihr Medizinstudium, das sie 2004 in Graz beginnt und 2012 mit der Promotion beendet.
Kunst auf kranker Haut
Jetzt könnte der Turnus beginnen oder eine Facharztausbildung als Dermatologin. Was Sugic besonders fasziniert, ist die Haut. „Sie hat eine spezielle visuelle Komponente.“ Selbst das Lernen dermatologischer Erkrankungen und des dazu gehörenden Hautbildes ist für sie eine Art Kunst – und geht ihr deshalb nahezu spielerisch von der Hand. „Ich habe in den Hautkrankheiten immer ein Muster gesehen.“ Dass sie letztlich den Weg der Medizin (vorerst) nicht weiter verfolgt, will sie keinesfalls als Absage an das österreichische Gesundheitssystem verstehen. Es ist einfach anders gekommen.
Die Weiche stellt ein gewonnener Wettbewerb: Zur Zeit des Studienabschlusses lädt Martin Lesjak, Architekt und Gründer des Büros Innocad, Anastasia Su ein, sich am Wettbewerb zur Neugestaltung der Kanonenhalle im Grazer Zeughaus zu beteiligen. Er will ein interdisziplinäres Team zusammenstellen, das keine gedanklichen Grenzen kennt. Sie arbeitet damals schon als selbstständige Designerin – und die neue Aufgabe reizt sie sofort. Etwas zu machen, das sie noch nie probiert hat – genau das Richtige für die unbezähmbar Neugierige.
13&9 statt 0815
Das Siegerprojekt bringt Su und Lesjak zusammen – zunächst im Job. Die beruflichen Agenden werden verflochten und das Büro 13&9 Design gegründet, das jetzt vom Teppichboden im Mondlandschaftslook bis hin zu schallbeeinflussenden Leuchtkörpern Auftragswerke für namhafte Unternehmen, aber auch Produkte des eigenen Labels gestaltet. Schwierig, wie in der kreativen Branche üblich, ist die Namensfindung.
Eine emotionale Komponente soll dabei sein – aber ja nicht 0815. Dann schon lieber 0913. Die Zahl 13 steht für Anastasia Su: „Sie war immer schon wichtig für mich, und das nicht nur, weil ich an einem Dreizehnten geboren wurde.“ Mit 13 das erste Kleid, 2013 die Firmengründung … der Rest bleibt geheim. Den Neuner hat Martin Lesjak eingebracht – die einstige Nummer auf seinem Fußballdress. Privat fanden die beiden einander auf einer New York-Reise 2013. Heute arbeiten sie beide, wenn auch auf unterschiedlichen Etagen, so doch bestens vernetzt, im Golden Nugget, dem schimmernden Haus in der Grazbachgasse. „Wir tauschen uns ständig kreativ aus.“
Über Stoff und Stein
Produktdesign und Medizin sind keine Antipoden: Das medizinische Wissen fließt beispielsweise in Möbelkonzepte ein. „Egal, ob Medizin oder Design – es geht immer ums Individuum. Ich möchte durch das Produkt mit Menschen in Beziehung kommen“, lautet Sus Credo. Wobei es ihr besonders große Freude bereitet, die Reaktion der Leute auf ihr Konzept zu erleben. „Gerade bei modularen Produkten schicken mir Nutzer manchmal ein Foto, um mir zu zeigen, was sie aus meiner Idee gemacht haben. Das finde ich wunderbar!“
Besonderes Augenmerk legt Anastasia Su auf die Oberflächen ihrer Produkte. Da dringt das Interesse an der Dermatologie wieder durch. „Ich will ein Produkt so gestalten, dass es die Menschen sofort angreifen wollen.“ Der taktile Aspekt zählt nicht nur bei der Auswahl von Stoffen, sondern auch beispielsweise beim Stein. Eine ganze Schmuckkollektion aus Corian, dem in der Architektur verwendeten Kunststein, ist bei 13&9 entstanden und wächst stetig weiter. Im Gegensatz zur Medizin verfügt Su im Bereich des Designs über keine Formalqualifikation. Das ästhetische Empfinden und der Drive zur Umsetzung liegen ihr im Blut. Diese Voraussetzung gibt sie gern an Jungdesigner weiter – als Lehrende auf der FH Joanneum im Lehrgang Ausstellungsdesign.
Ständig präsent
Die drei wichtigsten Produkte ihrer bisherigen Karriere sind die genannte Schmuckkollektion, die Su auch selbst trägt. Dunkle Steinoptik, von Hand poliert, aber extrem leicht. Das gebundene Steinmehl lässt sich leicht formen und fräsen, sodass dem Design(er) keine Grenzen gesetzt sind. Das Museum of Arts and Design in New York hat die Kollektion bereits präsentiert. Einer von vielen guten Gründen für Su, zwischen New York und Graz zu pendeln … um nicht zu sesshaft zu werden.
Das zweite wegweisende Designerstück ist ein Beleuchtungssystem, das gemeinsam mit XAL verwirklicht wurde: Hexagonale Beleuchtungskörper und akustische Elemente werden so kombiniert, dass sie in Großraumbüros für einen hellen und gleichzeitig ruhigen Arbeitsplatz sorgen.
Das dritte Produkt wird in Kürze am Markt eingeführt: Ein Sitzmöbel, auf einer Holzschale als Unterbau beweglich lagernd, das dem Sitzenden einiges an Balance abringt. Oder eben ständige geistige wie körperliche Präsenz. Genau das, was Designerin Anastasia Su selbst vorlebt.
„Ich habe in den Hautkrankheiten immer ein Muster gesehen.“
Anastasjia Sugic
Fototext:
Medizinisches Wissen fließt in Möbelkonzepte ein …
Anastasija Sugic/Anastasia Su auf einem Low Lounger (Viteo).
Fotocredits: Markus Mansi, Paul Ott