„Der erste Jahrgang ist nicht zu retten“
Mit einem deutlichen Appell, die Attraktivität der Allgemeinmedizin-Ausbildung zu verbessern, ließ die Vorsitzende der Jungen Allgemeinmedizin Österreich, Maria Wendler, bei der Zukunftskonferenz Primärversorgung aufhorchen. Zumindest ihre kurzfristige Prognose ist alles andere als optimistisch.
„Der erste Jahrgang in der neuen Ausbildungsordnung ist nicht zu retten“, befürchtet Maria Wendler, Vorsitzende der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ).
Nur zwei bis drei Prozent derjenigen, die jetzt ihre postpromotionelle Basisausbildung begonnen haben, scheinen sich dezidiert für die Allgemeinmedizin-Ausbildung zu entscheiden. Tatsächlich würde man aber weit mehr brauchen, um die kassenärztliche Allgemeinmedizin-Versorgung angesichts der zusätzlich kommenden Pensionierungswelle niedergelassener Ärztinnen und Ärzte für die Zukunft zu sichern.
Eine Ursache liegt in der Ausbildung selbst. Die „Unsicherheit“ müsse beendet werden, sagt Wendler. Dass junge Ärztinnen und Ärzte die Medizin zuerst aus der Krankenhausperspektive erleben und dabei vorrangig jene Fälle kennenlernen, wo allgemeinmedizinische Versorgung nicht klappt, würde Vorurteile schaffen und verfestigen, die unter Umständen dazu führen, sich nicht für Allgemeinmedizin zu entscheiden. „Wenn man zuerst die Allgemeinmedizin kennenlernt, entwickelt man einen anderen Blickwinkel und bleibt geerdet“, ist sie überzeugt.
Mit ein Problem sei aber auch, dass die Spitäler als Ausbildungsstellen weit mehr Interesse an künftigen Fachärztinnen und Fachärzten als an Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern hätten. Bei einigen Trägern würden sie deswegen sogar besser bezahlt, Allgemeinmedizin-InteressentInnen nur als Systemerhalter betrachtet und weit weniger Engagement in deren Ausbildung gelegt.
Das dritte Problem ist die Perspektive in der Praxis: „Die Sehnsucht nach einem Team ist heute größer“, übt sie Kritik an den mangelnden Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Jobsharing bis zu erweiterten Kooperationen. Zudem seien Mittel zur Verfügung zu stellen, die ausreichende medizinische Diagnostik erlauben. Restriktionen, auch bei einfachen Leistungen wie dem Labor, dürften nicht überhand nehmen. Gleichzeitig sei aber – hier schließt sich der Kreis – eine Ausbildung nötig, „die einen lehrt, mit den Unsicherheiten umzugehen“ und auf die Spezifika der Allgemeinmedizin vorbereitet.
Rasch handeln
Eine rasche Lösung aller Probleme ist nur schwer denkbar, aber die ersten Schritte zu größerer Attraktivität seien, so Wendler, umgehend einzuleiten. „Ein Zeichen in Richtung Wertschätzung“ seien gleiche Boni und gleiche Behandlung. Gefragt sind vor allem die Länder: „Wenn es den politischen Entscheidungsträgern wichtig ist, müssen sie einen Schwerpunkt setzen.“
Attraktive Karriere
Mittelfristig gehe es um eine „attraktive Karriere“ mit der Allgemeinmedizin. Zu den oben angerissenen Themen könnten dies Mentoring, Weiterbildungsverbünde nach deutschem Vorbild sein, das Angebot, universitär und in der postpromotionellen Ausbildung auch allgemeinmedizinisch forschen zu können (Wendler: „Wir haben zu wenig Versorgungsforschung in Österreich.“) und gute Ausbildungspläne nach internationalen Standards.
Auch die Hoffnung auf den „Facharzt für Allgemeinmedizin“ gibt sie nicht auf: Dafür könne die Ausbildung auch länger dauern – „wenn sie gut ist“.
Eine österreichweite Harmonisierung der Kassen-Stellenvergabe und der Kassenpositionen, aber auch der Nachtdienstmodelle hält sie ebenso für hilfreich: „Wer das Bundesland wechselt, muss alles neu lernen.“
Hinter allen Problemen stehe aber eine österreichische Eigenheit, diagnostiziert die Steirerin, die derzeit im Akutgeriatrie-Team des Krankenhauses der Elisabethinen in Linz als Stationsärztin arbeitet: „Wir tendieren dazu, alles sehr spät und schnell zu machen.“ Stattdessen sei prospektives Arbeiten vonnöten.
„Wenn man zuerst die Allgemeinmedizin kennenlernt, entwickelt man einen anderen Blickwinkel und bleibt geerdet.“
Maria Wendler
Fotocredit: Schiffer