Durchboxen und Anstiften
Trotz allgemeiner Überzeugung, dass die Primärversorgung kein Gesetz braucht, um besser zu werden, will die Bundesregierung ihr Primärversorgungs- oder PHC-Gesetz durchboxen. „Mystery Shopping“, mit dem ohne konkreten Verdacht Spitzel in Arzt- und Zahnarztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und bei sonstigen Vertragspartnern verdeckt schnüffeln dürfen, wurde bereits gesetzlich verordnet. Ob das rechtlich zulässig ist, wird wohl der Verfassungsgerichtshof entscheiden müssen.
PHC ist nichts Schreckliches, aber auch nichts sensationell Neues. Schließlich steht das Wort für Primary Health Care, und das ist etwas, das viele ÄrztInnen, auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsberufen, tagtäglich machen. Aber Primary Health Care, zwecks besserer Verständlichkeit (?!) tendenziell eher in der übersetzten Version „Primärversorgung“ verwendet, ist auch etwas sehr Wichtiges. Mehr Teamwork in unterschiedlichen Konstellationen, die auch die Versorgungsangebote optimieren, und besserer Informationsabtausch sind also grundvernünftige Wünsche, die das PHC- bzw. Primärversorgungsgesetz – vordergründig – zu erfüllen verspricht.
Vordergründig, denn dass ein Gesetz dafür nicht unbedingt nötig wäre, hat auch die Zukunftskonferenz Primärversorgung der Meduni Graz (Seite 14) gezeigt. Es könnte die Vielfalt, das Ausprobieren neuer Ideen und unterschiedlicher Modelle vielleicht sogar be- und in manchen Fällen verhindern.
Aber: Das Bedürfnis der Regierung, die „multiprofessionelle und interdisziplinäre Primärversorgung, soweit diese durch Primärversorgungseinheiten nach diesem Bundesgesetz erbracht wird“, so der Gesetzesentwurf, zu regeln, ist groß. Oder, wie es Hauptverbands-Generaldirektor Josef Probst bei der erwähnten Konferenz formuliert hat, eine „sichtbare Reform“, sprich ein Gesetz, sei nötig, „damit wir nicht unglaubwürdig werden“.
Es gibt aber klare Vorstellungen seitens der Ärztekammer und der Ärzteschaft, was durch ein solches Gesetz keinesfalls passieren darf: Der Kassen-Gesamtvertrag, der Ärztinnen und Ärzten ein gewisses Maß an Sicherheit gibt, und sicherstellt, dass nicht Einzelne einem mächtigen Kassen-Monolithen gegenüberstehen, darf nicht unterlaufen werden.
Es darf kein Versorgungs-Paralleluniversum entstehen, das die hausärztliche Versorgung völlig an den Rand drängt. Das Motto „Team rund um den Hausarzt“ kann nicht reines Lippenbekenntnis sein. Es muss gelebt werden. Im Teamwork mit anderen Gesundheitsberufen darf die ärztliche Kompetenz nicht einer ideologisch motivierten Gleichmacherei geopfert werden.
Der Zugang zu Fachärztinnen und Fachärzten darf nicht erschwert werden. Der konstruktive Konsens, wie er z. B. im Netzwerk „Styriamed.net“ gelebt wird, kann und muss gesichert bleiben.
Nichtärztliche Ketten mit vorwiegend wirtschaftlichen Interessen dürfen nicht an die Stelle ärztlicher Versorgungseinheiten treten, wie das in den USA der Fall ist.
„Dem Bewährten mehr Möglichkeiten geben, ist das Ziel. Das Bewährte zu verdrängen und Raum für eine Mischung aus staatlicher Kontrolle und Kapitalinteressen zu geben, ist eine reale Gefahr, gegen die es anzukämpfen gilt“ warnt der Obmann der Niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Vizepräsident Jörg Garzarolli.
Mysteriös
Wie Realitäten ignoriert und Warnungen in den Wind geschlagen werden, zeigen das Sozialbetrugsgesetz und die zugehörige Richtlinie des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, die unbescholtene Patientinnen und Patienten gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten unter Generalverdacht stellen.
Michael Jeannée, Krone-Kolumnist mit Neigung zu drastischen Worten, schrieb dazu: „… beschädigt als staatlich konzessionierte Methode das wichtigste Bindeglied zwischen Patient und Arzt auf das Nachhaltigste: das gegenseitige Vertrauen“.
„Damit wurde der Spitzelstaat wie im Ostblock in Österreich behördlich genehmigt. Was in den Arztpraxen beginnt, muss auch nicht vor anderen Branchen haltmachen“, kritisierte ÖÄK-Vizepräsident Johannes Steinhart.
Der steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner sieht es ähnlich und schlägt vor, „alle unbekannten Patienten, die wegen einer Krankmeldung in die Praxis kommen, gleich in die jeweilige Krankenkasse weiterzuschicken“. Denn „wenn die Krankenkassen ihren Vertragspartnern – den Ärztinnen und Ärzten – und den Versicherten kein Vertrauen entgegenbringen, sollen sie die Durchführung von Krankmeldungen selbst übernehmen“, so Lindner.
Die Österreichische Ärztekammer hat zwei Beurteilungen durch namhafte Rechtsexperten, den Verfassungsjuristen Heinz Mayer und den Linzer Strafrechtler Alois Birklbauer, eingeholt.
Beide kommen zu gleichlautenden Ergebnissen: Eine verdeckte Ermittlung ohne konkreten Anfangsverdacht sei rechtlich nicht gedeckt. Eine Verfassungsklage (die von einem Betroffenen eingebracht werden muss und eingebracht werden kann, wenn die diesbezügliche „Richtlinie für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im Vertragspartnerbereich“ in Kraft getreten ist, soll Klarheit schaffen.
Eines ist aber jetzt schon gewiss: Der Schaden durch E-Card-Betrug ist äußerst gering, wie mehrere parlamentarische Anfragen der letzten Jahre belegen. Laut der Beantwortung der jüngsten Anfrage im September 2015 betrug der Gesamtschaden im Jahr 2014 für ganz Österreich rund 4.000 Euro, in der Steiermark gab es überhaupt keine Fälle. Es gäbe auch „keine Evidenz dafür, dass es tatsächlich mehr Fälle gibt als dokumentiert. Eine ‚Dunkelziffer‘ kann seriöser Weise nicht genannt werden“, heißt es in der Stellungnahme zur Beantwortung, unterschrieben von Hauptverbands-Generaldirektor Josef Probst. Und: Eine Dokumentation unrechtmäßiger Krankenstandsfälle erfolge nicht. Außerdem würden „Kontrollen laufend und regelmäßig durchgeführt, entsprechenden Hinweisen bzw. Verdachtsmomenten werde „in jedem Fall nachgegangen“.
„Das beweist, was wir immer schon gesagt haben – unsere Patientinnen und Patienten sind ehrliche Menschen. Die giftige Diskussion um Mystery Shopping in den Arztpraxen hätten wir uns ersparen können“, so Vizepräsident Garzarolli.
Nachdem sich der Hauptverband jetzt aber die Lizenz zur verdachtsfreien verdeckten Ermittlung gegeben hat, werden wohl die Gerichte entscheiden.
Siehe auch „Debatte“ (Seite 6) Kolumnist Jeannée wettert in der Krone gegen die Spitzel.
Fotocredit: Wolf, Schiffer