„Man ist der Schneepflug“
Nach zehn Jahren an der Spitze der Kurie Angestellte Ärzte, hört Martin Wehrschütz in dieser Funktion auf. Eine Bilanz und ein Ausblick.
Was ist Ihr Beweggrund, nicht mehr Kurienobmann sein zu wollen?
Wehrschütz: Auch wenn man zehn Jahre lang in der steirischen Ärztekammer Verantwortung und Führung übernehmen darf, dann ist das immer ein geliehenes Amt. Für mich war klar, dass nach dem, was in zehn Jahren an Leistungen und damit an Erfolgen für die steirischen Ärztinnen und Ärzte erreicht werden konnte, ein politischer Zenit in der Vertretungspolitik für Spitalsärztinnen und Spitalsärzte erreicht ist. Es gilt, die Höhe seiner Zeit zu erkennen. Ich habe diese für mich jetzt ausgemacht und habe daher auch klar zum Ausdruck gebracht, dass ich für das Amt des Kurienobmanns für die nächste Vertretungsperiode nicht mehr zur Verfügung stehe.
Was war seinerzeit das Motiv, in die Ärztekammer zu gehen?
Wehrschütz: Unzufriedenheit am Arbeitsplatz.
Noch in Ausbildung …?
Wehrschütz: Ich war damals Turnusarzt und habe mitbekommen, wie mit jungen Kolleginnen und Kollegen umgegangen wurde. In dieser Zeit sind so viele Tätigkeiten, die nicht unmittelbar mit dem Arztsein als solches in Verbindung gebracht werden können, auf die Turnusärztinnen und Turnusärzte überwälzt worden … ich habe mich, wie es offenbar meiner Art entspricht, innerlich aber auch nach außen deutlich sichtbar, auch für Vorgesetzte, dagegen gewehrt. Das war nicht immer angenehm – für beide Seiten –, aber am Ende des Tages habe ich mir gedacht, ich liebe meinen Beruf, den ich wohlüberlegt ergriffen habe, und ich möchte ihn in einem positiven Arbeitsumfeld erleben. Eine ganz große Triebfeder war der Gestaltungswille hin zu einem positiveren Miteinander.
Es gelingt aber nicht alles gleich. Ist das nicht eine Herausforderung, etwas zwar aus innerem Antrieb zu machen, aber im Wissen, dass die die Nutznießer erst nachfolgende Generationen sein werden?
Wehrschütz: Ja, wenn man so möchte, ist es eine Herausforderung. Bildlich gesprochen: Als politisch Verantwortlicher versucht man den gesamten Schnee aus der Autobahn herauszubringen. Man ist also der Schneepflug im Wissen, dass es anderen nachher besser geht. Die Auswirkungen, die man durch kluges und erfolgreiches politisches Handeln erzielt, werden in Wahrheit in großen Teilen für die nächste Generation deutlicher spürbar.
Wie motiviert man sich?
Wehrschütz: Es ist einfach ein gutes Gefühl zu sehen, dass nun die junge ärztliche Generation auch anders – ausbildungsbezogener – arbeiten kann. Und dass es offenbar zur Selbstverständlichkeit wird, dass sich nicht nur vereinzelt junge Menschen Gedanken um ihr Arbeits- und Lebensumfeld machen, sondern dass die gesamte junge ärztliche Generation so weit ist, Ausbildungs- und Lebensqualität am Arbeitsplatz einzufordern. Das ist eine für Führungskräfte durchaus auch schwierige Herausforderung, aber wenn man diese annimmt und sich ernsthaft mit ihr auseinandersetzt, ist es für den Standort, für die Steiermark und für Österreich im Wettbewerb um die besten Nachwuchsmedizinerinnen und Nachwuchsmediziner ein großes Asset.
Was ist konkret gelungen?
Wehrschütz: Ich habe in den letzten zehn Jahren in einer teamorientierten Aufstellung der Mannschaft, in der ich, wenn man so will, der „playing captain“ sein durfte, mit dem Dienstgeber KAGes und dem Eigentümervertreter Land Steiermark sowohl für die jungen als auch für die schon länger in der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten stehenden Kolleginnen und Kollegen Wertvolles und vor allem – so hoffe ich – Zukunftsgewandtes geleistet. Ich denke nur daran, dass das gesamte Turnusarzttätigkeitprofil, von dem man gar nicht mehr geglaubt hat, dass es umsetzbar sei, de facto umgesetzt wurde und jetzt dessen Umsetzung bei Ausbildungsstellenanerkennungsverfahren verordnungsgemäß verpflichtend wurde. Das ist eine massive Aufwertung der Arbeitswelt der jungen Kolleginnen und Kollegen. Es ist damit auf Augenhöhe, aber auch mit Nachdruck der Pflege deutlich gemacht worden, dass die junge Ärzteschaft ein ernstzunehmender Partner im Gesundheitswesen ist. Wir haben für die Staff-Ärzte, also jene, die die gesamte Versorgungslast auf ihren Schultern tragen, und für die junge Kollegenschaft bessere Arbeitsbedingungen geschaffen: Das Heimgehen nach einem Journaldienst um 8 Uhr am nächsten Morgen ohne Stundenverlust für die Ärzteschaft, ein marktkonformes Grundgehalt in allen Gehaltsstufen und neue ärztliche Karrierewege sind österreichweit und auch im Nachbarland Deutschland konkurrenzfähig. Neben dem monetären Aspekt geht es ganz stark um die Frage, wie schaut meine tägliche Arbeit aus, wie sinnstiftend ist sie, wie viel an persönlicher Karrieremöglichkeit habe ich? Hier hat die Steiermark als eines der ersten und auch eines der wenigen Bundesländer in Österreich ein Karrieremodell mit Funktionsoberärzten eingeführt. Das setzt auch ein hohes Maß an Disziplin in der Mannschaft voraus: Wenn es Bonifikationen gibt, von denen nicht alle im gleichen Ausmaß betroffen sein können, gibt es möglicherweise die eine oder andere gefühlte oder auch tatsächliche Benachteiligung. Mit den Führungskräften in der KAGes und der MUG wurde dieses Modell sehr ruhig, besonnen und letztlich erfolgreich umgesetzt.
Schlagwort „gefühlte Benachteiligung“. Immer wenn ein Projekt abgeschlossen ist, hört man vor allem diejenigen, die das Haar in der Suppe suchen. Wie geht man mit Zweiflern um?
Wehrschütz: Ich bin immer sehr offen mit dieser Kritik umgegangen. Sofern Kritik konstruktiv geäußert wurde, war es mir ein Anliegen, auch darauf zu reagieren, sei es öffentlich oder im direkten Kontakt. Den Kolleginnen und Kollegen, die anfangs – einige werden vielleicht auch heute noch in diese Richtung denken – Kritik übten, war es mir wichtig zu signalisieren: Du wirst ernst genommen in deinem Anliegen, ich höre, was du sagst, aber ich bitte dich auch zu hören, was ich zu sagen habe. Mit dieser Form der Kommunikation glaube ich doch bei vielen in der Ärzteschaft angekommen zu sein.
Bekommt man auch positive Kritik?
Wehrschütz: Während der politischen Arbeit in der Ärztekammer …
… nicht nur in der Ärztekammer wahrscheinlich …
Wehrschütz: … ist es meiner Wahrnehmung nach eher so, dass der Großteil der Kollegenschaft sich mit der einen oder anderen Maßnahme einverstanden erklärt, wenn man wenig an Mails, Zuschriften, Anrufen etc. danach bekommt. Die positiven Rückmeldungen gibt es auch, die freuen dann besonders und motivieren. All jenen Kolleginnen und Kollegen, die davon Gebrauch gemacht haben, danke ich. Das, was wir auch von den Dienstgebern an Wertschätzung und positiver Motivation gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einfordern, ist auch für politisch Verantwortliche wünschenswert.
Was bleibt für die Nachfolgerinnen und Nachfolger zu tun?
Wehrschütz: Ich glaube, dass wir in zehn Jahren ein sehr gutes Umfeld aufbereitet haben. Mein Bestreben war, mit dem Eigentümer Land Steiermark, mit den Vorständen der KAGes, den Verantwortlichen im Personalmanagement und im Strategie-, Vertragspartner-Management in der KAGes Zentrale, aber auch mit allen Verantwortlichen der privaten und konfessionellen Spitalsträger – auch mit der MUG, wenn es dort zugegebenermaßen schwieriger war – einen Umgang zu pflegen, der auf Augenhöhe war, der aber klar auch meinen Standpunkt darlegen ließ und der immer den Blick nach vorne in einer aufrechten Gangart für alle möglich machte. Die SI-Vereinbarung zielt in Wahrheit schon in Richtung 2018 und 2021, wenn es darum geht, die KA-AZG-Grenzen weiter herunterzuschrauben. Die nächsten fünf Jahre werden sehr entscheidende Jahre für die steirische Ärzteschaft vor dem Hintergrund Gesundheitsreform und Spitalsreform sein. Es wird das ständige Gespräch mit allen politisch und unternehmerisch Verantwortlichen in der Steiermark zu suchen sein und die Kunst des Ausgleichs auf Augenhöhe sich zu verinnerlichen notwendig sein. Ich übergebe ein wohlbestalltes „Kurienhaus“.
Viele, die im weiteren Sinne des Wortes in der Politik tätig sind, beklagen die Klimaveränderungen der letzten Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte. Wie nehmen Sie das wahr?
Wehrschütz: Ich denke, man muss das differenziert sehen. Das Klima zwischen Ärztekammern und Gesundheitspolitik ist naturgemäß einem Spannungsfeld unterzogen. Es kommt auf die politisch Verantwortlichen an, was sie daraus machen – der Vorschlaghammer ist auf beiden Seiten nicht vorzuziehen. Es geht um die Kunst des Ausgleichs – auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt vor der Aufgabe der einzelnen Akteure. Der Ärzteschaft ist der Konnex zu ihren Patientinnen und Patienten immanent. Und daher wissen wir Ärztinnen und Ärzte auch, warum wir uns, zum Beispiel in der aktuellen Gesundheitsdebatte, manchmal so lautstark zu Wort melden. Was leider oft übersehen wird: Auch Ärztekammerfunktionäre sind immer und in erster Linie Ärzte.
Persönlich darf ich aber sagen, dass ich in meinem Umfeld ein exzellentes Gesprächsklima vorfinden durfte. Ich glaube, dass man auch bei unseren Partnern erkannt hat, dass es eine Kurienführung gab, die ernsthaft an den aktuellen Problemen arbeitet und gearbeitet hat, mit Augenmaß und gleichzeitig hoher Ergebnisorientiertheit. Wir haben damit den Partnern signalisiert, dass wir keine politischen Spiele spielen, sondern für die Ärztinnen und Ärzte in der Steiermark arbeiten, die in den Spitälern tagtäglich herausragende Arbeit an ihren Patientinnen und Patienten leisten.
Ein großes Thema für Sie ist die Bildung. Was sind hier die wichtigen Themen, die Sie versucht haben anzugehen. Was ist hier gelungen, was bleibt noch zu tun?
Wehrschütz: Ich darf mittlerweile fünf Jahre den Bildungsausschuss der ÖÄK leiten. In dieser Zeit ist Großartiges gelungen. Es ist eine fast zwei Jahrzehnte andauernde Diskussion über eine Ärzteausbildung neu finalisiert worden, in einem großen Werk, der Ärzteausbildungsreform 2015 und der KEF-RZ-Verordnung* 2015. Gemeinsam mit den Partnerorganisationen auf ÖÄK-Ebene und Bundesministeriumsebene haben wir es zustande gebracht, dass die ärztliche postpromotionelle Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen in Österreich inhaltlich an europäische Standards angepasst wurde und damit international herzeigbar geworden ist. Wir schufen ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit für Ausbildungsverantwortliche und Auszubildende. In der umfassenden Fragestellung „ärztliche Ausbildungsqualität“ haben wir den Standort Österreich ein Stück weit nach vorne gebracht. Die Ausbildungsreform stellt einen Rahmen dar, und dieser Rahmen gehört nun durch alle vor Ort tätigen Ausbildungsverantwortlichen – alle Primariae und Primarii und ihre Fachärztinnen und Fachärzte sowie Oberärztinnen und Oberärzte – mit Leben erfüllt, um damit dem Anspruch einer Ausbildungsqualität nach internationalem Maßstab gerecht zu werden. Dazu braucht es aber insbesondere Zeit untertags, um Ausbildungsinhalte auch vermitteln zu können – und dazu braucht es auch die Spitalsträger in ganz Österreich, die die notwendigen zusätzlichen dienstrechtlichen Rahmenbedingungen für gute Ausbildung vor Ort auch schaffen können. Die Steiermark ist hier mit der Etablierung von flächendeckenden Ausbildungsoberärztinnen und Ausbildungsoberärzten, die auch für diese Tätigkeit remuneriert werden, dienstrechtlich vorangegangen. Freilich, das Thema Zeit bleibt noch ein im Allgemeinen zu lösendes.
Ich verhehle nicht, dass Bildungsangelegenheiten auch ein ganz zentraler Interessensschwerpunkt in meinem politischen Wirken sind. Bildungsangelegenheiten wirken über die Generationen und sind der unmittelbaren Spitalspolitik entzogen.
Was sind Ihre Zukunftspläne in der Ärzte- und Gesundheitspolitik?
Wehrschütz: Ich komme aus der Medizin und bleibe in der Medizin. Wer ein politisches Gen in sich trägt, und das getraue ich mir zu sagen, dass dieses bei mir sichtbar blinkt, bei dem ist nie auszuschließen, dass man sich auch in irgendeiner Art und Weise wieder in einer anderen Form der (Gesundheits-)Politik wiederfindet. Politischer Gestaltungswille und damit notwendiger Umbau unserer Versorgungsstrukturen im intra- und extramuralen Bereich ist und bleibt mir ein ganz großes Anliegen.
Wenn man sich entscheidet, in die Politik zu gehen, muss man nicht andere Dinge zurückstellen …?
Wehrschütz: Ich hatte das Glück, eine Familie und Freunde hinter mir zu haben, die aus vollem Herzen gesagt haben, wir finden das sinnvoll und gut, was du machst, wir geben dir quasi das Backup, du hast einen sicheren Hafen. Dafür möchte ich ein aufrichtiges und großes Dankeschön sagen. Ich möchte mich aber auch bei allen Kolleginnen und Kollegen für deren Unterstützung, Zuspruch und konstruktive Kritikäußerung bedanken. Ich bin dankbar für eine wunderbare Reise „Ärztekammer Steiermark“.
Das Gespräch führte Martin Novak
* Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Ausbildung zur Ärztin für Allgemeinmedizin/zum Arzt für Allgemeinmedizin und zur Fachärztin/zum Facharzt sowie über die Ausgestaltung und Form der Rasterzeugnisse, Prüfungszertifikate und Ausbildungsbücher.
Fotos: Conclusio