Das will ich

Beim Ärztegipfel zur Primärversorgung am 15. März in Wien hielt Karlheinz Kornhäusl, Bundesobmann der Turnusärzte, eine vielbeachtete Rede über Wunsch und Wirklichkeit der Primärversorgung(szentren).

Ich weiß nicht, warum ich heute hier reden darf: Denn ich liebe Primärversorgungseinheiten. Und natürlich das Primärversorgungsgesetz.
So wie Bill Gates die Hölle liebt. Sie kennen die Geschichte? Bill Gates darf nach seinem Tod die Hölle ausprobieren, und es ist toll dort: Sonne, weißer Sandstrand, klares Meer, wunderschöne Menschen, gute Drinks.
Und selbstverständlich will er dort bleiben und nicht in den Himmel.
Ganz plötzlich hängt er gefesselt über kochender Lava, um ihn stöhnen die Verdammten in ihrer Qual. Dann protestiert er. Der Engel, der ihn geführt hat, grinst nur und sagt: „Bill, das vorher war nur die Demo-Version …“

Ja, Sie lachen. Aber es ist ernst. Das, was uns mit den Primärversorgungszentren versprochen wird, will ich: Tolles Teamwork, ganz viel Zeit für die Patienten, Fallbesprechungen, guten Kaffee, Family Practice wie im Privatfernsehen. Und natürlich ganz viel Geld, das notwendig ist, um das zu finanzieren. Nur fürchte ich: Das ist nur die Demo-Version.
Denn: In der Gesundheit muss gespart werden, sagt die Politik. Die Menschen werden älter und brauchen mehr Medizin, sagen die Experten und die Politik. Es gibt nicht genug Ärzte – das braucht mir niemand zu sagen. Das erlebe ich täglich im öffentlichen Spital, das weiß ich, wenn ich die vielen unbesetzten Kassenstellen sehe.

Das geht sich nicht aus

Und wir sollen diese Primärversorgungszentren von sieben Uhr in der Früh bis sieben Uhr am Abend offen halten. Und Hausbesuche machen, und, und, und.
Ich bin nicht gut in Mathematik. Aber so viel kann ich rechnen: Das geht sich schon dann nicht aus, wenn die zwei bis drei Kollegen, die das bewältigen sollen, nie krank sind, nie auf Urlaub gehen und, was Gott verhüten möge, nie eine Fortbildung besuchen.
Klar, zwei drei Vorzeigezentren leistet sich die Politik. Die sind das Paradies – bzw. die Demo-Hölle. Und erzählt uns, dass alle so werden. Aber dann hängen wir über der Lava.

Ich kenne einen Kollegen in der Steiermark, der die Primärversorgung beforscht. Der schwärmt von solchen Zentren, er hat nämlich selbst in einem gearbeitet … in der Schweiz: vier bis sechs Patienten in der Stunde, Pflege, Sozialarbeit, Physiotherapie, Psychotherapie, Akutlabor, Ultraschall, Röntgen; alles im Haus. Keine organisatorischen Aufgaben natürlich, 40-Stunden-Woche und super Verdienst … „Allgemeinmedizin wie im Paradies“, schreibt er. Sie können das in AERZTE Steiermark nachlesen. Das sind im O-Ton die Worte des Kollegen.

Da hab ich nachgeschaut: Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der Schweiz: 65.000 Dollar, BIP pro Kopf in Österreich 45.000 Dollar. Das sind die Zahlen von der CIA. Laut Internationalem Währungsfonds sind es in der Schweiz sogar 80.000 Dollar, bei Österreich sind sich die beiden einig … Unterschied also mindestens 20.000 Dollar pro Person.
Und jetzt kommt es: 11,5 Prozent ihres Super-Bruttoinlandsprodukts gibt die Schweiz für Gesundheit aus. In Österreich sind es 10,4 Prozent eines deutlich bescheideneren BIP. Das sind dann – alles kaufkraftbereinigt natürlich, die Zahlen sind von der OECD – 5.354 Dollar pro Kopf für die Schweizer. In Österreich: 3.789 Dollar. Unterschied: 1.565 Dollar. Pro Kopf und Jahr.

Das sind 13,3 Milliarden Dollar Unterschied, wenn wir es mit der Zahl der österreichischen Bevölkerung multiplizieren. Aber seien wir fair und rechnen es in Euro um: 12,55 Milliarden Euro. Derzeit gibt Österreich angeblich knapp 34 Milliarden Euro für Gesundheit aus. Wären es 46 oder 47 Milliarden, könnten wir uns eine paradiesische Primärversorgung wie in der Schweiz leisten.
Was bekommen wir aber tatsächlich bzw. angeblich – aus nicht genannten Quellen –, also wird es wahrscheinlich nur aus einer Tasche in die andere gesteckt? 0,22 Milliarden. Eh viel Geld. Aber nur ein Bruchteil dessen, was notwendig wäre, um der Schweiz nahezukommen: Wir bekommen in 57 Jahren das, was wir in einem Jahr bräuchten.

Ich wäre also – und Sie wahrscheinlich auch – begeistert von diesem Primärversorgungseinheiten-Konzept, wenn unsere neue Gesundheitsministerin morgen sagt: Ja, es gibt um 12,5 Milliarden mehr pro Jahr für Gesundheit, um gut 35 Prozent mehr als jetzt. Wenn die Ministerin das versprechen könnte, würde ich sagen: Super! Das will ich! Dann sollen von mir aus auch irgendwelche Konzerne, am besten ein Schweizer Handelskonzern wie Migros (der tut das nämlich schon), das Zentrum betreiben. Dann sollen von mir aus die Krankenkassen entscheiden, wo die Zentren stehen. Wir machen super Medizin wie im Paradies.

Aber das wird es nicht spielen. Tatsächlich werden die Konzerne und die Krankenkassen Geld sparen, so viel sie können. Weil sie nämlich als Betriebswirte denken, nicht volkswirtschaftlich und schon gar nicht medizinisch-ärztlich.
Unsere Patienten hängen dann gefesselt über der kochenden Lava. Und wir Ärzte stehen stöhnend daneben. Das ist ein teuflischer Plan. Lassen Sie mich noch einen Augenblick realistisch sein: Ich will eine Gesundheitsversorgung in Österreich, in der junge Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit haben, tolle Medizin zu machen, im Spital und in der Praxis.
Ich will, dass Akutkranke und chronisch Kranke, Kinder, junge Erwachsene und Alte die Medizin bekommen, die sie brauchen.
Und: Ich will nicht belogen werden. Ich will keine Fake News und keine alternativen Fakten aufgetischt bekommen.

Ich will auch in 20, 30 Jahren gerne Arzt sein. Und Patienten haben, die froh sind, dass es in Österreich eine so gute Gesundheitsversorgung gibt.
Ich glaube, das können wir erreichen, wenn wir gemeinsam auftreten. Entschlossen und geschlossen.
Und uns keine Demo-Version andrehen lassen.


Foto: ÖÄK/Michaela Obermeir

Grazer Straße 50a1
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