Ma(nipu)l(ier)en mit Zahlen
Natürlich darf man behaupten, Österreich gäbe zu viel für Gesundheit aus. Das heißt aber nicht, dafür Statistiken verfremden zu dürfen.
Martin Novak
Am 23. November dieses Jahres war es wieder soweit: Experten der EU-Kommission und der OECD veröffentlichten in Wien ihre Untersuchung des österreichischen Gesundheitssystems und kritisierten, dass das System zu teuer und zu wenig effizient sei. Eine Erklärung wurde gleich mitgeliefert: „Eine Ursache für das Missverhältnis zwischen Kosten und Ergebnissen ist die starke Fokussierung auf Spitäler, die einen großen Kostenfaktor darstellen, oder die Fragmentierung des Gesundheitssystems, die eine gemeinsame Planung der stationären und ambulanten Versorgung erschwert“, so die Presseaussendung .
Das darf man natürlich so sehen. Die Zahlen aber selektiv und damit – ob vorsätzlich oder fahrlässig sei dahingestellt – manipulativ zu präsentieren, ist aber nicht lege artis. Genau das geschah aber. Eine APA- Grafik lieferte ein Ranking der Kosten europäischer Gesundheitssysteme in Tabellenform mit. Österreich steht dort in der vierten Zeile, für den schnellen Beobachter also am 4. Platz. Erst ein zweiter Blick zeigt, dass in der Tabelle, in der es um den prozentuellen BIP-Anteil geht, drei Länder und in der Pro-Kopf-Kosten-Tabelle zwei Länder, die vor Österreich liegen, ausgelassen wurden. Dafür wurden willkürlich Italien, Polen und Rumänien, drei Länder, die hinter Österreich und unter dem Durchschnitt liegen, angeführt. Diese Grafik und die Positionen aus dem Pressegespräch wurden von mehreren wichtigen österreichischen Zeitungen und dem ORF direkt übernommen.
Alte Zahlen
Die Zahlen und Schlussfolgerungen, die unter der Flagge der EU und der OECD präsentiert wurden, entstammen dem Länderprofil Österreich aus der Serie „ State of the Health “ der EU-Kommission und rekurrieren auf Daten aus dem OECD-Report „ Health at a Glance 2016 “. Offiziell sind sie dennoch nicht wirklich: „Die in diesem Bericht geäußerten Ansichten repräsentieren in keiner Weise die offizielle Meinung der Europäischen Union“, heißt es explizit im EU-Länderreport Österreich. Seltsam mutet es auch an, dass bei einer von zwei Vertretern der OECD-Abteilung für Gesundheitspolitik mitgetragenen Pressekonferenz nicht die jüngsten von der OECD erhobenen Gesundheitszahlen vorgestellt wurden, auch wenn diese mit dem Bericht „ Health at a Glance 2017 “ bereits vorliegen.
Korrekte, aktuelle Zahlen
Laut „Health at a Glance 2017“ gibt Deutschland innerhalb der EU den höchsten BIP-Anteil für Gesundheit aus: 11,2 Prozent. Es folgen Schweden und Frankreich mit 11,0 Prozent, die Niederlande mit 10,5 Prozent und dann gleichauf Belgien, Dänemark und Österreich mit 10,4 Prozent. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass zwei europäische Nicht-EU-Länder – nämlich die Schweiz mit 12,4 Prozent und Norwegen – ebenfalls vor Österreich liegen. Bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf innerhalb der EU liegt (kaufkraftbereinigt) Luxemburg voran, danach folgen Deutschland, Irland, Schweden, die Niederlande und Österreich.
Öffentliche Gesundheitsausgaben
In der Österreich-Pressekonferenz von EU- und OECD-Repräsentanten wurden Reformvorschläge für das öffentliche Gesundheitssystem thematisiert. Es gab aber keine Betrachtung der öffentlichen Gesundheitsausgaben, obwohl die OECD-Statistik diese anführt. Auch hier liegt Österreich laut „Health at a Glance 2017“ mit 7,8 Prozent des BIP am 7. Platz innerhalb der EU. Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Belgien geben mehr aus, Großbritannien liegt nur einen Zehntelpunkt hinter Österreich. Aber auch hier lohnt sich ein Blick auf mit Österreich vergleichbare Nicht-EU-Länder: Norwegen und die Schweiz investieren, gemessen am BIP, klar mehr in die Gesundheit als Österreich.
Auch der Mythos, dass die USA wenig an öffentlichen Mitteln in die Gesundheit investieren, relativiert sich angesichts der OECD-Zahlen. Es sind um 0,7 Prozentpunkte mehr als in Österreich. Das hat natürlich mit der Obama-Reform zu tun, aber genauso viel oder noch mehr damit, dass die einzelnen Bundesstaaten teils sehr viel für die Gesundheitsversorgung ausgeben.
Bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf im EU-internen Ranking liegt Luxemburg vor Deutschland, Schweden, Dänemark, den Niederlanden und Österreich. In beiden Tabellen liegen die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und die Schweiz vor Österreich.
Ziemlich weit vorne, nämlich am 6. Platz innerhalb der OECD, liegt Österreich mit 1.270 kaufkraftbereinigten US-Dollar übrigens bei den freiwilligen bzw. privaten Gesundheitsausgaben. Die US-Bürger, die Schweizer, Australier und Kanadier zahlen im OECD-Vergleich zwar teils deutlich mehr aus eigener Tasche für ihre Gesundheit, aber nur ein einziges EU-Land liegt hier vor Österreich, nämlich Irland. Selbst im reichen Luxemburg geben die einzelnen Bürger aus der eigenen Tasche weniger für Gesundheit aus als die Österreicherinnen und Österreicher – laut OECD-Statistik exakt einen kaufkraftbereinigten US-Dollar.
Diese Kaufkraft – sprich: das Einkommen – im Zusammenhang mit den Gesundheitsausgaben zu betrachten, lohnt sich. Hier liegt Österreich laut einer OECD-Statistik zu den durchschnittlichen kaufkraftbereinigten Einkommen aus dem Jahr 2016 am 12. Platz aller OECD-Länder. Innerhalb der Europäischen Union ist es der 6. Rang – und das passt sehr gut zu den Positionen in den Rankings der Gesundheitsausgaben.
Zusammenhänge
Die Experten bei der EU-/OECD-Pressekonferenz führten die ihrer Ansicht nach zu großen Gesundheitsausgaben Österreichs auf die hohe Spitalshäufigkeit in Österreich zurück. Die Zahl der Spitalsentlassungen darf man kritisieren, allerdings müsste man vermuten, dass andere Länder mit einer großen Anzahl von Spitalsentlassungen kostenmäßig ebenfalls weit vorne liegen – und Länder mit wenigen Spitalsentlassungen niedrige Gesundheitsausgaben aufweisen. Nun: Die höchste Zahl von Spitalsentlassungen haben nach Österreich laut „Health at a Glance 2017“ Deutschland, Litauen, die Tschechische und die Slowakische Republik, Ungarn und Griechenland. Bis auf Deutschland sind das Länder mit geringen Gesundheitsausgaben. Unter dem EU-Schnitt liegen Schweden, Dänemark, Luxemburg und die Niederlande, also „teure“ Länder.
Ähnliches gilt für den Vorwurf der fragmentierten Gesundheitskosten. In Ländern mit hohen Gesundheitskosten wie Dänemark oder Schweden erfolgt die Finanzierung sehr stringent fast ausschließlich über staatliche Transferzahlungen. Dass die „Fragmentierung“ ein Kostentreiber ist, lässt sich dem Statistikvergleich nicht entnehmen.
Output
Eine immer wieder gehörte Klage ist, dass der Output des österreichischen Gesundheitssystems im Verhältnis zu den Kosten bescheiden ist. Betrachtet man die härteste Währung – nämlich die durchschnittliche Lebenserwartung – liegt Österreich nach der letzten OECD-Statistik am 18. Platz mit 81,3 Jahren. Allerdings gibt es in den ersten 25 Ländern innerhalb der OECD nur sehr geringe Unterschiede. Spitzenreiter ist Japan mit einem Durchschnittsalter von 83,9 Jahren, an 24. und 25. Stelle finden sich Dänemark und Deutschland – mit 80,8 bzw. 80,7 Jahren. Die Ironie: Beide Länder geben mehr für Gesundheit aus, Deutschland sogar deutlich. Man könnte jetzt argumentieren, dass diese Länder Gesundheitssysteme haben, die – auch im Vergleich zu Österreich – besonders ineffiziente Gesundheitsversorgungsstrukturen haben. Man könnte aber auch den Verdacht entwickeln, dass Faktoren, die mit dem Gesundheitssystem wenig zu tun haben, für die Lebenserwartung eine wichtige Rolle spielen.
Ein anderer Wert ist der selbstempfundene Gesundheitszustand, der per Umfragen erhoben wird. 69,8 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher bezeichnen ihren Gesundheitszustand demnach als gut oder sehr gut. Das ist kein Spitzenwert, er liegt aber über dem OECD-Schnitt. Ein Blick auf das gesamte Ranking macht es aber schwierig, einen Zusammenhang zwischen Ausgaben und diesem selbsteingestuften Gesundheitszustand herzustellen. Auch andere Werte, wie die Primärversorgungsstrukturen, die Qualität der Akutversorgung oder der Versorgung chronisch Kranker, der Zugang zu Gesundheitsleistungen allgemein oder die Finanzierungsstruktur korrelieren kaum oder gar nicht mit dem selbstbeauskunfteten Gesundheitsstatus. Auch nicht mit der Lebenserwartung an sich. Ein typisches Beispiel dafür ist Japan: Im Land mit der höchsten Lebenserwartung aller Industrieländer sagen nur 35,4 Prozent, ihr Gesundheitszustand sei gut oder sehr gut. In den USA, zum Vergleich, sind es mehr als 85 Prozent …
Bei den gesunden Lebensjahren (Healthy Life Years, HLY) – einem subjektiven Wert – liegen praktisch alle Länder in ähnlichen Dimensionen. Ausreißer nach oben sind lediglich Malta und Schweden, beide mit Werten von klar über 70 Jahren bei Frauen und Männern. Wobei Malta finanziell ein sehr günstiges System hat und Schweden zu den Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben, vor allem öffentlichen, gehört.
Interessant ist aber der Unterschied zwischen Frauen und Männern: In einigen Ländern beträgt er mehrere Jahre, etwa in Island 5,3, in Dänemark 4,7 und in den Niederlanden 3,9 Jahre. In mehr als einem Drittel der europäischen Länder geben Männer mehr gesunde Lebensjahre an als Frauen, obwohl Frauen bei der Lebenserwartung insgesamt in allen Staaten auf einen höheren Wert kommen.
Bei Geschlechter-Unterschied bezüglich selbstbeauskunfteter Gesundheit gehört Österreich zu den besten Ländern Europas. Die Differenz beträgt nur etwas mehr als 2 Monate. Besser liegt nur noch Italien mit 1,2 Monaten.
Fotos: Shutterstock, EU-Kommission in Österreich/APA-Fotoservice/Tanzer