Die Nähe zählt
8 Gemeinden pro, 21 Gemeinden kontra Zentralspital – auf den ersten Blick war das Volksbefragungsergebnis über das Zentralspital im Bezirk Liezen völlig eindeutig – 17.512 der 26.129 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten dagegen, 8.520 dafür. Bei näherer Betrachtung fallen beträchtliche Unterschiede auf.
Martin Novak
Eigentlich hätte die Volksbefragung noch klarer zu Gunsten der Gegner des zentralen Spitals ausgehen können.
Nur ein Viertel der EinwohnerInnen des Bezirks Liezen leben in Gemeinden, für die der geplante zentrale Standort am nächsten liegt. Und nur in solchen Gemeinden gab es ein mehrheitliches Ja zum neuen Standort. Mit einer einzigen Ausnahme, nämlich Bad Mitterndorf. Von dort aus ist es im Schnitt nach Bad Aussee ein klein wenig näher als nach Stainach-Pürgg.
Und dann gibt es noch jene, für die der nächstgelegene Spitalsstandort weder Rottenmann, Schladming, Bad Aussee, noch Stainach-Pürgg, sondern Waidhofen an der Ybbs heißt und in Niederösterreich liegt.
Aber die knapp 3.400 Stimmberechtigten der Gemeinden Landl, Wildalpen und Altenmarkt bei St. Gallen votierten dennoch mit ganz klarer Mehrheit für die Drei-Spitäler-Lösung. Für alle drei Gemeinden ist Rottenmann sozusagen in Sachen Nähe das „Zweitspital“ innerhalb der Steiermark.
Sehen wir uns die nach Stimmberechtigten zehn größten Gemeinden des Bezirks an:
Hier lag die Ablehnung eines Leitspitals mit fast 73 Prozent noch höher als im Gesamtbezirk. Für acht dieser zehn Gemeinden liegen die bestehenden Standorte (Rottenmann, Bad Aussee, Schladming) am nächsten, von einer führt der schnellste Weg ins niederösterreichische Waidhofen an der Ybbs. Für nur eine liegt der geplante Standort Stainach-Pürgg am nächsten. Und Nähe zählt. Mehr als die Leistungsfähigkeit (in der Zukunft).
Nähe ist der Schlüssel
Welche Bedeutung Nähe hat, zeigt sich, wenn man das Ergebnis für die Gemeinden errechnet, die Rottenmann als nächstliegenden Spitalsstandort haben: 8.197 von 10.106 – also mehr als 81 Prozent – sprachen sich hier für den Erhalt der drei Standorte (und damit auch ihres Spitals) aus.
Eine Studie der deutschen Asklepios-Kliniken ( AERZTE Steiermark berichtete im Jänner 2019) zeigt, dass die Lage eines Krankenhauses das wichtigste Kriterium für die Wahl eines Krankenhauses ist: „Standort schlägt Qualifikation“, fassten die Studienautoren zusammen und bekräftigten das mit einer Zahl: Nur 6 Prozent „haben einen Qualitätsbericht als Entscheidungsgrundlage genutzt“.
So gesehen haben die Befürworter des Leitspitals sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten wacker geschlagen.
Ob es allerdings reichen wird, „Pläne und Vorhaben noch deutlicher zu kommunizieren“, wie es Gesundheitslandesrat Christopher Drexler nach Vorliegen der Befragungs-Ergebnisse sagte, sei einmal dahingestellt.
Anders sähe das Ergebnis wohl aus, wenn das zweitnächste Spital zählen würde: Das trifft für 17 Gemeinden zu, in denen mehr als 42.000 Stimmberechtigte leben. Rechnet man noch die sieben Gemeinden dazu, für die Stainach-Pürgg überhaupt am nächsten liegt und in denen weitere fast 12.900 Menschen stimmberechtigt sind, kommt man zum Ergebnis: Der Standort ist mit Bedacht gewählt – man muss sich nur grundsätzlich für die Ein-Standort-Lösung erwärmen können.
„Wir brauchen Kompromiss“
Hannes Huber ist Bürgermeister der Gemeinde Michaelerberg-Pruggern . Nirgendwo sonst war das Abstimmungsergebnis über das Leitspital so knapp. Wir haben mit ihm gesprochen.
Herr Bürgermeister, von gespaltenen Regionen wird nach Voten oft leichthin gesprochen. Durch Ihre Gemeinde geht aber tatsächlich ein Riss – 152 Stimmen für, 153 gegen ein zentrales Spital, eine ungültige Stimme. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Huber: Generell waren die Gegner leichter zu mobilisieren als die Befürworter. Viele wollten ein Zeichen setzen. Das ist ihnen auf Bezirksebene mit den 67 Prozent Ablehnung auch gelungen.
Eine Lesart der Volksbefragung ist, dass die Nähe zum einen oder anderen Standort über das Abstimmungsverhalten entschieden hat. Für Ihre Gemeindebürgerinnen und -bürger heißt das, dass einige wenige Minuten mehr oder weniger Fahrzeit nach Stainach-Pürgg oder Schladming entschieden haben. Hängt davon wirklich ein Volksbefragungsergebnis ab?
Huber: Die Entscheidung hat natürlich mit Politik, aber vor allem mit der Entfernung zum Krankenhaus zu tun. Bei uns sind Trautenfels und Schladming mehr oder minder gleich weit weg. Die Nähe ist ein Faktor.
Reden wir auch über die Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Was wünschen Sie sich da?
Huber: Im Prinzip sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bei uns in der Kleinregion in Ordnung. Aber es gibt ein Parallelproblem: den neuen Bereitschaftsdienst und am Wochenende keine Totenbeschau mehr. Wir Bürgermeister haben den Schwarzen Peter.
Nach der Volksbefragung wurde gesagt, dass die Bevölkerung nicht ausreichend informiert worden wäre. Wie sehen Sie das?
Huber: Ich hätte mir eine bessere Aufklärung erwartet. Sie hätte früher beginnen müssen. Relativ lang gab es gar nichts.
Wie muss es jetzt mit der Gesundheitsplanung weitergehen?
Huber: Ich wünsche mir ein Zurück an den Verhandlungstisch. Wir brauchen eine Kompromisslösung. Gegeneinander geht es nicht. Es wäre wichtig, sich zusammenzusetzen. Eine ambulante Kinderversorgung ist jedenfalls zu wenig. Kinder sind ein hoch emotionales Thema – bis zu den Großeltern.
AERZTE Steiermark 05/2019
Foto: Girroel
Tabelle: Conclusio