„Ich denke nur an Fisch, Fliege und Strömung“
Anästhesie-Primaria Elisabeth Roth lebt im Moment. In medizinischen Akutsituationen ebenso wie beim Fliegenfischen. Den Fisch zu fangen bedeutet für sie eine Bestätigung ihres technischen Könnens und ihres Gespürs für den Lieblingsplatz des Fisches. Danach lässt sie ihren Fang wieder frei.
U. Jungmeier-Scholz
Beim Fliegenfischen von Natur und Stille umgeben zu sein, bis zum Oberschenkel in kühlendem Wasser und sich ganz auf den Wurf fokussieren zu können erlebt Elisabeth Roth als persönliches Paradies und als Ausgleich zu ihrem anspruchsvollen Berufsalltag. „Ich denke dabei nur an den Fisch, die Fliege und die Strömung.“
Beruflich fühlt sich Roth seit acht Jahren im Krankenhaus der Elisabethinen als Anästhesistin wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Vor genau einem Jahr hat sie ebendort das Primariat übernommen. Die Intensivmedizin war immer schon ihr erklärtes Ziel gewesen und heute ist sie froh, dass sie den Weg über die Anästhesie und nicht über die Innere Medizin genommen hat. „Da hat man mit Patienten jeden Alters vom Kleinkind bis zum Hochaltrigen zu tun, es ist schnell ein Ergebnis zu sehen und vom Punktieren übers Intubieren bis hin zum Wurzel-Blockieren kann man viel mit den eigenen Händen tun.“ Dass im Bereich der Anästhesie zahlreiche Aufgaben auch von Maschinen übernommen werden, stört sie nicht. „Immerhin muss ich für die Geräte denken.“
Elisabeth Roth ist von Natur aus stressresistent. „In einer Akutsituation bin ich sogar noch ruhiger als sonst. Da tritt dann ein Automatismus in Kraft und nach maximal 10 Sekunden Überlegen läuft alles wie im Film einfach ab.“ Laut wird sie dabei nach eigenen Angaben nie. Eher wortkarg: Oft reicht dann ein einziger Satz, um das Wesentliche zu kommunizieren.
Große Herausforderung
Um diese Stressresistenz zu konservieren, lädt Roth ihre inneren Batterien regelmäßig auf: beim Berglaufen wie beim Fliegenfischen. Während der Berglauf so richtig auspowert – „Ich muss ja gleich 5.000 Höhenmeter bezwingen und elf Stunden laufen, weil ich immer schon die große Herausforderung gesucht habe“ –, kommt sie beim Fischen zur totalen Ruhe. Seit 14 Jahren begleitet sie ihren Partner, bewundert sein „Geschick und Gespür“ und beobachtet ihn, um zu lernen. Während das Paar zunächst oft in der trüben Sulm gefischt hat, zählt nun – neben Urlaubsdestinationen von den provenzalischen Gorges du Verdon bis nach Südtirol – eine Vier-Kilometer-Strecke im Naturschutzgebiet der Raabklamm zu ihrem gemeinsamen Revier. Einmal haben sie schon selbst Fische gesetzt: Bachforellen und Äschen. Seitdem wartet Roth vergeblich darauf, einmal eine Äsche mit der charakteristischen fahnenartigen Rückenflosse zu erspähen. Denn „ihre“ 150 Äschen scheinen verschollen zu sein; abgewandert oder gefressen.
„Geht nicht, gibt´s nicht“
Abgesehen vom unerklärlichen Äschenschwund scheint Roth noch nicht viele Rückschläge erlitten zu haben. Nach der Matura absolvierte sie in Graz in zwölf Semestern ihr Medizinstudium (nachdem sie sich ein Jahr lang in der Psychologie versucht hatte), schloss den Turnus und schließlich ihre Facharztausbildung an. Seit ihrem Einstieg bei den Elisabethinen, der dritten und letzten Station ihrer Facharztausbildung nach dem LKH Deutschlandsberg und dem Klinikum Graz, wurde sie dort bereits zum Mitglied des Notfallteams, des Ethikteams, der OP-Koordination sowie des Simulationszentrums bestellt. Zwischenzeitlich war sie auch als Spitalsärztevertreterin tätig, bevor sie das Primariat übernahm. „Geht nicht, gibt´s nicht“, lautet ihr Motto – und sie meint, sie sei noch nie an dessen Grenze gelangt.
Überkommt sie beim Fischen einmal der Zorn – weil sich die Schnur im Gebüsch verheddert hat oder die Fliege verloren ging – geht sie auf Distanz. „Dann lege ich die Rute weg und setze mich entweder in die Wiese, um meinem Partner zuzuschauen oder ich laufe den Hang hinauf.“
Beim Fischen ist sie ausschließlich auf das aktuelle Tun fokussiert und danach entsprechend müde. „Auf eine gesunde Art müde“, wie sie betont. Auch der Fisch mag nach dem Kampf mit Roths Fangtechnik müde sein, aber er überlebt das Kräftemessen. „Die Fische sind meine Freunde und ich versuche, ihnen nicht wehzutun. Ich lasse sie auch alle wieder frei.“ Die Vorstöße ihres Partners, doch einmal einen mitzunehmen und zu grillen, konnte sie bisher noch abwehren. Wobei sie durchaus Fisch isst, weil sie das aus kulinarischen wie physiologischen Gründen befürwortet – aber eben keinen „befreundeten“. Und schon gar nicht möchte sie einen töten.
Schmaler Grat
Mit ihren Hobbys wie mit ihrer beruflichen Position ist Elisabeth Roth in Männerdomänen eingedrungen. Beim Berglaufen und beim Fliegenfischen war das „nie relevant“, aber im Job spürt sie schon Vorbehalte männlicher Kollegen ihr gegenüber. Roth hat ihren Weg gefunden, darauf zu reagieren, weiterhin straight zu entscheiden und dabei doch eine gewisse Weiblichkeit zu bewahren. „Der Grat zwischen ‚Bissgurn’ und jemandem, der sich unterbuttern lässt, ist schmal …“, erklärt sie nachdenklich.
In ihrem eigenen Team achtet sie auf eine ausgewogene Geschlechterverteilung. Doch ihr Job hat möglicherweise ein Ablaufdatum, falls nach der Zusammenlegung der Grazer Ordensspitäler keine entsprechende Position für sie gefunden werden kann. Konkrete Ziele verfolgt sie keine, „denn dazu lebe ich zu sehr im Moment. Ich versuche, im Jetzt das Optimum zu bringen.“ Egal ob beruflich oder privat: Sie legt sich selbst dabei die Latte gerne hoch.
Aber eine Vision für das mögliche Danach hat sie schon. „Ich war als junge Ärztin drei Jahre lang im mobilen Palliativteam in Deutschlandsberg. Das war die Art von Arbeit, nach der ich am zufriedensten heimgekommen bin. Aber ich war noch zu jung dafür.“ Die Fähigkeit zur Abgrenzung habe unter den prägenden Eindrücken der Arbeit gelitten und es sei ihr schwergefallen, den restlichen Tag über auf die leichte Seite des Lebens zurückzukehren.
Geheimnis der Opiate
Ob ihre ärztliche Zukunft nun im Palliativbereich liegt oder weiterhin in der Anästhesie – sie bringt die für beide Bereiche wichtigen Voraussetzungen mit: den versierten Umgang mit Schmerzmitteln ebenso wie ihre Entscheidungsfreude und -fähigkeit und den Mut, Verantwortung zu tragen. „Ich verstehe mittlerweile das Geheimnis der Opiate“, sagt sie. Denn sie geht den Dingen gerne auf den Grund. Als Anästhesistin, wo sie neben der Arbeit vor Ort nicht nur Studien durchackert und auf Kongresse fährt, sondern auch mit großer Freude in anderen Häusern hospitiert. So wurde sie durch einen Aufenthalt in Belgien zu einer der österreichischen Pionierinnen der opiatfreien Narkose.
Mit ebendieser geistigen Offenheit und Konsequenz erweitert sie aber auch ihr Wissen über die Fische, die sie fangen möchte. „Ich lese mir Kenntnisse über ihre spezifischen Eigenschaften an, um mich hineindenken zu können, an welchen Stellen sie zu finden sein werden.“ Am Wasser studiert sie dann den Untergrund, Steine, Lichteffekte und mögliche Verstecke – und wirft aus. Mit gekonnter Technik, aber doch auch nach Gefühl.
AERZTE Steiermark 07-08/2019
Fotos: beigestellt