Pro & Kontra Impfpflicht
Beim Thema Impfpflicht scheiden sich die Geister. Im Vorfeld des Grazer Impftags am 19. Oktober plädiert der Pädiater Ronald Kurz für die Impfpflicht. Der Theologe Andreas Klein spricht sich dagegen aus. Wir bringen beide Positionen.
Impfen und Ethik
Ronald Kurz
Einleitung
Auf der Basis des Hippokratischen Eids und des Genfer Gelöbnisses haben sich für Ärztinnen und Ärzte allgemeine ethische Grundforderungen für die Anwendung medizinischer Maßnahmen entwickelt (1, 2). Diese Grundsätze sind auch für alle entscheidungsfähigen Personen in Bezug auf ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Mitmenschen beachtenswert, insbesondere für die Eltern, die für ihre Kinder mitverantwortlich sind. In den letzten Jahrzehnten haben sich dem Alter und der Reife angemessene kindgerechte Ethikstandards für Praxis und Forschung in der Kinder- und Jugendheilkunde im Sinne des „Best Interest Standards des Kindeswohls“ konstituiert (3, 4):
Respekt für Leben, Würde und Integrität jedes Menschen
· Persönliche Autonomie: Das heißt, dass jeder Mensch das Recht auf verständliche Information und Zustimmung vor jeder ärztlichen Maßnahme hat. Für Kinder mit altersunterschiedlichen Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit gibt es rechtliche Vorgaben (s. u.)
· Das Prinzip des individuellen Benefits
· Das Prinzip des Verhinderns von Schaden („ primum non nocere“)
· Verteilungsgerechtigkeit: Das heißt, dass bei medizinischen Maßnahmen, auch in der Forschung, zwischen zustimmungsunfähigen und zustimmungsfähigen Personen (z. B. kleine Kinder, Bewusstlose u. a.) unter Beachtung individueller Sicherheitsbedingungen Gleichberechtigung besteht.
· Solidarität unter den Menschen („community spirit“)
Medizinische Ethik und Schutzimpfungen
Wie können die ethischen Forderungen mit Impfungen in Bezug gesetzt werden?
Zur Forderung Respekt für Leben, Würde und Integrität:
Der Staat schlägt in seiner Verantwortung für das Wohl seiner Bevölkerung wohldurchdachte, wissenschaftlich fundierte und jährlich überarbeitete Impfpläne vor (5), damit sie von ÄrztInnen in die Tat umgesetzt werden. Dabei müssen wir die Eltern miteinbeziehen, die eine unentbehrliche Verantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder haben, da sie ja beim Großteil der Kinder die Gesundheitspflege und -erhaltung zum Teil nach ärztlichem Rat übernehmen und dabei auch die Entscheidung für oder gegen Impfungen fällen. Was verantwortungsvolle ÄrztInnen und Eltern betrifft, kann mit wenigen Ausnahmen angenommen werden, dass ihnen das Leben der Kinder als höchstes Gut gilt.
Bezüglich der Menschenwürde fällt es nicht immer leicht, jedem Menschen vom kleinsten Neugeborenen bis zu den Menschen mit Behinderungen die gleiche menschliche Würde wie anderen gesunden Menschen zuzusprechen, obwohl genau dies im Artikel 1 der internationalen Menschenrechte festgelegt ist. Ein auch heute noch wahrnehmbarer Paternalismus mit geringer Lust zur Reflexion anderer fundierter Meinungen mag diese rechtliche und ethische Forderung beeinträchtigen.
Die Integrität des Menschen ist für die Ärztin/den Arzt bei medizinischen Maßnahmen immer sehr kritisch zu betrachten. Jede Impfung ist im Grunde ein Eingriff in die Unversehrtheit des Menschen. Weil jedoch die Nebenwirkungen der Impfungen, die in österreichischen Instituten sehr aufmerksam überwacht werden, weit unter dem Risiko einer Erkrankung liegen, darf sich der Arzt bei der Risikoabwägung für das zweifellos höheren Gut einer Impfung entscheiden.
Zur Forderung persönlicher Autonomie:
Dies bedeutet Selbstentscheidung. In einer Demokratie steht die Freiheit der Entscheidung an erster Stelle. Bei Impfungen von kleinen Kindern sind die Eltern gefordert, diese Entscheidung nach geltendem Recht für das Kind zu übernehmen und unmündige Kinder bis zum 14. Lebensjahr in der Entscheidung zu unterstützen. Circa ab dem 6. Lebensjahr sollte auch bei diesen Kindern ein ärztliches Gespräch über Nutzen und Risiko der Impfung in altersgemäß verständlicher Weise erfolgen. Nach dem vollendeten 14. Lebensjahr können mündige minderjährige Jugendliche und natürlich Volljährige nach verständlicher Information durch die Ärztin/den Arzt entsprechend der novellierten Fassung des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes 2013 (5) selbst entscheiden. Für die meisten einsichtsfähigen Eltern und andere entscheidungsfähige Personen sind die vorgeschlagenen Impfungen eine existentielle Vorsorge gegen unangenehme und gefährliche Infektionen. Manchmal gestalten sich die erforderliche Information und ethisch gerechtfertigte Überzeugungsarbeit schwierig und ist bei Impfgegnern nicht selten erfolglos. Deshalb wird, wie vor kurzem in Italien eingeführt, auch in Österreich eine gesetzliche Impfpflicht diskutiert.
Zur Forderung individueller Benefit:
Es gibt weltweit auf ethischen Kriterien basierende wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse (sog. klinische Studien) von Impfungen, die sich auf jene Infektionen konzentrieren, die eine hohe Gefährdung der Menschen bedeuten und bei denen Impfungen einen signifikanten Benefit bewiesen haben. Das sind die im Österreichischen Impfplan (5) vorgeschlagenen Impfungen, die weitgehend anderen europäischen Impfplänen entsprechen. Daneben gibt es Impfungen, die in der Vergangenheit nicht den erwarteten Erfolg brachten, z. B. gegen Scharlach oder Tuberkulose, und wieder eingestellt wurden. Andere Impfungen wurden eingestellt, weil weltweit der Impferfolg zur Eradikation der Infektion führte, z. B. gegen Pocken. Nahe dran ist man bei der Kinderlähmung, bei der politische Wirren, wie z. B. in Afghanistan, die sog. Polio-Plus-Aktion zum Zweck der Eradikation noch behindern. Intensiv geforscht wird z. B. an einer Impfung gegen AIDS, aber noch ohne Erfolg. Fazit: Impfprogramme haben weltweit zahlreiche früher seuchenartig und vielfach tödlich verlaufende Infektionen wesentlich reduziert (7), aber noch nicht eliminiert, was jedoch für einige Krankheiten möglich wäre.
Zur Forderung Nicht-Schaden:
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass das Negieren der bisherigen Forschungsergebnisse bezüglich des Benefits von Impfungen oder das Fernhalten der Kinder von Impfungen ein unter Umständen hohes Risiko, also einen Schaden, bedeuten. Gründe für Impfgegner sind Angst vor Nebenwirkungen, grundsätzliches Misstrauen gegenüber der sog. Schulmedizin und der Pharmaindustrie, esoterische oder individuell-opportunistische Grundhaltungen bei Eltern und anderen Erwachsenen, manchmal auch bei ÄrztInnen, die durch Forschung weltweit erwiesene Fakten nicht akzeptieren können (8). Dabei wird das Risiko der Impfkomplikationen bei den derzeit entwickelten, kritisch überprüften Impfungen überschätzt (9). Beträchtliche Impfkomplikationen sind selten und nur in extremen Ausnahmesituationen gefährlich. Als Beispiel können die Masern dienen: Beachtenswerte Krankheitssymptome wie hohes Fieber, Lichtscheu, und verschiedene Organschäden treten nach Masernimpfungen tausendmal seltener auf als bei nicht geimpften Kindern bzw. Erwachsenen, bei denen schwere Verläufe mit Lungen- oder Hirnentzündungen (30 % Letalität), die subakute sklerosierende Panenzephalitis (100 % Letalität) und monatelange Schwächung des Immunsystems beobachtet werden können.
In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass die verantwortungsvolle Ärztin bzw. der verantwortungsvolle Arzt keine Impfung durchführt, wenn eine Gegenindikation besteht, z. B. bei schwerer Krankheit, bei vulnerablen PatientInnen mit chronischen Erkrankungen u. a. im Sinne des „primum non nocere“. Fazit: Impfgegner verantworten das vielfach erhöhte Risiko der Schädigung der Kinder und anderer Kontaktpersonen und der eigenen Gesundheit.
Zur Forderung Verteilungsgerechtigkeit:
Dieser Grundsatz zielt darauf hin, dass nicht entscheidungsfähige Personen wie kleine Kinder oder Menschen mit Behinderung wie alle anderen Personen unter der Voraussetzung einer ethischen „Good Clinical Practice“ gleichermaßen in den Genuss einer sauberen Forschung und neuer wirksamer Heilmittel kommen (10).
Zur Forderung Solidarität (community spirit):
Dieter Spork (11) weist überzeugend darauf hin, dass unser öffentliches Gesundheitswesen die Verantwortung hat, eine optimale und für die ganze Bevölkerung flächendeckende Vorbeugung besonders gegen potentiell gefährliche, ansteckende Krankheiten durchzuführen. Es geht von nicht geimpften und infektiösen Kranken grundsätzlich eine Ansteckungsgefahr für Mitmenschen aus, die sich bis zu Epidemien ausweiten kann, wenn durch mangelnde Impfbereitschaft Maßnahmen des Gesundheitsdienstes untergraben werden. Weil also von nicht geimpften Menschen ein beträchtliches Schadensrisiko für nicht geimpfte Kontaktpersonen ausgeht, besteht für jedes Mitglied unserer Gesellschaft die ethische Forderung, dieses Risiko in Eigenverantwortung z. B. durch Impfungen zu verhindern. Eine besondere moralische Verantwortung für einen wirksamen Impfschutz bei sich selbst haben Personen, die in Gesundheitsberufen arbeiten.
Literatur
1.) Beauchamp T. L., Childress J. F. (2004) Principles of Biomedical Ethics. 6.Aufl., Oxford: University Press
2.) Staudt F., Schockenhoff E. (Hrsg) (2016): Tagung der „Cadenabia Akademie” Abtei Frauenchiemsee, 11.–15. September 2016, Altstipendiaten der Konrad-Adenauer- Stiftung Freiburg
3.) Kurz R. (2003): Ethik in der pädiatrischen Forschung. Monatsschr. Kinderheilkd. 151: 1276–1281 (2003)
4.) Staudt F. (2016): Ethik in der Kinder- und Jugendmedizin. Ein Leitfaden für Ärzte, Eltern und Patienten. AV Akademiker-Verlag, Saarbrücken
5.) Österreichischer Impfplan (2017) : https://www.bmgf.gv.at/home/Impfplan
6.) Kindschutzrechts- und Namensänderungsgesetz (KindNamRÄG 2013 BGB) (2013): http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I-0224)name/275931.pdf
7.) Kunze U., Joura E. (2017): Impfprogramme – eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Drastischer Rückgang von Infektionskrankheiten – gesellschaftlicher Nutzen zu wenig bekannt. Pädiatr. Pädolog. 3, 114–115
8.) AMB (2017): 51 32ÖB01. www.der-arzneimittelbrief.at
9.) Mutz I. ( 2015): Echte und vermeintliche Impfschäden. Pädiatr. Pädolog. 50, 57–62
10.) Kurz R. (2002) Putting the child first: research as a part of paediatric care. The Joseph J. Hoet Lecture on Ethics in Paediatric Research given at the European Conference in Clinical Research in Children, 24–25 January 2002, Brussels (2002). International Journal of pharmaceutical medicine 16, 11–13
11.) Spork D. (2016): Impfkolloquium. In Österreich relevante impfpräventable Infektionskrankheiten. Wissenschaftliche Akademie für Vorsorgemedizin, Graz
Fotos: Fotolia, beigestellt
Impfpflicht im ethischen Fokus
Andreas Klein
Seit einiger Zeit ist das Thema Impfpflicht – insbesondere mit Fokus auf Kinderkrankheiten und hier vor allem Masern – Gegenstand anhaltender und aufgeheizter Diskussionen.
Bereits die emotionale Aufgeladenheit der Debatten soll offenbar signalisieren, dass hier fundamentale Angelegenheiten tangiert werden. Dazu hat freilich auch die mediale Berichterstattung beigetragen, die insbesondere im Frühjahr 2019 und sogar im NR-Wahlkampf breit bedient wurde.
Das erschwert allerdings eine nüchterne, sachliche Reflexion, weil bereits vorab Positionen bezogen und bestimmte unverrückbare Interessen eingenommen werden. Auch die fortwährenden Zustandsberichte seitens der WHO befördern diese Ausgangslage.
Es mag nützlich sein, die eigene, hier vertretene Position den geneigten Leserinnen und Lesern vorab darzulegen, um die nachfolgenden Erörterungen besser einordnen zu können. Diese lautet in aller Kürze: uneingeschränkte Befürwortung von Impfungen, jedoch ohne Impfpflicht.
Diese Position orientiert sich an einer ethisch ausdifferenzierten Abwägung grundlegender Güter und Rechte zugunsten einer Win-Win-Situation, die allerdings mehr kognitiven und Ressourcenaufwand bedeutet.
Zur Entfaltung dieser Position sind zunächst ein paar Eckdaten vonnöten, die in der Berichterstattung rhetorisch meist verkürzt werden. Fakt ist, dass in Österreich im Blick auf Masern weder von einer drohenden Epidemie noch überhaupt von alarmierenden Zahlen gesprochen werden kann. Seit der Jahrtausendwende gehen die Infektionen enorm zurück und selbst im Vergleich zu 2015 liegen 2019 nur halb so viele Fälle vor (309 zu ca. 140). Lediglich zu den Vorgängerjahren ist ein Anstieg zu verzeichnen, der aber vor dem Hintergrund des zuvor erreichten niedrigen Infektionsniveaus zu sehen ist.
Dogmatisch festgefahrene Impfgegner in der Gesellschaft sind beinahe vernachlässigbar und wird es wohl noch länger geben. Alleine diese Umstände sollten zu einer argumentativen Beruhigung führen. Der Bezug zu 2015 ist auch deshalb von Relevanz, weil seinerzeit sowohl die Österreichische Ärztekammer als auch die Bioethikkommission eine Impfpflicht abgelehnt haben – jetzt aber dafür optieren – bei halb so vielen Infektionen.
Dieser strategische Bewusstseinswandel ist angesichts der faktischen Zahlen inhaltlich nicht leicht nachzuvollziehen. Man ist geneigt zu fragen, welche sonstigen Interessen hier noch eine Rolle spielen, zumal sich damit die Bioethikkommission in einen Gegensatz zum Deutschen Ethikrat bringt.
Von Impfpflichtbefürwortern wird vorrangig mit dem Schutz der Bevölkerung argumentiert, vor allem für Kinder (bis zum neunten Monat) und Menschen, die nicht geimpft werden können – z. B. aufgrund bestimmter Erkrankungen. Darüber hinaus bedürfe es einer Durchimpfungsrate von 95 %, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Damit werden die ethischen Prinzipien des Nichtschadens und der Fürsorge favorisiert gegenüber der Selbstbestimmung des Einzelnen und dem Grundrecht auf Freiheit (Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und eventuell Art. 14 EMRK Diskriminierungsverbot). Hier muss aber bereits festgehalten werden, dass das Nichtschadensprinzip nicht per se über das Selbstbestimmungsrecht zu stellen ist, da andernfalls zahlreiche menschliche Verhaltensweisen und Rechte einzuschränken wären – was aus guten Gründen nicht getan wird. Dies hat auch der VfGH im Juni 2019 brisant beim Thema Nichtraucherlokale noch einmal mit aller Deutlichkeit festgestellt: „Die Rechtsordnung akzeptiert in vielfachem Zusammenhang menschliche Verhaltensweisen, die auf die eine oder andere Weise (auch erhebliche) negative Auswirkungen für andere Menschen oder die Allgemeinheit haben können, weil der Gesetzgeber den Freiheitsgewinn höher bewertet als die nachteiligen Folgen.“ Diese Schlussfolgerung des VfGH resultiert aus grundlegenden Menschenrechten, was Impfpflichtbefürwortern nicht immer unmittelbar einzuleuchten scheint. Diese dürften ihre Position eher in die Nähe eines Paternalismus und damit einer Bevormundung rücken.
Geht man noch einmal zurück auf die Ausgangsargumentation, so lässt sich weiterhin festhalten, dass betroffene Kleinkinder (bis zum neunten Monat) in der Statistik mit ca. 5 bis 6 Fällen kaum repräsentativ auffallen. Weiters ist der Umstand relevant, dass z. B. problematischer Masernverlauf offenbar überhaupt nur für Jugendliche und Erwachsene ein ernsthaftes Problem darstellt, nicht jedoch für Kleinkinder. Damit ist das Schadenspotenzial also deutlich abseits der rhetorisch ausgebreiteten Gefahrenlage.
Ebenso ist hervorzuheben, dass die Impfrate bei der ersten von zwei Masernimpfungen in Österreich äußerst hoch ist, wie HV-Chef Biach im Sommer 2019 betonte. Das bedeutet, dass primär die zweite notwendige Impfung das zu adressierende Problem darstellt und die Ursachen für ein Nichtnachkommen behoben werden sollten. Und genau an diesem neuralgischen Punkt haben bisherige Maßnahmen deutlich zu wenig gegriffen. Es ist aber nicht so, wie mancherorts – auch von hochrangigen Juristen – behauptet wird, dass hierfür bereits alle nötigen Schritte ausgeschöpft wurden. Gerade der im Frühjahr 2019 forcierte mediale Hype um dieses Thema und die darauf folgende Impfwelle haben deutlich genug gezeigt, dass Menschen zum Impfen zu bewegen sind, wenn ihnen adäquate Informationen und Angebote zur Verfügung gestellt werden. Eine wichtige Ursache scheint tatsächlich in der (durchaus verständlichen) Vergesslichkeit zu liegen, die jedoch etwa durch Medien und in Zukunft auch durch den e-Impfpass (neben anderen möglichen Maßnahmen) deutlich effizienter adressiert werden können. Von ausgeschöpften Möglichkeiten kann folglich keine Rede sein.
Im Blick auf die Gruppe der nicht impfbaren Erwachsenen muss wohl auch gesagt werden (dürfen), dass diese Menschen offenbar bislang eine Impfung nicht in Anspruch genommen haben (andernfalls würden sie ja gar kein Problem darstellen), was ihr gutes Recht ist, und dass es auch in ihrer Verantwortung liegt, die daraus resultierenden möglichen (negativen) Konsequenzen zu tragen. Dies ist auch in vielen anderen Lebenslagen der Fall und für sich betrachtet nichts Besonderes – beispielsweise im Blick auf Rauchen oder Zeckenimpfung. Um aber auch diese Situation zu verbessern, wäre wiederum auf die oben erwähnten Maßnahmenoptionen zu verweisen (bessere und fundierte mediale Information, e-Impfpass, niederschwellige Angebote usw.).
Impfungen sind auf jeden Fall und auch wissenschaftlich unbestritten sinnvoll und zu favorisieren, zumal die teilweise befürchteten Neben- und Folgewirkungen, also das eventuelle Schadenspotenzial, beinahe vernachlässigbar sind. Hier spielen also (wissenschaftliche) Uninformiertheit und ideologische bzw. weltanschauliche Vorbehalte eine große Rolle. Letztere wird man jedoch durch einen Impfzwang nicht beheben, sondern – wie Studien zeigen – sogar noch befeuern, erst recht, wenn Verweigerern noch gesellschaftliche Nachteile drohen. Das vom deutschen Gesundheitsminister präferierte Programm sogar mit Strafzahlungen wird dann wohl auch ausreichend sozial schwächere Gruppen treffen.
Die deutsche Entwicklung ist umso erstaunlicher, als sich gerade der höchst dekorierte Deutsche Ethikrat im Juni 2019 äußerst differenziert mit der Frage beschäftigt hat und im Wesentlichen die hier vertretene Position einnimmt: Völlige Zustimmung zu Impfungen und Verbesserung der Ausgangslage bei gleichzeitiger Ablehnung einer Impfpflicht. Analog hat dies auch bereits die UNICEF hervorgehoben und selbst von der WHO wird keine Impfpflicht ausgegeben.
Staaten wie Finnland zeigen zudem exemplarisch, dass eine ausreichende Durchimpfungsrate auch ohne Impfpflicht erzielbar ist.
Sortiert man die obigen Erläuterungen, so ergibt sich vor dem Hintergrund einer ausbalancierten Abwägung von Grundrechten und im Blick auf das Ziel einer größeren Impfbereitschaft, dass es vornehmlich um multifaktorielle Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene gehen sollte, um eine Win-Win-Situation zu erzielen. Damit würden Grundrechte und ethische Prinzipien in ausgewogener Weise realisierbar sein, ohne in eine Kulturkampfmentalität zu verfallen und den jeweils anderen Positionen unethisches Verhalten zu attestieren. „Motivation statt Sanktion“ wäre hierfür vielleicht ein passendes Bonmot. Kritisch sollte jedoch auf zumeist vorenthaltene Einzel- und Gruppeninteressen reflektiert werden, insbesondere bei Macht-, Dominanz- oder Ökonomieinteressen, die häufig im Hintergrund präsent sind, aber ungern kommuniziert werden.
Anders ist die Situation jedoch hinsichtlich des Gesundheitspersonals zu beurteilen. Hier sollte eine Impfpflicht gefordert werden, da die Akteure nicht als Privatpersonen agieren, auch sonst unter zahlreichen Regularien stehen und insgesamt eine besondere Verantwortung tragen. Diesbezüglich ist es jedoch irritierend, dass sich noch nicht einmal die Ärztekammer zu einer Impfpflicht des eigenen Personals durchringen konnte, aber jetzt eine generelle Impfpflicht fordert. Vorbildwirkung sieht m. E. anders aus.
Abschließend sei jedoch noch festgehalten, dass dann, wenn sich die Gesamtlage deutlich verschlechtern sollte, auch eine generelle Impfpflicht nicht ausgeschlossen werden muss. Von diesem Bedrohungsszenario ist man hierzulande jedoch noch sehr weit entfernt.
AERZTE Steiermark 10/2019
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