Pathologie: Ja, wir obduzieren. Aber nicht nur!
Pathologie: Von der Diagnoseerstellung bis zum Todesdokument lautet der Titel einer Fortbildung am 16. November 2019. Pathologie-Assistenzärztin Verena Maria Stangl über die vielfältigen Aspekte der Pathologie.
Verena Maria Stangl
Wir schreiben „Pathologie 2019“ mit laufend wachsenden Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, die das Fachgebiet immer komplexer, aber auch immer interessanter machen. Anhand der Diagnostik der Pathologie kann Unsichtbares sichtbar gemacht werden, sowohl am Lebenden als auch am Verstorbenen. Doch wenn nachfragt wird, welche Aufgaben PathologInnen haben, beinhalten die Antworten fast immer das Verb „obduzieren“ – obwohl die Pathologie ein zentrales und unverzichtbares Fach sowohl in der Medizin als auch im klinischen Alltag darstellt.
Durch unsere Befunde liefern wir Diagnosen, welche die Entscheidungsgrundlage für die Verordnung adäquater Therapien bilden. Die Beurteilung des entnommenen Gewebes durch die Pathologin bzw. den Pathologen ist somit eine wichtige Basis für eine effiziente und gezielte (Nach-)Behandlung. Jedes entfernte Gewebe, sei es auch noch so klein und asymptomatisch, wird durch das Auge des Pathologen makroskopisch und histologisch begutachtet.
Aufgaben der Pathologie
Obwohl die Pathologie ein klinisches Fach darstellt und in allen ihren Aufgaben patientenorientiert agiert, haben leider trotzdem Viele – auch im medizinischen Bereich Tätige – eine falsche Vorstellung von unserer beruflichen Tätigkeit. Um das Ganze kurz aufzuklären: Ja, wir obduzieren. Aber nicht nur!
Unsere Hauptaufgabe ist die Erstellung von exakten Diagnosen und die Klassifizierung krankhafter Vorgänge/Zustände im menschlichen Körper. Auch spielen wir eine entscheidende Rolle in der Erfassung von Prognosen und der Risikoeinschätzung der Erkrankung und gewinnen immer mehr Einfluss auf die Therapieplanung. Immunhistochemische Untersuchungen und molekulare Marker ermöglichen die Charakterisierung von Tumorzellen anhand bestimmter Eigenschaften. So kann bereits im Vorhinein entschieden werden, ob eine medikamentöse Therapie bei einem bestimmten Patienten überhaupt wirken würde und für jeden Patienten individuell entschieden werden, welches Behandlungsverfahren in welcher Kombination das beste für ihn sein wird. Das erspart dem Patienten viel Kummer und dem Gesundheitssystem Geld.
Aktuell im Fokus des Interesses sind die Untersuchungen mit Antikörpern gegen PD-1/PD-L1, welche Anhaltspunkte geben könnten, ob eine neue Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren wirken könnte, was in ca. 30 Prozent der Fälle zutrifft. Die Pathologie hat sich im Laufe der Jahre rasant gewandelt und der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Es gibt nun nicht nur den Pathologen und sein Mikroskop (das natürlich weiterhin das Fundament bildet), sondern eine enorme Maschinerie an modernsten Analysentechniken, um dem Trend hin zur Präzisionsmedizin gerecht zu werden. Dabei spielen molekularpathologische Verfahren wie das „Next Generation Sequencing“ (NGS) eine wichtige Rolle. Ohne NGS gäbe es keine zielgerichteten (Immun-)Therapien. In einem Arbeitsgang können hierbei z. B. ca. 500 Gene untersucht werden. NGS findet nicht nur im Bereich der Tumorpathologie Anwendung, sondern auch in der Erregerdiagnostik. Bei klinischen Infektionszeichen mit negativer Kultur kann ein Erreger mit Hilfe des NGS-Verfahrens durch eine DNA/RNA-Extraktion detektiert und schlussendlich eine gezielte Therapie eingeleitet werden. Um dem „state of the art“ zu entsprechen, etablieren wir stets neue Techniken im Rahmen universitärer Forschungsprojekte. Damit sind wir das Institut mit dem höchsten publikatorischen Output (14,2 % des gesamten impact factors) der Medizinischen Universität Graz. Das Institut für Pathologie der MUG ist eines der größten pathologischen Institute Mitteleuropas und verfügt über einen Pool hervorragend ausgebildeter MitarbeiterInnen für pathohistologische Diagnostik (Fachärzte, BMAs). Es deckt das gesamte Spektrum der Pathologie durch international anerkannte Spezialisten ab. Im Rahmen der diagnostischen Tätigkeit werden jährlich rund 105.000 Operationspräparate und Gewebebiopsien, 5.000 Gefrierschnitte und 20.000 zytologische Präparate analysiert sowie 65.000 immunhistochemische Untersuchungen, 6.300 molekulare Analysen und 600 Obduktionen bzw. 1.600 Totenbeschauen durchgeführt. Ferner bieten wir Beratungen im Rahmen von Diagnosestellungen, Interpretationen von Laborergebnissen und Follow-up-Untersuchungen an.
Sicherheit für alle Beteiligten
Obduktionen und Totenbeschauen machen also lediglich einen kleinen Teil unserer Tätigkeit aus. Dennoch ist dieser Teilaspekt unserer Tätigkeit keinesfalls zu vernachlässigen. Unter der Prämisse eines natürlichen Todes erfolgt die Erstellung und Auswertung klinisch-pathologischer Korrelationen als qualitätssichernde und lehrreiche Maßnahme, die allen Beteiligten (Angehörigen, Ärzten, Spitalserhaltern) Sicherheit gibt. Das ist besonders für Angehörige der Verstorbenen wichtig, da Zweifel beseitigt werden und Klarheit geschaffen wird. Steht Fremdverschulden, ärztliches Fehlverhalten, ein (poly-)traumatischer Tod mit verkehrsmedizinischen Fragestellungen (Entstehung von Verletzungen, Biomechanik etc.) oder Intoxikation im Raum, ist jedenfalls eine Obduktion von der Gerichtsmedizin durchzuführen, weil nur diese über die nötigen Ressourcen, Kompetenzen, analytischen Methoden, Gerätschaften und Labore verfügt.
Pathologen führen Obduktionen sowohl für die Klinik als auch für die Sanitätsbehörde durch. Eine sanitätsbehördliche Obduktion kann bei einer außerhalb des Krankenhauses verstorbenen Person von der Sanitätsbehörde angeordnet und beauftragt werden, wenn der Beschauarzt vor Ort keine schlüssige Kausalkette zwischen Grundleiden und Todesursache herstellen kann und die Obduktion „zur Feststellung der Ursache des Todes und der Krankheit des Verstorbenen aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge notwendig ist und diese Feststellung auf andere Weise nicht erreicht werden kann“ (§ 12 Abs. 3 Steiermärkisches Leichenbestattungsgesetz).
Leider müssen wir immer wieder die mangelhafte bzw. unzureichende Durchführung von Totenbeschauen feststellen (z. B. Leiche nicht entkleidet, Todesumstände unzureichend hinterfragt etc.). Unserer Meinung nach werden die ÄrztInnen in diesem Bereich nicht ausreichend ausgebildet (was wir des Öfteren auch von diesen selbst zu hören bekommen). Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich immer mehr approbierte ÄrztInnen scheuen, die sehr verantwortungsvolle Tätigkeit der Durchführung einer Totenbeschau zu übernehmen, zumal deren unzureichende Durchführung enorme Konsequenzen nach sich ziehen kann (Übersehen eines Mordes, Exhumierung der Leiche, strafrechtliche Verfolgung).
ÄrztInnen würden klare Richtlinien und Hilfestellungen benötigen, die ihnen Sicherheit bei einer Totenbeschau geben und somit die korrekte Handhabung in unterschiedlichen Situationen ermöglichen. Dies würde die Qualität der Totenbeschau steigern und dazu führen, dass ein Verdacht auf Fremdverschulden auch deutlich kommuniziert wird, sodass eine weitere Objektivierung seitens der Staatsanwaltschaft mit Anordnung einer gerichtlichen Obduktion erfolgen kann.
Seit der Änderung von § 3 Abs. 5 des Stmk. Leichenbestattungsgesetzes im Juli 2019 ist jede/r zur selbstständigen Berufsausübung berechtigte Ärztin/Arzt berechtigt, den Tod festzustellen, die vorläufige Todesursache zu beurteilen und die Zustimmung zur Entfernung der Leiche vom Sterbeort gemäß § 6 Abs 1. des Stmk. Leichenbestattungsgesetzes zu erteilen („Bis zur Durchführung der Totenbeschau ist die Leiche am Sterbeort zu belassen. Hievon darf nur mit Zustimmung der Totenbeschauerin/des Totenbeschauers Abstand genommen werden, wenn für sie/ihn keinerlei Zweifel an der Todesursache bestehen und das Belassen der Leiche am Sterbeort unzweckmäßig erscheint.“). Kann eine Todesursache ohne Zweifel angegeben und Fremdverschulden ausgeschlossen werden, darf davon Gebrauch gemacht werden. Um Zweifel/Fremdverschulden ausschließen zu können, ist in den meisten Fällen auch eine Beschau notwendig, um die Situation vor Ort richtig einschätzen zu können. Daher ist diese Gesetzesänderung kritisch zu betrachten und es ist entscheidend, den (angehenden) ÄrztInnen frühzeitig ausreichende praktische Richtlinien zu geben.
Als universitäres Institut für Pathologie sehen wir es als unsere Aufgabe, Maßstäbe zu setzen und Qualitätsstandards zu bewahren. Daher sind wir gerne bereit, diesbezüglich Hilfestellungen durch vertiefende Fortbildungen anzubieten, um Unklarheiten frühzeitig zu beseitigen.
Dr. Verena Maria Stangl ist Assistenzärztin am Institut für Pathologie der Medizinischen Universität Graz.
AERZTE Steiermark 10/2019
Foto: beigestellt