„Das wird sich schrittweise entwickeln müssen“

Seit 1. Jänner ist die eigenständige steirische GKK Geschichte und die Österreichische Gesundheitskasse Realität. Vinzenz Harrer ist der erste Landesobmann, der bisherige GKK-Obmann Josef Harb sein Stellvertreter. Alle halben Jahre wird getauscht. Veränderungen finden bisher vor allem intern statt.

Martin Novak

Haben Sie sich schon in der ÖGK eingelebt?

Harrer : Eingelebt ist schwer zu definieren. Wir kennen ja beide das Haus gut, wir haben nur neue Rollen. Wir sind im Haus gut verankert, aber vieles Organisatorische ist erst im Werden. Die ÖGK entwickelt sich schrittweise, auch die Ansprechpartner im Haus kommen schön langsam in ihren Rollen an. Äußerst positiv zu sehen ist aber, dass der Jahreswechsel keine großen Überraschungen gebracht hat und dass der Übergang von den Gebietskrankenkassen zur ÖGK für die Versicherten sehr gut funktioniert hat.

Harb : Nicht nur die Rollen in der Selbstverwaltung haben sich drastisch verändert, sondern auch die Funktionen in den Bereichen und Abteilungen. Damit braucht auch das Zusammenspiel zwischen Selbstverwaltung und hauptamtlichem Bereich ein bisschen Zeit. Dass die Versicherten in der ersten Phase von der Veränderung möglichst wenig mitbekommen, war das Ziel. Aber jetzt müssen wir das mit Leben erfüllen, um die Interessen der Versicherten gut zu vertreten, unsere Kanäle zu den zentralen Stellen möglichst gut aufbauen. Das geht nicht auf Kommando, das muss sich entwickeln. Wir wollen aber zu einer guten Zusammenarbeit finden. Persönlich bin ich ein bisschen skeptisch, ob die bewährte Zusammenarbeit mit dem Land, dem Gesundheitsfonds und unseren Partnern gleich weitergehen kann. Das muss sich erst beweisen, die Strukturen sind sehr eng gefasst.

Herr Harb, Sie haben ja gegen diese Fusion und für die Eigenständigkeit der GKK gekämpft. Jetzt sind Sie Teil dieser neuen Gesundheitskasse. Wie gehen Sie damit um?

Harb : Das ist ein Spagat. Grundsätzlich bin ich aber entsandt, um die Interessen der Versicherten zu vertreten. Dass muss ich mit den Mitteln, die sich bieten, bestmöglich tun. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die jetzige Struktur nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen und das Beste daraus machen. Ich muss als Vertreter der Arbeitnehmerseite die Qualität der Gesundheitsversorgung bestmöglich unterstützen. Es muss wieder Projekte aus der Landesstelle heraus geben, auch wenn das nicht einfacher, sondern eher schwieriger wird. Aber wenn ich das nicht akzeptiert hätte, hätte ich mich nicht bestellen lassen dürfen.

Harrer : Das Haus ist über die Dienstnehmerseite all die Jahre sehr gut geführt worden. Das darf man nicht übersehen. Jetzt ändern sich die Rollen, in denen wir uns erst finden müssen – da bin ich bei Josef Harb. Aber man muss dem neuen System jetzt Zeit und Raum geben, sich zu entwickeln. Auch das alte System hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Es ist nicht in den letzten zwei, drei Jahren um Klassen besser geworden, sondern es ist permanent adaptiert und an die Zeit angepasst bzw. in manchen Bereichen auch reformiert worden. Das ist ein dauernder Prozess und genau diese Prozesse werden wir auch im neuen System haben. Es werden auch zunehmend Menschen das neue System gestalten, die das alte gar nicht gekannt haben. Die Wehmut gegenüber dem alten System werden die meisten über die Jahre nicht mehr verspüren, weil sie es gar nicht kennen. Deswegen liegt es an den handelnden Personen. Die Partnerschaft zwischen Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern ist mir wichtig. Entscheidend wird sein, was wir daraus machen. Wenn wir das in gutem Einvernehmen und mit dem richtigen Augenmaß betreiben, werden wir einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Systems leisten. Wenn wir uns nur mit den fraktionellen Positionen auseinandersetzen, werden wir nicht die Kapazität haben, die sich die Versicherten von uns erwarten. Ich bin froh, dass Josef Harb als Dienstnehmervertreter im Haus geblieben ist, weil gerade in diesem Übergang Vorwissen nie schaden kann, auch wenn es teilweise wehtut, wenn man sich mit den Veränderungen auseinandersetzen muss.

Was sind die gravierenden Veränderungen für Partner und Versicherte?

Harrer : Für den Versicherten hat sich merklich sehr wenig verändert. Solange der Versicherte seine Leistungen im Wesentlichen unverändert konsumieren kann, wird er die neue Struktur kaum in Frage stellen. Viel verändert hat sich in der Struktur der Leistungserbringung – wir haben zum Beispiel eine andere Verantwortung gegenüber den Vertragspartnern: Es gibt nur mehr eine österreichweite Verantwortung, da müssen wir sukzessive in den Dialog eintreten. Innerhalb des Bundeslandes haben wir eher eine informelle und organisatorische Rolle. Ich glaube aber, dass in den nächsten ein, zwei Jahren der Versicherte draußen sehr wenig merken wird.

Harb : Momentan wird der Versicherte praktisch nichts merken, aber Gesundheitsversorgung ist ein Prozess, der mit Veränderungen und neuen Herausforderungen konfrontiert ist. Die Veränderungen sind teils schwer vorhersehbar – auf der Leistungserbringer- ebenso wie auf der Leistungsbezieher-Seite. Da stellt sich für mich die Frage, ob wir in der Zukunft noch in der Lage sein werden, in der gewohnten Weise zeitnah diese veränderten Rahmenbedingungen in unseren Abläufen, Strukturen und Angeboten zu berücksichtigen. Das muss sich erst beweisen. Da habe ich durchaus Bedenken, dass es zu gewissen Trägheiten kommt. In einigen Jahren werden wir wissen, ob es besser geworden ist, ob alles gleich bleibt oder sich für die Versicherten Nachteile ergeben.

Nominell wechseln Sie alle sechs Monate die Positionen zwischen Vorsitzendem des Landesstellenausschusses und Stellvertreter. Wie gehen Sie damit um?

Harrer : Für mich stellt das keine große Herausforderung dar, weil wir ja nur den Vorsitz wechseln und nicht die Funktion. Josef Harb vertritt die Interessen der Dienstnehmer, ich vertrete die der Dienstgeber über die gesamte Periode hinweg. Das ist eine klar geregelte, rhythmische Abfolge. Man muss sich aufgrund der paritätischen Darstellung sowieso gut abstimmen.

Harb : Darüber steht die wesentlich stärkere Zentralisierung der Entscheidungen, aber auch die verstärkte Verantwortung der hauptamtlich tätigen Kolleginnen und Kollegen. Schon dadurch gibt es kein halbjährlich wechselndes Hü oder Hott. Dafür hat der Gesetzgeber schon gesorgt. Unser Hauptansprechpartner ist der Verwaltungsrat der Österreichischen Gesundheitskasse als höchstes Gremium der Selbstverwaltung. Dass wir jedes halbe Jahr anders agieren, würde die Struktur gar nicht zulassen.

Nehmen wir ein reales Beispiel – die unerwartete Sonderausschreibung einer Kassenstelle. Läuft die jetzt anders ab, als sie im Dezember abgelaufen wäre?

Harrer : Grundsätzlich wird jede Ausschreibung auf der Mitarbeiterebene geprüft und vorbereitet. In diese Vorbereitung fließt auch die Rücksprache mit dem jeweiligen Fachbereich auf Bundesebene ein. Da kann es in der zeitlichen Abfolge Verschiebungen geben, aber gar nicht notwendigerweise, weil länderspezifische Bedürfnisse in sich geregelt sind. Ein anderes Thema sind Budgets und Sondermittel: Da haben wir keine landeseigenen Budgets. In der Vergangenheit konnte eine Kasse mit ordentlichen Überschüssen sagen, das leisten wir uns. Jetzt ist ein Überschuss der freien Mittel in ganz Österreich zu berücksichtigen, weil es ein Haus ist. Das betrifft aber weniger unsere Vertragspartner, etwa die Ärztekammer, sondern eher die Landesagenden. Die Anschubfinanzierung zum Beispiel ist ein unmittelbares Versorgungsthema, da geht es ja nicht um ein Projekt, bei dem man etwas ausprobiert, sondern darum, die Versorgung der Versicherten aufrechtzuerhalten.

Das stärkste Argument nach außen war die Harmonisierung der Leistungen aus Sicht der Versicherten. Bis wann werden die Steirerinnen und Steirer die gleichen Leistungen bekommen wie die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger?

Harrer : Wir haben in den einzelnen Bundesländern Spezifika, die nicht aus Jux und Tollerei entstanden sind, etwa periphere Einrichtungen, die in der Steiermark und Tirol anders sein können. Die Harmonisierung der Leistungen hat aber schon vor Jahren begonnen, die ist ja auf Schiene. Bei der Harmonisierung der Vertragsstrukturen müssen wir die Laufzeiten der bestehenden Verträge beachten – da gibt es Fristen. Und wenn man hier Vereinheitlichungen will, muss man zuerst die Gewichtungen anschauen. In der Regel ist die Situation ja in anderen Bundesländern nicht schlechter oder besser, sondern nur anders. Der Prozess wird sicher ein bisschen dauern.

Harb : Die Harmonisierungen der Leistungen in Richtung der Versicherten sind ja schon in den ehemaligen neun Gebietskrankenkassen sehr weit gediehen. Bis es vollständig geschafft ist, wird es noch ein bisschen dauern. Ich kann ja nicht die gleichen Leistungen anbieten, wenn ich die Anbieterstruktur nicht habe. Aber wir hatten schon drei Harmonisierungswellen, bevor die ÖGK entstanden ist. Für mich stellt sich die Frage, wann es auch zu einem Ausgleich mit den anderen Sozialversicherungsträgern kommt – mit denen der Beamten und Selbständigen. In der Beamtenversicherung gibt es keine Arbeitslosen, Asylwerber oder Mindestsicherungsbezieher. Dort gibt es pro Jahr und Versichertem um rund 400 Euro höhere Einnahmen. Wo findet da ein Ausgleich statt? Darüber wurde bisher sehr wenig gesprochen. Das werden wir auf Bundesebene immer wieder ansprechen. Bei den Leistungserbringern wird die Harmonisierung auch auf Bundesebene stattfinden müssen. Da gab es immer wieder Ideen, die verworfen wurden. Mein Gefühl ist, dass es noch ein weiter Weg sein wird.

Für die beiden fusionierten Sonderversicherungsträger, SVS und BVAEB, gibt es eine sehr klare Harmonisierungs-Roadmap. Wie schaut das für die ÖGK aus?

Harrer : Die beiden anderen Versicherungsträger hatten den Vorteil einer schon bestehenden Bundesorganisation. Da geht es quasi um eine Inhouse-Zusammenführung. Wir hatten neun eigenständige Krankenkassen, dadurch ist es um einiges komplexer. Das wird sich schrittweise entwickeln müssen.

Harb : Ich kenne auch keine Roadmap der ÖGK. Jetzt ging es einmal darum, die Entscheidungsstrukturen zusammenzuführen. Das war’s.

Harrer : Es gibt die klare gesetzliche Vorgabe, dass die Leistungen für die Versicherten vorerst nicht verändert werden. Das ist eine klare Basis, um von dort weg zu starten.

Harb : Mir sind aus Sicht der ÖGK keine Ziele bekannt, wo wir 2025 oder 2030 mit der Gesundheitsversorgung sein wollen. Jetzt geht es einmal um interne Strukturveränderungen, die nach außen hin möglichst keine negativen Auswirkungen haben. Von den positiven Auswirkungen – etwa in Hinblick auf die angekündigten Einsparungspotenziale, von der Funktionärs-Milliarde, aus der eine Versicherten-Milliarde werden soll – ist weit und breit nichts zu sehen. Geschweige denn von konkreten Gesundheitsverbesserungsmaßnahmen – davon ist im letzten Jahr nicht gesprochen worden, zumindest mit mir nicht.

Da dürfte ich die nächste Frage ja eigentlich gar nicht stellen … Die Vertragsärztedichte im Bregenzerwald oder im südlichen Burgenland ist wesentlich höher als in der Süd- und Oststeiermark. Wie erklärt man das den Versicherten?

Harrer : Dafür gibt es ja Vorgaben. Das ist mit den Ländern und Ärztekammern klar akkordiert. Das ist ja keine Willkür, sondern eine gemeinsame Entscheidung aller Verantwortungsträger auf gesetzlicher Grundlage.

Aber was sagen Sie dem Versicherten in der Oststeiermark?

Harb : Es geht ja nicht um die Zahlen. Jeder Oststeirer hat Zugang zur medizinischen Versorgung. Mir wäre nicht bekannt, dass wir abgesehen von nicht besetzten Planstellen in irgendeiner Region eine Versorgungslücke hätten.

Harrer : Das wird immer auf gesetzlicher Ebene geregelt unter Berücksichtigung der Wahlärztinnen und Wahlärzte. Das ist für den Vorarlberger ganz gleich wie für den Steirer.

Harb : Ich hatte in den letzten beiden Jahren nicht den Eindruck, dass die Ärztekammer will, dass wir die Zahl der Kassenstellen dramatisch erhöhen. Mein Eindruck war eher der umgekehrte.

Noch eine Detailfrage: Es gibt nur zwei Bundesländer ohne Kassenplanstellen für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eines davon ist die Steiermark. Wird das so bleiben?

Harrer : Das ist eine hochinteressante Frage, aber ich glaube, dass wir beide die falschen Ansprechpartner sind. Grundsätzlich wissen wir um die Problematik. Die Bundesländer bemühen sich um Lösungen. Teilweise sind sie unterschiedlich. Manche sind bei den Einrichtungen stärker, manche im niedergelassenen Bereich. Aber wir haben Versorgungsbereiche, wo man etwas tun muss. Die Frage ist, ob wir die Ärztinnen und Ärzte haben.

Harb : Da gibt es einen ganz klaren Beschluss der Zielsteuerungskommission , der noch aus vor meiner Zeit stammt. Demnach soll die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in Einrichtungen stattfinden.

Aber jetzt gibt es die ÖGK …

Harb : Das pickt. Da müsste man eine neue Strategie entwickeln und beschließen, von den dislozierten Ambulatorien wegzugehen. Da sind aber auch nichtärztliche Gesundheitsberufe zusammengefasst. Es ist mir nicht bekannt, dass man davon abweichen will. Ob es die eine oder andere Kassenstelle gibt, ist für mich persönlich nicht entscheidend. Aber die große Strategie ist eine andere, und die wird sich wohl auch nicht ändern.

Harrer : Im Gegenteil. Das war ja ein Prozess. Die Frage ist aber vor allem, wie organisiert man es, und wie findet man die handelnden Personen. Wir haben – nicht nur in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – Schwierigkeiten, die behandelnden Ärzte zu finden.

Die Kinder- und Jugendpsychiater sagen, sie würden Kassenstellen übernehmen.

Harb : Das ist ganz spannend. Dort wo wir keine brauchen, würden die Ärzte es machen, dort wo wir sie brauchen, will es keiner.

Wir sprechen von 6 fachärztlichen Stellen für Gynäkologie und Kinder- und Jugendheilkunde.

Harb : Die mediale Berichterstattung sagt etwas anderes. Die spricht von einem Notstand.

Sie sind ja nicht auf die mediale Berichterstattung angewiesen.

Harrer : Festzuhalten ist, dass man in den letzten beiden Jahren vieles versucht hat, um Abhilfe zu schaffen. Wir haben aber alle zur Kenntnis nehmen müssen, dass es nicht so einfach ist. Auch mehr Geld hat nicht den erwünschten Effekt.

Damit wir vom Geld wegkommen: Eines der immer wieder beklagten Phänomene ist der hohe Verwaltungsaufwand für Kassenärztinnen und -ärzte. Sehen Sie das auch so?

Harrer : Als Unternehmer sage ich, dass kein selbständig Tätiger aufwändige Büroarbeiten schätzt. Da glaube ich, dass ich die Ärzte einschließen darf. Grundsätzlich ist es das gemeinsame Ziel, möglichst viele Kapazitäten für die eigentlichen Leistungen freizuschaufeln. Aber eine ordnungsgemäße Darstellung und Verrechnung der Leistungen wird sich nicht vermeiden lassen. Da kann ich nur appellieren, auch an die Interessenvertretung, bei der Weiterentwicklung digitaler Angebote aktiv mitzuwirken.

Die elektronische Abrechnung gibt es seit Anfang der 2000er-Jahre …

Harrer : Das ist nicht des Pudels Kern. Über elektronische Angebote bekommen wir mehr Einheitlichkeit und Organisation. Ich bin immer darauf angewiesen, dass alle mittun und kann mich nicht nach den wenigen richten, die nicht wollen.

Harb : Dazu möchte ich etwas ergänzen. Dass die Ärzte nur einmal pro Monat eine Rechnung schicken und sonst nichts dokumentieren wollen, kann ich schon verstehen. Aber so funktioniert Gesundheitsversorgung nicht. Die Verantwortung für eine funktionierende Gesundheitsversorgung tragen nicht der einzelne Arzt und die Ärztekammer, sondern Bund, Land und Sozialversicherung. Dazu brauchen wir eine Datenlage. Und die muss uns zu einem wesentlichen Teil unser Vertragspartner liefern. Wenn ich diese Daten nicht bekomme, wird es mühsam. Wir haben nicht die gesetzlichen Möglichkeiten, die Basisdaten einzufordern. Das ist einer der großen Schwachpunkte im System. Da müssen wir eher mehr machen als weniger. Da hoffe ich, dass das Gesamtverständnis der Ärzte über die eigene Kassenstelle hinausgeht.

Müsste man den Ärztinnen und Ärzten die Sinnhaftigkeit elektronischer Dokumentation besser vermitteln?

Harb : Das glaube ich schon. Wenn ich von jemandem etwas will und nicht vermitteln kann, warum ich es will, wird er es nur unwillig tun. Da kann man sicher mehr tun. Etwas nur hinzuwerfen und nicht zu erklären, warum es für das gesamte Versorgungssystem wichtig, das ist zu wenig.

Mit der SVS und der BVAEB rechnen Ärztinnen und Ärzte monatlich ab, mit der ÖGK jedoch vierteljährlich. Wird es auch zu einer monatlichen Abrechnung mit der ÖGK kommen?

Harb : Das kann ich nicht sagen. Ich schließe aber nicht aus, dass es kommen wird. Das wäre aber definitiv auf Bundesebene zu regeln.

Harrer : Man soll immer das Gesamte sehen. Das sind Vereinbarungen, die nicht einseitig entstanden sind. Und es ist ja nicht so, dass es in der Zwischenzeit kein Geld gibt. Es gibt einen regelmäßigen Geldfluss zu den Vertragspartnern. Insgesamt ist es ein gewachsenes System, das seine Berechtigung hat.

Wir haben auch über Ärztinnen und Ärzte ohne Kassenvertrag gesprochen. Ein Wiener ÖGK-Versicherter kann seine Rückerstattung schneller bekommen, als ein Steirer, der in Wien behandelt wurde. Und er kann auch weniger bekommen. Ist das gerecht?

Harb : Grundsätzlich stehen wir für das Sachleistungsprinzip als ideale Form der Gesundheitsversorgung. Dass es Fehlentwicklungen in Richtung Wahlärzte gibt, ist aus meiner Sicht nicht gut.

Harrer : Seit 1. Jänner 2020 gibt es keine Bundesländerbetrachtungen mehr.

Aber es gibt unterschiedliche Limite und Degressionen und daher auch Berechnungsgrundlagen, oder?

Harrer : Diese Unterschiede sind aufrecht.

Harb : Das wird sukzessive abgebaut.

Was sagen Sie jungen oder auch nicht mehr so jungen Ärzten, die sich einen Kassenvertrag nicht antun wollen, weil er zu viele Einschränkungen bringt?

Harrer : Immer weniger fühlen sich berufen, selbständig zu sein. Daher gibt es keinen Wettbewerb um die offenen Stellen. Das ist unsere Herausforderung. Die Frage, ob man sich die Selbständigkeit antut, ist eine gesellschaftliche.

Die Selbständigkeit tun sich ja auch Wahlärztinnen und -ärzte an …

Harrer : Da muss man die Frage ausdehnen. Wenn es um eine ordentliche gesellschaftliche Gesundheitsversorgung geht, muss man die kassenärztliche Versorgung pflegen. Ich kenne auch Ärztinnen und Ärzte, die gerne einen Kassenvertrag haben, weil er eine Grundlage gewährleistet. Es gibt ja genug Ärztinnen und Ärzte, die die Partnerschaft mit der Krankenkasse schätzen. Es gibt die Problematik des Einstiegs. Man muss schon in der Ausbildung anfangen, offener zu denken, wir brauchen mehr Leute im System. Wenn es aber keinen Wettbewerb um Planstellen und Jobmöglichkeiten gibt, wird es immer schwieriger, die Leute zu bewegen.

Harb : Ich würde den jungen Ärztinnen und Ärzten sagen, dass es immer eine persönliche Entscheidung ist, man möge aber bedenken, dass sich die Verantwortlichen Alternativen überlegen müssen, wenn sich immer mehr gegen das öffentliche Gesundheitssystem entscheiden. Man müsste dann Institutionen schaffen, die von Bund, Land oder Sozialversicherungsträgern betrieben werden, und mit angestellten Ärztinnen und Ärzten arbeiten. Dann sollten auch andere Gesundheitsberufe stärker in Wirkung kommen, damit die hochqualifizierten Ärztinnen und Ärzte sich nicht um Dinge kümmern müssen, die eine diplomierte Fachkraft erledigen kann.

Es gibt ja offenbar auch eine beträchtliche Anzahl von Leistungsbeziehern, die für ihre Gesundheitsversorgung auch privat in die Tasche greifen. Damit entlasten sie ja auch das System …

Harrer : Ich halte das Vertragspartnersystem ohne Wettbewerb zwischen den Anbietern für gesellschaftlich sehr wichtig. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass man nach Alternativen sucht. Man soll vielmehr alles tun, um nicht dazu gezwungen zu werden, nach Alternativen zu greifen. Unser Ziel ist es, und da sind wir uns ziemlich einig, die Vertragspartnerstruktur zu erhalten, die, auch wenn sie schwierig zu betreiben ist, eines der besten Systeme ist, das man sich vorstellen kann.

Vinzenz Harrer ist Unternehmer und als Vertreter der WKO Steiermark Vorsitzender des steirischen Landesstellenausschusses der ÖGK.

Ing. Josef Harb ist Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrats bei Siemens AG Österreich Mobility Werk Graz und als Vertreter der AK Steiermark Vorsitzender-Stellvertreter des Landesstellenausschusses Steiermark der ÖGK.

Weitere Dienstgeber-Vertreter: DI Gerhard Geisswinkler, Michael Hohl, Jochen Pack, BA, Dr. Ingrid Totz.

Weitere Dienstnehmer-Vertreter: Ing. Helmut Krivec, Andreas Linke, Andreas Martiner, Michael Oberhofer

AERZTE Steiermark 02/2020

Fotos: Michaela Grabner/Salon de Luxe

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