„Ärzte braucht es auch in Zukunft …“
Der Schweizer Gesundheitsökonom Willy Oggier hat bei der „Styriamed.net“-Veranstaltung ein vielbeachtetes Referat gehalten. Im AERZTE Steiermark-Gespräch erläutert er seine Sicht auf Netzwerke.
Welche Arten von Ärzte- und Gesundheitsnetzwerken gibt es?
Oggier : Grundsätzlich gibt es eine fast unbeschränkte Vielfalt davon. So kann es Netzwerke von Ärzten gleicher, oder solche verschiedener Fachrichtungen geben. Oder Netzwerke, wo nur Ärzte engagiert sind, und solche, in denen sich auch nicht-ärztliche Gesundheitsberufe engagieren. Die Netzwerke können sich nach ihrer juristischen Form oder beispielsweise auch nach ihren Eignern unterscheiden. So können etwa Spitäler, Ärzte selbst, Krankenversicherer oder der Staat Träger von solchen Netzwerken sein.
Welchen Nutzen können und sollen sie haben?
Oggier : Ursprünglich entstanden Netzwerke international oft aus Kostengründen. Ziel war dabei, die Erbringung medizinischer Leistungen aktiv zu beeinflussen und zu steuern. In jüngerer Zeit wird vor allem in Westeuropa vermehrt auch das Argument verwendet, dadurch die Qualität verbessern zu können.
Was hemmt sie, was kann sie gar zum Scheitern bringen?
Oggier : Viele Netzwerke sind insbesondere in der Anfangsphase zu Hausärzte-fokussiert. Viele Menschen haben aber gar keinen Hausarzt mehr. Die Modelle können nicht einfach multipliziert werden, weil sie in ländlichen Gebieten anders gestaltet werden sollten als in städtischen. Mit falsch gesetzten Rahmenbedingungen können solche Modelle die Risikoselektion stark fördern. Die Modelle orientieren sich oft nicht an den volkswirtschaftlichen Kosten, sondern nur an Teilbereichen und riskieren damit Kostenverschiebungen in andere Bereiche, ohne Kosten zu sparen. Viele Modelle orientieren sich auch eher am Kappen des Zugangs zur Versorgung als an der Prävention. Und: Viele Modelle wollen steuern statt beraten und lenken. Je nach Kultur kommt dies schief an.
Was unterscheidet urbane von ländlichen Netzwerken?
Oggier : Urbane Netzwerke haben eher größere Einzugsgebiete und stehen oft zu anderen frei praktizierenden Netzwerken und Gruppenpraxen im Wettbewerb. Ländliche Netzwerke verfügen teilweise
über Monopolsituationen, weil es nur ein solches Netzwerk im Einzugsgebiet gibt. Festzustellen ist oft auch, dass die Netzwerke auf dem Land eher lose zusammenarbeiten, während sie sich in urbanen Gebieten oft auch unter einer gemeinsamen juristischen Form zusammenschließen und räumlich am gleichen Ort zusammenarbeiten.
Was sollten Gesetzgeber tun?
Oggier : Weil die Ausgangslagen nach Regionen, topografischen, demografischen und sozialen Verhältnissen unterschiedlich sind, sollte der Gesetzgeber die allgemein zu erfüllenden Rahmenbedingungen vorgeben und dann möglichst viel Wettbewerb zulassen. Wettbewerb ist aus gesundheitsökonomischer Sicht das Instrument der Wahl, wenn es darum geht, Innovationen in ein System zu tragen.
Welche finanziellen Anreize sind sinnvoll, welche nicht?
Oggier : Idealerweise sollte die Finanzierung über die gesamte Behandlungskette gleich ausgestaltet sein. Finanzielle Verzerrungen beispielsweise durch öffentliche Subventionen für den Spitalsbereich sollten vermieden werden. Wenn man mehr Wettbewerb zulässt, sollten die Rahmenbedingungen auch so ausgestaltet sein, dass in einem Sozialversicherungssystem der Wettbewerb nicht um die Selektion finanziell guter Risiken gestaltet wird, sondern um gute Versorgung. Damit ist vor allem die Einführung eines morbiditätsorientierten Risikoausgleichs unter Krankenversicherern angesprochen.
Sollen Patientinnen und Patienten eher über Anreize oder über Zwang gesteuert werden?
Oggier : Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist wichtig, dass Versicherte wählen können, einerseits bei der Wahl der Leistungserbringer. Andererseits – und hier hat Österreich besonderen Nachholbedarf im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz – sollte auch der Versicherer periodisch gewählt werden können und das Versicherungsprodukt, also ob ich freien Zugang zu allen ambulanten Leistungserbringern habe oder meine Wahl freiwillig einschränke. Die entsprechenden Produkte könnten dann auch zu unterschiedlichen Prämien führen.
Welche Veränderungen bewirkt die Digitalisierung?
Oggier : Das Behandlungsmonopol des Arztes dürfte dadurch vermehrt in Frage gestellt werden. Neue Netzwerke (und wo sie zugelassen werden auch neue Versicherungsmodelle) beginnen nicht mehr in der Arztpraxis, sondern schon digital. Digitale Elemente können in Netzwerken vor, während und im Nachgang zu einer Behandlung vermehrt eine Rolle spielen.
Welche Rolle spielt der Kostendruck, dem öffentliche Gesundheitssysteme sich ausgesetzt fühlen?
Oggier : Kostendruck kann Innovationen auslösen, wenn der entsprechende Freiraum besteht. Dies können Prozess- oder auch Produktinnovationen sein. Letztere sind auch durch branchenfremde Markteintreter denkbar, z. B. in anderen Ländern solche aus der Nahrungsmittelindustrie.
Was würden Sie einer jungen Ärztin, einem jungen Arzt heute raten?
Oggier : Sich nicht vom teilweise in der Politik vorherrschenden Ärzte-Bashing beeinflussen zu lassen. Ärzte braucht es auch in Zukunft, der Arztberuf wird sich aber verändern: Es braucht mehr medizinische und rehabilitative Kompetenzen für älter werdende Gesellschaften. Das Arbeiten in Netzwerken wird attraktiver. Die Einzelpraxis wird ein Auslaufmodell und der Digitalisierung sollte man sich proaktiv und kritisch stellen.
Das Gespräch führte Martin Novak.
AERZTE Steiermark 03/2020
Fotos: Schiffer