Impfen ist auch eine Frage der politischen Einstellung
Die Impfbereitschaft hängt mit der politischen Einstellung zusammen. Das sagen Umfragen in Österreich und in Frankreich. Gegen die vorhandene Influenza-Impfung gibt es laut österreichischer Umfrage mehr Vorbehalte als gegen die noch nicht vorhandene COVID-19-Impfung.
Martin Novak
Es ist gelungen. Die Angst vor COVID-19 ist deutlich größer als die vor der „gewöhnlichen“ Grippe, der Influenza. Laut einer Ende Mai durchgeführten Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts Market wollen sich fast doppelt so viel Österreicherinnen und Österreicher gegen COVID-19 impfen lassen wie gegen die Influenza. Spitzfindige könnten nun meinen, dass die Zustimmung zur COVID-19-Impfung nur deswegen so groß sei, weil es sie im Gegensatz zur Influenza-Impfung (noch) gar nicht gibt – man sie also vorerst ohne Konsequenzen wollen kann.
Man kann auch etwas anderes annehmen: Dass nämlich im Bemühen, der Bevölkerung die Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus klarzumachen, ein Kollateralschaden entstanden ist – die Verharmlosung der Influenza. Darauf deutet auch die Zahl der „sicheren Impfverweigerer“ hin. Sie liegt für die Influenza nahezu dreimal so hoch wie für COVID-19.
Politische und Impfeinstellung
Zwei Teilaspekte sind auffällig: Die Impfbereitschaft der Männer ist um ein beträchtliches Stück höher als die der Frauen. Und es gibt einen starken Zusammenhang zwischen den Präferenzen für bestimmte politische Parteien und der Einstellung zur Influenza- bzw. COVID-19-Impfung.
Die stärkste Zustimmung zu den Impfungen äußern ÖVP-Präferenten: 44 Prozent dieser Gruppe wollen sich „sicher“ oder „eher schon“ gegen die Influenza impfen lassen. Knapp auf den Fersen sind ihnen die Präferenten der Neos mit einer Zustimmung von 43 Prozent. Es folgen jene der SPÖ mit 41 Prozent und dann die der Grünen mit 37 Prozent. Nur auf 19 Prozent kommen die FPÖ-Präferenten. Damit liegen sie fast gleichauf mit den „politisch Indifferenten“ bzw. jenen, die eine parteipolitische Zuordnung verweigern: Hier wollen sich 21 Prozent „sicher“ oder „eher schon“ gegen die Influenza impfen lassen.
Bei denen, die eine Influenza-Impfung „sicher“ oder „eher nicht“ machen wollen, ist die Lage wenig überraschend umgekehrt. Hier dominieren die FPÖ-Präferenten mit 80 Prozent, die „Indifferenten“ sind mit „nur“ 59 Prozent an zweiter Stelle, dafür ist der Anteil der „Weiß nicht/keine Angabe“-Antworten mit 20 Prozent sehr hoch. Ein wenig überraschend ist der hohe Verweigerer-Anteil unter den Neos-Präferenten, nämlich 56 Prozent. In dieser Gruppe sind die Zustimmung und die Ablehnung ähnlich hoch. 52 Prozent der Grünen-Präferenten sprechen sich gegen die Influenza-Impfung aus. Dann folgen die der SPÖ mit 50 Prozent. Am wenigsten stark ist die Ablehnung bei ÖVP-Präferenten mit 47 Prozent.
Weit mehr Zustimmung zur COVID-19-Impfung
Generell höher ist die Zustimmung zu einer COVID-19-Impfung. Die Unterschiede zwischen den Gruppen liegen aber ähnlich wie bei der Influenza. 73 Prozent der ÖVP-Präferenten wollen sich „sicher“ oder „eher schon“ impfen lassen. Die der Neos lassen die ÖVP-Gruppe mit einer Zustimmung von 77 Prozent bei COVID-19 aber sogar hinter sich. Am dritten Platz folgen auch hier die SPÖ-Präferenten mit 72 Prozent, quasi auf Augenhöhe mit der ÖVP. Dahinter folgen die Präferenten der Grünen mit 65 Prozent und dann wieder die der FPÖ mit bescheidenen 40 Prozent. Exakt gleichauf sind die „Indifferenten“ bzw. Personen, die „keine-Angabe“ machen, nur die Werte für „sicher“ und „eher schon“ verteilen sich hier etwas anders.
Die Anteile der „Sicher-nicht“- oder „Eher-nicht“-COVID-19-ImpferInnen verteilen sich nach einem ähnlichen Muster: Bei den ÖVP-Präferenten sind es nur 14 Prozent, bei denen der SPÖ 20, bei denen der Neos 21 und bei denen der Grünen 24 Prozent. Nur die Präferenten der FPÖ sind mit 52 Prozent mehrheitlich gegen eine COVID-19-Impfung. Die „Indifferenten“ kommen hier auf 37 Prozent.
Was die Umfrage nicht verrät, sind die Motive. Bestimmt die Impfeinstellung die politische Präferenz oder ist es umgekehrt? Möglich ist auch, dass eine dritte Variable sowohl die Impfeinstellung als auch die Partei-Präferenz bestimmt. Welche Antwort stimmt, wissen wir nicht.
Was wir aber wissen ist, dass es auch in Frankreich erhebliche mit der politischen Einstellung zusammenhängende Unterschiede bei der Einstellung zum Impfen gibt. Das französische Meinungsforschungsinstitut COCONEL hat für einen in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichten Artikel die Anteile der COVID-19-Impfverweigerer in Frankreich erhoben. Dafür wurden 1.000 Französinnen und Franzosen befragt.
Der Verweigerungs-Durchschnittswert liegt demnach bei 26 Prozent. Unter den Wählerinnen und Wählern der gemäßigten Fraktion (Macron, Fillon, Hamon) sind nur 19 Prozent, die verweigern wollen. Bei den Linksaußen-Wählenden dagegen 32 Prozent. Die Rechtsaußen-Gruppe kommt auf 30 Prozent. Noch höher ist der Anteil unter den an Politik offenbar nicht Interessierten, nämlich 35 Prozent. Diejenigen, die zwar wählen, aber bewusst ungültig oder weiß, lehnen die COVID-19-Impfung dagegen nur zu 23 Prozent ab.
„Irrationale Reaktion“
Die Autorinnen und Autoren der Coconel-Gruppe bezeichnen die Ergebnisse als „nicht völlig überraschend“. Forscherinnen und Forscher hätten oft einen Zusammenhang zwischen politischer Überzeugung und der Einstellung zum Impfen gefunden. Sie befürchten, dass eine Verweigerung oder Vermeidung des Impfdialogs durch die verantwortlichen Stellen „irrationale Reaktionen“ hervorruft.
Grafiken: ÖVIH, Conclusio
Wie viel Prozent müssen geimpft sein?
Die Zahl 95 (Prozent) hat sich in die Gehirne eingebrannt. 95 Prozent müssen gegen Masern geimpft sein, um einen verlässlichen Gemeinschaftsschutz einer Population zu erreichen – so die allgemeine Einschätzung.
Diese Meinung ist natürlich nicht falsch. Geht man von der in der Literatur berichteten maximalen Infektiosität aus (sie ist ein wichtiger, aber bei weitem nicht der einzige Faktor), brauchen die Masern diese hohe Durchimpfungsrate. Ähnlich hoch wie bei den Masern ist die Infektiosität nur mehr bei Pertussis. Für andere Krankheiten, gegen die es ebenfalls verlässliche Impfungen gibt, wie Diphtherie, Mumps, Röteln oder Polio, reichen geringere Durchimpfungsraten von rund 85 Prozent, um den wichtigen Gemeinschaftsschutz zu erreichen. Der Grund: Die durch COVID-19 allgemein bekannt gewordene Basisreproduktionszahl R0 (sie gibt an, wie viele weitere Personen eine infizierte Person durchschnittlich ansteckt, falls die sie umgebende Population oder Subpopulation weder durch Impfung noch durch frühere Infektion geschützt ist), liegt bei diesen Krankheiten deutlich unter der von Masern und Diphtherie.
Noch deutlich darunter liegt die Infektiosität der Influenza. Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation für die Influenza auch „nur“ eine erforderliche Durchimpfungsrate von 75 Prozent. Basierend auf der noch sehr frischen Studie dürfte für COVID-19 eine ähnlich hohe Durchimpfungsrate reichen.
Das Problem ist nur: Während die Durchimpfungsraten für die im Gratisimpfprogramm enthaltenen Krankheiten den notwendigen Wert vielfach erreichen oder nur knapp darunter liegen (zumindest bei den steirischen Kindern im Vorschulalter), ist die Durchimpfungsrate für die Influenza in Österreich mehr als bescheiden – im letzten Jahr lag sie nach Studien-Schätzungen bei unter 10 Prozent. Und schaut man sich die aktuelle Influenza-Impfeinstellung an, wäre bereits eine Impfbeteiligung von 20 bis 30 Prozent ein Riesenerfolg, der sich nur mit einer großen und überlegten Kraftanstrengung erreichen lässt.
Für COVID-19 ist das Potenzial zwar höher. Das bleibt jedoch Theorie, solange es keine Impfung gibt. Für die Impfbereitschaft der Bevölkerung ist die Infektiosität natürlich nur von begrenzter Relevanz. Da ist es wichtig, welchen Schrecken eine Krankheit verursacht, hier spielt das Bewusstsein über die Letalität die entscheidende Rolle. Beispiel: Ebola – die Infektiosität ähnelt zwar der Influenza, die Letalität ist aber extrem hoch.
AERZTE Steiermark 07-08/2020