„Pferde sind meine Stressfänger“
Karoline Wenzel arbeitet als Oberärztin auf der Neurogeriatrie; daneben züchtet und trainiert sie Pferde auf dem eigenen Hof. Und sie tanzt Salsa. Dass sie bei diesem Aktivitätspensum Ruhe bewahrt, verdankt sie (auch) der entspannenden Wirkung ihrer Isländer.
Ursula Scholz
„Leute, die Tiere haben, können besser mit Menschen umgehen“, lautet Karoline Wenzels Überzeugung. Auch sie hat, wie sie betont, viel von ihren Pferden gelernt: Mitarbeiterführung, Autorität und Sicherheit auszustrahlen und sich durchzusetzen. Die Liebe zu den Pferden wurde ihr und ihrer Schwester von der Mutter in die Wiege gelegt. Bereits als Kleinkind saß sie am Pferd, das erste eigene Familienpferd gab es mit neun Jahren.
Dass die beiden Schwestern heute ausgerechnet einen Hof mit Isländern führen, war jedoch eher Zufall. „Meine Schwester hatte als Kind Lungenprobleme und deshalb sind wir nach Semriach als Luftkurort gefahren. Dort gab es einen Isländer-Hof und wir waren sofort fasziniert vom Charakter dieser Pferde.“ Von den besonderen Gängen – Tölt und Rennpass – haben die beiden Mädchen damals noch gar nichts mitbekommen. Karoline Wenzel ritt jedoch schon als Kind Turniere, pendelte teilweise mit dem Postbus nach Semriach, investierte das Gros ihrer Freizeit in den Reitsport und unterrichtete auch selbst.
Noch viel tiefer in die Welt „ihrer“ Pferde tauchte sie ein, als sie nach der Matura für ein Jahr nach Island ging, um in einem dortigen Vorzeigestall zu arbeiten, den auch Queen Elizabeth, Victoria von Schweden und die Königin von Spanien besucht haben.
„Kein Heißer-Sommer-Mensch“
Sie lernte Isländisch – und ist nun die einzige steirische Ärztin, die fließend Isländisch spricht. Jedes Jahr reist sie einmal in den hohen Norden, um ihre Freunde zu besuchen. Was sie noch dorthin zieht? „Es gibt dort so wahnsinnig viel eindrucksvolle Natur.“ Auch die Isländer-Pferde verhalten sich in ihrer Heimat anders, nämlich „temperamentvoller und wacher“ durch das kühlere Klima. „Ich bin auch kein Heißer-Sommer-Mensch“, fügt Wenzel hinzu. Dafür zählt sie zu den Menschen, die gerne am Land leben, so wie ihre Schwester Monika, die im „bürgerlichen“ Beruf als Krankenschwester arbeitet.
Noch während der Studienzeit kauften die beiden zusammen mit ihrer Mutter den mittlerweile recht bekannten Hof in Fluttendorf bei Mooskirchen. Derzeit stehen dort rund 35 Pferde, 25 eigene und 10 Einsteller. „Es waren aber auch schon deutlich mehr“, betont sie. Auf dem Islandpferdehof Mooskirchen wird viel Wert auf eine tierfreundliche Zucht und nachhaltige Ausbildung gelegt. Klar gibt es Turnierpferde – und Wenzel selbst ritt Ende August nach einer längeren Turnierpause beim Österreichischen Gæđingakeppni-Championat im oberösterreichischen Stadl-Paura mit –, aber weit mehr als kurzfristige Leistung zählen die Charakterbildung des Pferdes sowie die leichte Reitbarkeit bei gleichzeitigem Erhalt der Pferdegesundheit. Zwei bis drei Fohlen werden jährlich am Hof geboren.
Fohlen in der Früh
Während in der Einschätzung von Gesundheitsproblemen und in der kleineren Wundversorgung das medizinisch ausgebildete Schwesternteam zumeist selbst Hand (und Hirn) einsetzt, muss Karoline Wenzel für die Fohlengeburten ihre Arzttasche gar nicht auspacken. „Steht eine Geburt bevor, wird die Stute in einen Extra-Stall verlegt. Die Geburt selbst schaffen die Isländer meist ganz allein. Fast immer ist es so, dass einfach in der Früh das Fohlen dasteht und kein Mensch die Geburt beobachtet hat“, erzählt sie. Daher hat sie mit ihrer Schwester sogar schon einmal überlegt, im Fohlenstall eine Kamera anzubringen, um auf diese Art bei der Geburt „dabei“ sein zu können.
So sehr Karoline Wenzel in der medizinischen Versorgung der Pferde auf alternative Heilmethoden wie Homöopathie, Heilkräuter nach der TCM oder die Solebox für die Behandlung von Sommerekzemen und Lungenproblemen setzt, so klassisch schulmedizinisch ist sie als Neurologin orientiert. Neben ihrer Arbeit auf der Neurogeriatrie des LKH-Universitätsklinikums mit dem Fachschwerpunkt Bewegungsstörungen ordiniert Wenzel als Gründungsmitglied zusammen mit 17 weiteren FachärztInnen im Ärztezentrum Prophy Docs im Grazer Univiertel. „Wir teilen uns nicht nur die Infrastruktur, sondern bilden auch auf menschlicher Ebene ein gutes Netzwerk.“
Pferd statt Antidepressivum
Wenzels medizinische Kenntnisse helfen ihr beim Erhalt der Pferdegesundheit – und umgekehrt unterstützen sie die Pferde dabei, den vielfältigen Anforderungen im Alltag gerecht zu werden. Denn auch wenn am Hof Angestellte die meiste Stallarbeit erledigen, bleiben für Karoline Wenzel noch das eigene Training, der Unterricht der Turnierreiter und -reiterinnen sowie die Jungpferdeausbildung. Tritt sie selbst zu einem Turnier an – wie eben kürzlich –, trainiert sie vier- bis fünfmal wöchentlich. Daneben tanzt sie seit vier Jahren ziemlich intensiv Salsa (wenn nicht gerade aufgrund der COVID-19-Pandemie sämtliche Tanzkurse abgesagt werden müssen). Und für all das findet sie neben ihrem Fulltime-Job Zeit.
Zum Ausgleich reitet sie zwar gerne aus, aber oft reicht ihr schon die Anwesenheit der Tiere, um sich zu beruhigen. „Pferde sind richtige Stressfänger“, betont sie. „Wenn ich im Winter in den Stall gehe und den Pferden einfach nur beim Heufressen zuschaue, bin ich gleich entspannt. Der Kontakt zu Pferden kann ebenso gut wirken wie ein Antidepressivum.“
Die Mooskirchner Isländer durften auch schon einen Führungskräfte-Workshop „leiten“. „Eine Psychologin hat auf unserem Hof Manager geschult, leider durften wir nicht zuschauen. Aber wir haben ihnen unsere frechsten Schulpferde zur Verfügung gestellt und sie waren ganz zufrieden.“
„Mache, was Spaß macht“
Auch integratives Reiten mit behinderten Menschen wird am Hof angeboten – dafür ist allerdings die Schwester zuständig, die auch Isländer-Hunde züchtet. Zwar hat auch Karoline einen eigenen Isländer-Rüden, hat mit ihm aber keine speziellen Ambitionen. Es reicht, wenn er ihr Gesellschaft leistet. „Er ist ein kleiner Faulpelz, liegt gerne am Sofa und kuschelt.“
Nach ihren großen Zielen für die Zukunft gefragt, antwortet Karoline Wenzel ganz spontan: „Ich mache ja schon alles, was mir Spaß macht.“ Kleinere Ziele hat sie, die sich selbst als verlässlich charakterisiert und in jeder Situation das Positive erkennen kann, schon noch. Gerade im Bereich der Pferde: „Ich möchte das Turnierreiten wieder beleben und neue, andere Ausbildungswege gehen.“ Was ihr dabei vorschwebt, ist eine Verbindung zwischen der „wunderbaren isländischen Reitweise“ und der klassischen Dressurausbildung herzustellen; die Reitkunst der Ecole de Légèreté und Working Equitation (eine Arbeitsreitweise südamerikanischer Herkunft) auszuprobieren, aber auch der Einsatz der kalifornischen Hackamore, einer gebisslosen Zäumung.
So sehr sie sich Island verbunden fühlt – dort leben würde sie zwar schon gerne, aber dann auch wieder nicht. „Obwohl mein Isländisch vermutlich sogar ausreichen würde, in Island als Ärztin zu arbeiten, hält mich in Österreich so viel: der Hof, die Menschen …“
Eine gewisse Dosis Island gönnt sie sich allerdings regelmäßig und fährt nahezu jedes Jahr einmal in ihr Traumland. Außerdem kommt ihr bester isländischer Freund, der zweifache Rennpass-Weltmeister Sígurđur Marinusson, alljährlich nach Mooskirchen zum Unterrichten.
AERZTE Steiermark 09/2020
Fotos: Niess, beigestellt