Miteinander – und mit dem Beruf – verheiratet
Renate und Willi Kelz blicken nach 35 Jahren gemeinsamer Hausarzt-Ordination zurück auf ihr Berufsleben und resümieren: „Wir würden heute wieder Landärzte werden.“
Ursula Scholz
„Nähe“ ist wohl das Wort, mit dem sich das bisherige Leben von Renate und Willibald Kelz am prägnantesten zusammenfassen lässt. Nicht nur, dass die beiden Allgemeinmediziner schon seit Studienzeiten ein Paar sind, sie haben auch dreieinhalb Jahrzehnte lang gemeinsam in St. Margarethen an der Raab eine Landarztpraxis betrieben. Zudem spielte sich ihr Leben weitgehend unter einem Dach ab: unten die Ordination, oben der private Bereich, in dem auch ihre drei Kinder groß geworden sind. Nähe haben sie aber auch immer zu den DorfbewohnerInnen gesucht – und gefunden. Bei der Feuerwehr, in der Theatergruppe, im Elternverein und in der mitbegründeten Laufgruppe „Woazhoppers“. „Wir hatten schon im Studium gemeinsam beschlossen, uns in einem Dorf niederzulassen, wo wir wohnen und wirken wollten – und uns dort verwurzeln“, erzählt Renate Kelz. „Ich war im Dezember mit dem Turnus fertig und am 15. Jänner habe ich schon ordiniert“, ergänzt ihr Mann. Renate Kelz hatte noch ein Jahr vom Turnus zu absolvieren, dann stieg die junge Mutter in die Ordination ein. Sie hatte die „kleinen Kassen“, er verfügte zudem über einen Vertrag mit der GKK.
Jedem das Seine
Gearbeitet wurde immer Hand in Hand – mit durchaus unterschiedlichen Vorlieben. „Von mir hieß es im Dorf: ,Er tuat gern schneid´n´“, erzählt Willi Kelz. Kleine Hauttumore, eingewachsene Zehennägel … was eben so angefallen ist. „Diejenigen, die mit Seelenschmerz gekommen sind, habe ich gerne zu meiner Frau weitergeschickt.“ Deren Spezialgebiet erstreckte sich von der Gesprächsmedizin über die Kinderheilkunde bis hin zur Gynäkologie. So manche Landbewohnerin hat sich nur unter der Bedingung zu einer Unterleibsuntersuchung bereiterklärt, dass die eigene Hausärztin sie vornehmen würde. Auch Renate Kelz´ schönstes Berufserlebnis fällt in diese Sparte der Medizin: die Ordinationsgeburt. „Eine werdende Mutter kam schon mit Presswehen in die Ordination, also war ich ihre Hebamme.“ Die Geburt verlief erfreulicherweise komplikationslos, im vollen Wartezimmer nebenan wurde mitgefiebert. „Es hat nicht viel gefehlt, und die anderen Patienten hätten applaudiert, als man den ersten Schrei des Babys gehört hat“, erinnert sich Willi Kelz an das Ereignis vor 14 Jahren. Er selbst findet beim Nachdenken nicht so schnell ein spezielles Highlight in seiner Karriere, zu viele Erinnerungen gehen ihm da durch den Kopf. Ein gutes Gefühl war es jedenfalls, einer Patientin mit einer klaffenden Kopfwunde helfen zu können. „Ich hab zuerst durch die Haare grob genäht, dann die Wunde ausrasiert und fein nachgenäht.“ Auch auf eine erfolgreiche Reanimation in der Ordination blicken die beiden zurück. Eine Patientin hatte vor Ort einen Herzstillstand erlitten. Das beherzte Eingreifen der beiden Ärzte hat ihr noch zehn weitere Lebensjahre geschenkt.
Geteilte Arbeit, doppelte Freizeit
Wofür die beiden dankbar sind, ist die Tatsache, dass sie sich die Arbeit teilen konnten. „Geteilte Arbeit heißt doppelte Freizeit. Und ich konnte vormittags immer beruhigt zu einem Notfall ausfahren, weil ich wusste, dass meine Frau die Ordination auch allein schupft“, resümiert Willi Kelz. Seine Frau wusste an ihrer Form des Jobsharings zu schätzen, dass sie die Nachmittage mit den Kindern verbringen konnte. Am Vormittag hielt eine Angestellte den Haushalt in Schuss. „Wir haben immer leicht Mitarbeiterinnen gefunden“, berichtet Renate Kelz. „Unsere Haushälterin konnte sich aber auch darauf verlassen, dass ich sofort zu ihr kommen werde, selbst wenn sie um Mitternacht anruft, weil ihr Kind einen Pseudokrupp-Anfall hat.“
Im Rückblick haben sich die beiden Doktoren Kelz ausgerechnet, dass sie in manchen Familien sogar fünf Generationen ärztlich begleitet haben. Das Kind, dessen Herztöne sie in utero gehört haben, ist dann mit den eigenen Kindern in die Praxis gekommen.
Fliegender Wechsel
Der Generationenwechsel in der Kelz´schen Ordination ist letztlich auch gut geglückt. Zweimal wurde die Nachfolgepraxis ausgeschrieben, dann kam eine ortsansässige junge Ärztin zum Zug. Die Vorgänger haben ihr versprochen, noch als Vertretung zur Verfügung zu stehen. Mit April 2020 wurde die Praxis übergeben; im Juli stand das Ehepaar Kelz schon als Krankenstandsvertretung wieder in der ehemals eigenen Ordination im Einsatz. „Es war ein lustiges Gefühl“, berichtet Willi Kelz von seiner kurzfristigen Rückkehr. Aber prinzipiell ist er froh, nun in Pension zu sein: „Ich habe mich drei Jahre lang auf dieses Datum eingestellt und man muss auch Abschiednehmen lernen.“ Seiner Frau fehlt die Arbeit ebenfalls nicht sehr. „Die Enkel brauchen ohnehin immer etwas.“ Ende Juli kamen als Nummer vier und fünf noch Zwillinge zur Enkelschar hinzu; der Bedarf an großmütterlichem Engagement ist also durchaus vorhanden.
Die konkrete Übergabe der Ordination verlief allerdings eher turbulent als geplant. Aufgrund eines COVID-19-Falles wurde die Praxis eine Woche vor dem Pensionsantritt in Quarantäne geschickt und die Patientinnen und Patienten durften nur mehr telefonisch kontaktiert werden. „Wir konnten uns nicht richtig verabschieden und die emotionale Ernte ist uns dadurch abgegangen“, bemerkt Kelz, der im Dorf stets „Willi-Doktor“ genannt wird, mit Bedauern. „Aber es haben uns viele Patienten geschrieben und im Lockdown Geschenke vor die Tür gelegt. Und wir treffen sie ohnehin im täglichen Leben wieder, beim Einkaufen, beim Walken oder beim Spazieren mit den Enkelkindern“, erzählt Renate Kelz.
Zug für Landarzt abgefahren
Einig sind sich die beiden Ärzte darin, dass sie ihre ärztliche Karriere, könnten sie sich nochmals entscheiden, heute wieder genau so planen würden. „Aber zu den damaligen Bedingungen“, schränkt Willi Kelz ein.
„Heute ist so ein Landarzt-Dasein viel schwieriger, weil das medizinische Wissen inzwischen explodiert ist. Da ist es verständlich, wenn die Jungen sich lieber auf ein Spezialgebiet beschränken.“ Das Bunte und die Vielfalt waren es aber gerade, die Renate Kelz an der Allgemeinmedizin gereizt haben. „Und wir haben einander bei Notfällen gestützt“, ergänzt sie. Einzelkämpfer wie die meisten Hausärztinnen und -ärzte mussten die beiden nie sein. Ihre gemeinsame Fortbildungszeit haben sie fast wie eine Art Urlaub betrachtet, wenn sie einen Abend in Graz waren oder ein paar Tage ohne Kinder auf einem Seminar. Beide waren Teil derselben Balint-Gruppe, nur in der Freizeit pflegte jeder auch eigene Interessen.
„Ich glaube, der Zug für den alten Landarzt ist abgefahren“, bekennt Willi Kelz. „Die PVZ werden kommen. Da ist die medizinische Versorgung sicher auch gut, allerdings fällt die soziale Komponente weg“, sinniert er. „Wir kennen halt das gesamte soziale Umfeld, treffen die Leute auch beim Kirchgang und beim Sporteln und sind, wenn es Probleme in der Schule gibt, auch mit den dortigen Menschen vertraut“, so Renate Kelz.
Eine Chance sieht ihr Mann in der Lehrpraxis. Wenn man die forcierte, würden mehr Junge Landärzte werden wollen. Und wenn er persönlich etwas am System ändern könnte? „Dann würde ich sagen: jedem Arzt seine Hausapotheke!“
AERZTE Steiermark 09/2020
Fotos: beigestellt