Frauenklinik: Dunkle NS-Geschichte im Fokus der Aufarbeitung

Im Rahmen der Tagung „Die Universitätsfrauenklinik Graz 1938 bis 1945“ präsentierte die Medizinhistorikerin Gabriele Czarnowski ihre Rechercheergebnisse zur Rolle der Grazer Frauenklinik in der NS-Zeit – mit erschreckenden Ergebnissen.

Zwei Frauen, schwanger im 8. Monat, kommen in die Ambulanz der Grazer Frauenklinik. Die eine wird vorsorglich untersucht und bekommt die nötigen Unterlagen für ihren Mutterschutz, an der anderen wird eine Spätabtreibung vorgenommen, weil ihre Nachkommenschaft rassisch unerwünscht ist. Dieses und andere Fallbeispiele, anhand derer die medizinisch-wissenschaftliche Praxis an der Grazer Universitätsfrauenklinik während der NS-Zeit nachvollziehbar wird, referierte Gabriele Czarnowski Ende September im Rahmen einer Veranstaltung am Grazer MED CAMPUS.

 

Schon auf Linie

Was die Medizinhistorikerin, die ihre Forschungsarbeit im Rahmen eines FWF-Projektes durchführte, zu Tage förderte, zeigt einerseits, dass nach dem Anschluss kaum politisches Umfärben notwendig war. Zwar wurde der bisherige Leiter der Frauenklinik, Hans Zacherl, durch den Frankfurter Gynäkologen Karl Ehrhardt ersetzt; der übrige Teil der Ärzteschaft war jedoch politisch bereits auf Linie. Ehrhardt war eine zweifelhafte Bereicherung der Klinik: Seine Expertise hatte er sich im Bereich der Endokrinologie und Radiologie erworben und mit dem chirurgischen Geschick der übrigen, im Geist der Zweiten Wiener Medizinischen Schule ausgebildeten Mannschaft konnte er nicht mithalten. Deshalb entwickelten sich erhebliche Konflikte, die zur Untersuchung von Missgriffen und Kunstfehlern durch zwei Kommissionen führten, die Ehrhardt jedoch entlasteten. Umso emsiger übte er chirurgische Praktiken wie den Schuchardtschnitt an stationär aufgenommenen Zwangsarbeiterinnen, die eigentlich „nur“ wegen einer (Zwangs-)Abtreibung an die Klinik gekommen waren.

Czarnowski konnte durch ihre Recherche zeigen, wie sehr die Grazer Gynäkologie in die Bevölkerungs- und Rassenpolitik involviert war – 114 eugenisch motivierte Zwangssterilisationen und mindestens 9 Zwangsabtreibungen konnte sie trotz unvollständiger Übermittlung historischer Belege nachweisen. Denn die Krankengeschichten sind nicht mehr erhalten; anhand der Ambulanzbücher und weiterer Quellen konnte sie die Vorgänge jedoch rekonstruieren.

 

Zur Forschung missbraucht

Dabei zeigte sich, wie unterschiedlich die Frauen je nach ihrer Herkunft behandelt wurden: „Deutsche“ Schwangere, aber auch Fremdarbeiterinnen aus Frankreich und Italien wurden medizinisch versorgt, bei jenen aus der Ukraine, Polen, Serbien oder Russland (den „Ostarbeiterinnen“) wurde in nahezu jedem Stadium der Schwangerschaft eine Abtreibung vorgenommen.

Auch in der „Kinderwunsch“-Sprechstunde, die ab 1943 regelmäßig abgehalten wurde, differenzierten die Ärzte nach rassischer Wertigkeit des zu erwartenden Nachwuchses. „Einer slowenischen Bäuerin, die eine Hysterosalpingographie durchführen lassen wollte, wurde erklärt, derartige Untersuchungen würden bis Kriegsende gar nicht mehr durchgeführt“, erzählt Czarnowski. „Deutsche Frauen hingegen bekamen dafür einen Termin in den nächsten Tagen.“

Jene Zwangsarbeiterinnen, die auf eine Abruptio warteten, und ihre Föten wurden ab Mitte 1943 tagelang vor dem Eingriff zur medizinischen Forschung missbraucht, wobei die Ärzte noch um das „Material“ ritterten. Die Frauen wurden medizinischen Experimenten unterzogen, die für den Abbruch nicht nötig waren und nur der Forschung dienten. Um röntgenologisch zu beweisen, dass die Föten trinken und atmen, injizierte der Klinikvorstand radioaktive Kontrastmittel in die Fruchtblase und röntgte Mutter und Kind an bis zu vier Tagen hintereinander. Zur Abtreibung löste er die Föten möglichst noch lebend in der Eihülle aus dem Uterus und beobachtete ihr qualvolles Sterben. Klinikleiter Ehrhardt machte sich mit seinen Publikationen über diese „Fetographie“ in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft einen Namen. Weit über die NS-Zeit hinaus.

 

Zweierlei Maß

Über Widerstand in den ärztlichen Reihen – auch gegenüber pharmakologischen Experimenten zur Spätabtreibung – ist in den historischen Dokumenten nichts zu lesen. Obwohl die Beteiligung an diesen Körperverletzungen und Morden „im Dienste der Wissenschaft“ nicht selbstverständlich war. „An der Innsbrucker Frauenklinik haben keine Zwangsabtreibungen an Fremdarbeiterinnen stattgefunden“, berichtet Czarnowski. „In Graz sind an die 500 Abtreibungen an ,Ostarbeiterinnen´ dokumentiert, wobei nicht ersichtlich ist, wie oft der Schwangerschaftsabbruch erzwungen war.“ Parallel dazu wurden Todesurteile über Hebammen und Laienabtreiber und -abtreiberinnen verhängt, die deutschen Frauen illegal zu einer Abtreibung verholfen haben. In Graz traf es eine.

Welcher Embryo überleben durfte und welcher nicht, lag bei eugenischen Eingriffen in der Entscheidungsmacht der Erbgesundheitsgerichte; bei „rassisch indizierten“ Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen entschied die Ärztekammer. „Vieles wurde in ein bürokratisches Mäntelchen gehüllt“, so Czarnowski. „Durch das arbeitsteilige Verfahren war der Arzt nur der Ausführende einer zuvor getroffenen Entscheidung. Da können berufsethische Grundsätze schnell verloren gehen.“

 

Keine Entschädigung

Verurteilt wurde Klinikchef Ehrhardt nicht. Nach dem Kriegsende hat er sich gleich nach Deutschland abgesetzt – und hierzulande fand der zuständige Ermittlungsrichter keinen Gynäkologen, der als Gutachter im Verfahren gegen Ehrhardt zur Verfügung gestanden wäre. Die betroffenen Frauen wurden nicht entschädigt. Czarnowskis Anfrage beim Versöhnungsfonds (dem Fonds zur Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern auf dem Gebiet des heutigen Österreich während der NS-Zeit) hat ergeben, dass keine der namentlich bekannten Frauen einen Antrag an den Fonds gestellt hat.

So dunkel der Fleck in der Geschichte der Grazer Frauenklinik ist, so stark ist der Wille der heutigen Führung der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, die damaligen Vorgänge zu erhellen. Sowohl der im Vorjahr frühzeitig verstorbene Klinikleiter Uwe Lang als auch sein Nachfolger Karl Tamussino haben das Projekt unterstützt. Letzterer hat auch die Tagung initiiert, auf der es in acht verschiedenen Beiträgen um Aufarbeiten und Erinnern ging.

 

Gabriele Czarnowski promovierte in Medizingeschichte/Politikwissenschaft in Berlin und forscht seit Jahrzehnten im Bereich der Medizin während der NS-Zeit. Sie arbeitet als Gastforscherin am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz. Zur Rolle der Grazer Frauenklinik in den Jahren 1938-45 plant sie eine Publikation in Buchform.

 

AERZTE Steiermark 10/2020

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