Lamatussis, Liebeskummer und Labormedizin
Petra Mächler-Neuner hat von der Pathologie über die kardiologische Rehabilitation bis zum Ayurveda schon vielfältige medizinische Erfahrungen gesammelt. Das Zusammenleben mit ihren Lamas, Schafen und Ziegen gestaltet sich ebenso abwechslungsreich.
Mit vier fand man sie in der Box beim Gemeindestier. Völlig unbefangen im nonverbalen Austausch mit dem Riesenvieh. Petra Mächler-Neuners Umgang mit Tieren verlief seit jeher kameradschaftlich entspannt. Heute lebt sie mit jenen Tieren zusammen, die diese Ruhe in Reinkultur verkörpern und auch auf den Menschen übertragen: Lamas. „Als mein Sohn zwölf war, haben wir im Urlaub in der Schweiz eine Lama-Trekkingtour gemacht und waren davon so begeistert, dass wir beschlossen haben, selbst Lamas zu halten.“ Ein paar Jahre hat die Umsetzung des Traumes gedauert, aber im Jahr 2006 zogen die ersten Lamas, eine trächtige Stute und ein Wallach, in den gepachteten Bauernhof bei St. Radegund ein. Nachdem die Lamaherde zwischenzeitlich deutlich größer gewesen ist, betreut Mächler-Neuner nun drei Lamas, die auf einer Weide mit eigenem Holzhaus leben. Denn auch wenn sie sonst sehr ausgeglichen sind und sich den Fallwinden vom Schöckl ganz unempfindlich entgegenstellen: Regen mögen ihre Lamas keinen. Da suchen sie sich ein geschütztes Plätzchen und warten auf bessere Zeiten.
Schwesterliche Sterbebegleitung
Schwierige Zeiten hat Mächler-Neuner heuer im Frühjahr mit den Lamas durchgemacht – ganz unabhängig von COVID-19. Denn ihre Tierliebe hat auf Umwegen dazu geführt, dass zwei verendet sind und ein weiteres nur durch einen Klinikaufenthalt gerettet werden konnte. „Ich habe zwei Juraschaf-Lämmer davor bewahrt, zu Ostern geschlachtet zu werden und sie auf meiner Weide untergebracht, wo neben den Lamas schon zwei Ziegen leben. Was ich nicht wusste: Die Schafe hatten eine Infektion, die bei ihnen völlig unproblematisch verlief, die aber für Lamas tödlich sein kann.“
Zwei Tiere starben urplötzlich; das dritte hat sie rechtzeitig entdeckt, um es in die Klinik zu bringen. Lunita heißt die Überlebenskünstlerin, die es doch noch geschafft hat. Beim Sterben offenbarte sich die Persönlichkeit der Herdenschwestern: „Die Älteste ist eine ganz soziale, die alle anderen beim Sterben begleitet hat, bei ihnen war und für sie gesummt hat, wie es Lamas tun. Die dritte, eine echte Lama-Tussi, hat sich so verhalten, als ginge sie das alles nichts an.“
Psychosomatik für Lamas
Das erste Tier, das von den Parasiten dahingerafft wurde, war das Omega-Tier der Herde, das sogar von der Ziege gemobbt wurde. Mächler-Neuner, die ganzheitlich medizinisch arbeitet und über Ausbildungen im Bereich der ayurvedischen Lebens- und Heilkunst verfügt, sieht darin ein weiteres Anzeichen dafür, wie sehr die Psyche die körperliche Widerstandsfähigkeit bedingt. Dieses Wissen bringt sie sowohl in ihre Angestelltentätigkeit in der kardiologischen Rehabilitation der PVA in St. Radegund als auch in die Arbeit in ihrer Kumberger Ordination ein, wo sie vor allem Ayurveda und Ohrakupunktur anbietet.
Dass Lamas und Ziegen prinzipiell nicht gemeinsam gehalten werden sollen, lässt sich aus der Mobbing-Erfahrung in ihrer Herde allerdings nicht schließen. „Mein Ziegenbock ist so in eine Lamastute verliebt, dass er es nicht ausgehalten hat, als ich die Herde aus Gründen der Quarantäne auseinandersperren musste. Er wäre glatt an Liebeskummer gestorben.“ Zu seiner Rettung durfte er wieder zu den Lamas und somit in die Nähe seiner Angebeteten.
Meister der Entschleunigung
Wenn auch naturgemäß nicht zwischen dem (ohnehin kastrierten) Ziegenbock und der Lamastute – Nachwuchs gab es in der Mächler-Neunerschen Lamaherde insgesamt bereits sieben Mal. Nun sind drei Mädels übrig geblieben und keine weiteren Zuläufe geplant. „Man trägt doch sehr lange Verantwortung für die Tiere, die 20 bis 25 Jahre alt werden können.“ Aber die Zucht war ohnehin nie das Ziel ihrer Lama-Haltung.
Vielmehr möchte sie ihren Tieren ein schönes Leben ermöglichen. „Der Umgang mit Nutztieren ist in Österreich – und der ganzen Welt – so grausam und herzlos, dass ein Mensch, der etwas Empathie empfindet und der sich der Wahrheit stellt, diese Zustände fast nicht ertragen kann. Meine Tiere sind für mich ein kleiner Beitrag an Wiedergutmachung für dieses Leid an wehrlosen und fühlenden Wesen.“
Zudem geht es Mächler-Neuner um den seelischen Gleichklang mit den Lamas, die sie als ihre perfekte Burnout-Prävention bezeichnet. „Wer mit einem Lama spazieren geht, taucht in seine Langsamkeit ein. Hektisches Drängen hilft da gar nichts, das Lama geht unbeirrt sein Tempo. Deshalb wirkt es so entschleunigend.“ Oft geht sie mit den Lamas die Quellenwege in ihrer Umgebung, gerne auch mit Freunden.
Mit Hubschrauber vom Schöckl
Vor Jahren hat ihre Familie auch einmal einen Ausflug mit den Lamas auf den Schöckl gemacht. Ein gewagtes Unternehmen, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. „Eines der Tiere ist mit dem Fuß in einer Felsspalte stecken geblieben und hat sich eine Fraktur zugezogen. Das Lama musste schließlich mit dem Hubschrauber geborgen werden.“
Abgesehen von diesem Erlebnis, verläuft das Leben mit den Lamas für Mächler-Neuner eher gemächlich. Darauf versucht sie auch stets zu achten, dass sich eine Balance zwischen Beruf und Privatleben herstellen lässt. Als Jugendliche war sie Meisterin im Leichtathletik-Fünfkampf und Bundesmeisterin der Jugend im Hürdenlauf. Doch als sie mit 17 hätte täglich trainieren müssen, um an der Spitze zu bleiben, entschied sie sich dafür, den Sport wieder als Hobby auszuüben. Zwar auf hohem Niveau – mit 38 machte sie den Mountainbike-Lehrwart, 2011 nahm sie am Ultraradrennen Race Around Austria teil –, aber mit Maß und Ziel.
Bewusst in Balance
Auch beruflich hat Mächler-Neuner bewusst zurückgesteckt, als sie vor der Wahl stand, Zeit für ihren damals zweijährigen Sohn zu haben oder eine Fachausbildung zu machen. „Ich hatte jahrelang auf der Pathologie als Assistenzärztin im Labor gearbeitet – und unter anderem am Troponin-Elisa mitgeforscht, einem Projekt meines Ehemannes. Ich wollte aber nicht ewig dort bleiben, habe dann einen Teil des Turnus an der damaligen 2. Med absolviert und hätte anschließend am LKH West eine Facharzt-Ausbildungsstelle für Kardiologie bekommen. Aber ich habe es nie bereut, mich für die Familie entschieden zu haben.“ Nach arbeits- und sportmedizinischen Zusatzausbildungen begann sie in der kardiologischen Reha zu arbeiten; in den vergangenen Jahren ließ sie sich an der Europäischen Akademie für Ayurveda in Berlin (REAA) ausbilden und absolvierte ab 2014 den universitären Masterlehrgang Ayurvedamedizin, den die REAA in Zusammenarbeit mit der Middlesex University London anbietet.
Vom Lama gelernt
Auf die Frage, ob sie selbst schon einmal Opfer eines Spuckangriffs ihrer Lamas geworden sei, lacht sie zunächst nur. Ja, sie sei einmal dazwischengeraten, als zwei Lamas ihren Futterneid artgemäß ausgedrückt hätten. Wobei die erste Drohgebärde, das Spucken ihres Speichels, noch nicht so schlimm sei. „Wenn die Lamas dann grünen Mageninhalt heraufwürgen, wird es echt unangenehm. Das stinkt wie die Hölle und ist auch nicht leicht wieder wegzubekommen.“
Noch wehrt sich Mächler-Neuner nicht mit Spucken, wenn ihr im Leben Unerwünschtes widerfährt. Aber sie meint, ein bisschen hätten die Lamas schon auf ihre Persönlichkeit abgefärbt: „Ich lasse mich in Ruhe auf Menschen ein, erspüre, wie es ihnen geht und nehme gerne nonverbale Informationen auf.“
AERZTE Steiermark 11/2020
Fotos: beigestellt