Biobank: Schatzkammer der medizinischen Forschung

Die Grazer Biobank zählt zu den europäischen Vorreitern des Biobankings und archiviert – mit Erlaubnis der Spender – bereits 20 Millionen Probeneinheiten. Aktuell baut sie gerade eine COVID-19-Kohorte auf.

Ursula Scholz

 

Ein königliches Dekret aus dem Jahr 1811 bildet die Basis. Darin wurde Ärzten erlaubt, pathologische Proben zu sammeln und aufzubewahren. Als die Biobank der Medizinischen Universität Graz dann im Jahr 2007 als eigene Institution gegründet wurde, konnte sie immerhin noch auf Präparate zurückgreifen, die damals schon rund ein Vierteljahrhundert alt waren. „Den Grundstock bildete das Pathologie-Archiv mit jenem Material, das nicht mehr für die Diagnostik benötigt wurde“, erklärt Christian Gülly, der als Leiter der Organisationseinheit Forschungsinfrastruktur unter anderem der Biobank vorsteht. Dazu kamen zahlreiche Sammlungen einzelner Kliniken und Institute, beispielsweise hämatologische und dermatologische Proben. Unter ihrem ersten Leiter, Kurt Zatloukal, wurde die Biobank Graz eine der europäischen Vorreiterinnen des Biobankings und ist heute noch federführend in nationalen wie internationalen Netzwerken.

 

Nur nach Einwilligung

Durch die systematische Katalogisierung und die optimalen Lagerbedingungen in der Biobank können Proben von Körperflüssigkeiten und menschlichem Gewebe über Jahrzehnte der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt werden – mittlerweile mehr als 20 Millionen Einzelproben. Dabei handelt es sich ausschließlich um solche von freiwilligen Spenderinnen und Spendern. Diese unterzeichnen eine Einwilligungserklärung, die sie jederzeit widerrufen können. „Wenn ein Patient in die Klinik aufgenommen wird, der durch seine Erkrankung zu einem aktuellen Sammelschwerpunkt passt, wird er vom Arzt oder der Ärztin über die Spendenmöglichkeit informiert und über das Procedere aufgeklärt“, berichtet Gülly. Die Resonanz sei groß: „90 bis 95 Prozent der Gefragten sind bereit mitzumachen, um mit ihrer Probe den medizinischen Fortschritt voranzutreiben.“ Pro Jahr werden rund 10.000 Einwilligungserklärungen eingeholt; die Möglichkeit des Widerrufs nutzen im selben Zeitraum nur ungefähr 20 Personen.

 

Patientensicherheit

Bei der Gewinnung von Proben steht die Patientensicherheit stets im Vordergrund und es wird nur so viel Material der Forschung zur Verfügung gestellt, dass jedenfalls genügend für die Diagnostik und eventuelle Folgebehandlungen übrigbleibt. „Hat ein Tumorpatient nach ein paar Jahren ein Rezidiv, muss der Zugriff auf Zellen des Primärtumors weiterhin möglich sein.“ Gülly sieht die Biobank als „Trusted Partner“, als Treuhänder für Spender, Pathologie und Forschende. Kein Gewebe wird extra für die Biobank entnommen, es werden nur Restbestände archiviert. Bei Blutabnahmen werden maximal 20 Milliliter zusätzlich gewonnen – und nur über dieselbe Kanüle wie das Blut für die Diagnostik. Sämtliche Proben werden pseudonymisiert verarbeitet und mit einem 2D-Matrix-Code versehen. Die dazugehörigen klinischen Daten verwaltet das Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation der Med Uni Graz – bei Bedarf können die Daten unter strengen Auflagen wieder zusammengeführt werden.

 

International gefragt

150.000 bis 160.000 Proben, beispielsweise für neurologische, endokrinologische und infektiologische Fragestellungen, kommen jährlich dazu und derzeit reichen die Lagerkapazitäten noch gut aus. So ist das im Vorjahr eröffnete Flüssiglager für 5 Millionen Proben ausgelegt und umfasst erst einmal eine halbe Million. Gülly schließt aber nicht aus, dass man sich bei Kapazitätsproblemen auch einmal von weniger spannenden Sammlungen trennen könnte. Favorisiert wird aber naturgemäß der Verbrauch durch Beforschung von Proben. „Wir präsentieren auch auf internationalen Kongressen einzelne Sammlungen, um sie einer Sekundärnutzung zuzuführen.“ Die Nachfrage ist gegeben: Derzeit liegen gerade Forschungsanträge dreier deutscher, einer französischer und einer tschechischen Universität vor. Diese müssen vor dem Start der wissenschaftlichen Bearbeitung – wie die hauseigenen Anfragen – von der Ethikkommission genehmigt und nach allen Kriterien des Datenschutzes geprüft werden. Kaufen kann man keine Probe. Die Biobank Graz befindet sich im öffentlichen Eigentum, agiert als Non-profit-Organisation und wird mit öffentlichen Geldern gefördert. Die Nutzer zahlen jene Leistungen, die hinter der Probe stehen: vom Röhrchen über die Lagerung bis zum Personalaufwand. Als eine Art Rendite für die Fördergelder erhält die Allgemeinheit neue Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapie.

 

Ausgefeilte Lagerlogistik

Die Lagerung der Proben erfolgt mittels modernster Technik: In Kryotanks werden in der Dampfphase von Flüssigstickstoff bei minus 140 bis minus 160 Grad schockgefrorene Gewebeproben aufbewahrt, im Flüssigprobenlager hat es vergleichsweise warme minus 80 Grad; der Zugriff erfolgt bei minus 20 Grad. Die FFPE-Blöcke und -Schnitte, wobei FFPE für Formalin-Fixed and Paraffin-Embedded steht, lagern hingegen bei Raumtemperatur auf 425 Quadratmetern  in meterhohen Schränken. 15 Millionen Blöcke und 36 Millionen Schnitte können hier aufbewahrt werden. Kein Wunder, dass die Biobank eigene IT-Experten für die Software der Probenlogistik beschäftigt. Außerdem arbeiten dort AchivarInnen, Biomedizinische AnalytikerInnen sowie ProjektmanagerInnen. Mit 24 Beschäftigten zählt die Biobank Graz zu den größten in Europa, bei der Anzahl der Proben lässt sich das nicht eindeutig sagen. „Manche zählen die Probeneinheiten, andere die Fälle, wieder andere die Patienten“, erklärt Biobank-Leiter Gülly. „Viel bedeutsamer ist für mich der Impact, den die Grazer Biobank auf die europäische Entwicklung des Biobankings hat. Auch mit unserem hohen Probenumschlag zählen wir zu den Spitzenreitern.“

 

Nicht nur COVID-19

Neu aufgebaut wird gerade eine COVID-19-Kohorte. Sowohl PatientInnen als auch Genesene – 140 beteiligen sich bereits – nehmen an Studien teil und spenden ihr Blut, beispielsweise für Antikörpertiter-Bestimmungen. Aber auch in der COVID-19-Testentwicklung sind die Proben aus Graz gefragt: „Benötigt werden sowohl verifizierte Positivkontrollen als auch Vergleichsproben aus älteren Beständen, in denen noch keine SARS-CoV-2-Viren sein können.“

In Kooperation mit der Biobank laufen aber auch in Corona-Zeiten zahlreiche andere essentielle Forschungsprojekte weiter: So werden beispielsweise kardiologische Fragen über Jahre beforscht oder mehrere hundert Brustkrebsproben zur Identifizierung von Prognosekriterien zur Verfügung gestellt.

 

AERZTE Steiermark 12/2020

 

Foto: Bernhard Bergmann/Med Uni Graz

Grazer Straße 50a1