AERZTE Steiermark 09/2024

 

Update Arbeitsrecht: Thema Entlassungen

Aktuelles aus der Rechtsprechung

Mag. Isabell Polanec

  1. Fall: Entwendung von Alkoholika

Der entlassene Kläger arbeitete in einem Gasthaus und erhielt Kost und Logis sowie Softdrinks, Bier und Wein zu vergünstigten Mitarbeiterpreisen. Zur Verrechnung war eine Liste ausgehängt, in welcher die Entnahme der konsumierten Getränke zu verzeichnen war. Mit seinem Arbeitgeber war vereinbart, dass das Essen und Trinken nur in der Gaststätte – nicht aber im Personalhaus – gestattet ist. Als der beklagte Arbeitgeber den Kläger und einen Kollegen „in flagranti“ mit mehreren Alkoholika aus seinem Bestand in deren Freizeit stark alkoholisiert im Personalhaus erwischte, verständigte er die Polizei, welche die unrechtmäßige Entnahme der Flaschen aus dem Bestand des Arbeitgebers als Entwendung iSd § 141 Strafgesetzbuch und somit strafbare Handlung qualifizierte. Noch im Beisein der Polizei sprach der Arbeitgeber die Entlassung des Arbeitnehmers aus.

Rechtliche Beurteilung

Das Oberlandesgericht Wien (27.02.2024, 8 Ra 113/23f) attestierte dem Verhalten des Klägers objektive Vertrauens­unwürdigkeit. Für die Beurteilung käme es darauf an, ob für den Arbeitgeber die objektiv gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine

Interessen und Belange gefährdet sind. Macht sich ein Arbeitnehmer einer Entwendung schuldig, so muss diese, um eine Entlassung zu rechtfertigen, objektiv geeignet sein, den Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers herbeizuführen. Die Abgeschiedenheit des Gasthauses und wenige mögliche Freizeitbeschäftigungen ändern daran nichts. Ergebnis: Die Entlassung war gerechtfertigt.

Ableitungen für den ärztlichen Alltag

Auch in Arztpraxen und Krankenhäusern sind ähnliche Szenarien denkbar. Die betrieblichen Medikamentendepots sowie die Depots sämtlicher nötiger Betriebsmaterialien sind gewissen-haft und korrekt zu führen. Kommt es dort zu Diebstählen oder Entwendungen, die nachgewiesen und zugeordnet werden können, so könnte Vertrauensunwürdigkeit gegeben und eine Entlassung gerechtfertigt sein.

 

  1. Fall: Manipulation eines Förderantrags

Die entlassene Klägerin war eine angestellte Steuerberaterin, die interne Vertretungs-Guidelines missachtete, indem sie es verabsäumte nötige Aufgaben während ihres Urlaubs an Kolleg:innen zu delegieren, und eine daraus resultierte Fristversäumnis mit einem manipulierten Antragsformular „retten“ wollte. Nachdem die Arbeitgeberin über eine Rückfrage einer Mandantin, warum eine Förderung nicht ausbezahlt worden sei, und nach datenforensischen Untersuchungen von der Manipulation der Klägerin (optisch verändertes Antragsformular mitsamt Verweis auf technischen Fehler bei der Antragstellung am Vortag) erfuhr, sprach sie die Entlassung aus. Aufgrund der Handlungen der Klägerin erwuchs der Arbeitgeberin ein Reputations- und ein Vermögensschaden in Form eines Selbstbehalts an die Haftpflichtversicherung iHv € 2.000,-, die den Schaden der Mandantin deckte.

Rechtliche Beurteilung

Das Oberlandesgericht Wien (25.04.2024, 10 Ra 118/23f) sprach aus, dass der Umstand, dass die Arbeitnehmerin einen Schaden abwenden habe wollen, nicht dazu führt, dass ihr Verhalten nicht so schwer wiegt, dass eine Weiterbeschäftigung zumutbar wäre. Manipulationen, wie sie von der Klägerin vorgenommen wurden, sind durchaus geeignet einen Straftatbestand zu begründen. Sie können zu einem massiven Reputationsschaden des Arbeitgebers und gravierenden Problemen mit Behörden und Klienten führen.

Ein abweichendes Ergebnis wäre nur denkbar, wenn die von der Klägerin gesetzten Handlungen nach vorheriger Absprache mit der Arbeitgeberin gesetzt worden wären. Ergebnis: Die Entlassung war gerechtfertigt.

Ableitungen für den ärztlichen Alltag

Ein ähnlich denkbares Szenario im Krankenhaus oder einer Ordination wäre beispielsweise die Manipulation der Krankengeschichten anlässlich der Klage eines Patienten. Hier gilt es einen „ruhigen Kopf“ zu bewahren und mit solch vermeintlichen „Rettungsaktionen“ neben einer strafbaren Handlung u. U. nicht auch noch einen Entlassungsgrund zu setzen.

Rechtskonflikte können auch psychisch sehr belasten. Eine erste Entlastung und Orientierung bietet das kostenlose Beratungsformat der Ärztekammer über AMBOSS (Anti-Mobbing-Burn Out-Supervisionsstelle). Kontaktstelle in der Ärztekammer: Mag. Isabell Polanec, per E-Mail: amboss@aekstmk.or.at, per Telefon: 0316 8044-45.

 

  1. Fall: Mehrfacher Ver­stoß gegen interne Richt­linien

Der entlassene Kläger benützte interne Betriebseinfahrten/-aus­fahrten mehrfach vorschriftswidrig. Seine Arbeitgeberin sah den restlichen Verkehr dadurch gefährdet. Auf diese dem Kläger auch wiederholt aufgezeigte Gefährlichkeit seines Verhaltens reagierte der Kläger gegen-über seinem Vorgesetzten mit den Worten „Dann müsst´s mich halt anzeigen“. Auch die seitens der Geschäftsführung ausgesprochene Verwarnung und Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen schuf   bei ihm kein Unrechtsbewusstsein. Schließlich wurde der Kläger wegen Vertrauens­unwürdigkeit entlassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof (24.04.2024, 9 ObA 20/24t) sprach aus, dass die beklagte
Arbeitgeberin aufgrund der Umstände aus objektiver Sicht befürchten müsste, dass der Kläger auch in Hinkunft seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen wird. Er wurde zwar verwarnt, es wurden ihm aber auch arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht. Dennoch zeigte er keine Reue und keine Einsicht. Dazu kam, dass auch hervorkam, dass der Kläger auch Weisungen und Vorgaben seiner Vorgesetzten nicht befolgte. Ergebnis: Die Entlassung war gerechtfertigt.

Ableitungen für den ärztlichen Alltag

Dienstpflichten sind innerhalb des durch den Dienstvertrag vorgegebenen Rahmens grundsätzlich durch den Dienstgeber/Vorgesetzen konkretisierbar. Organisatorisch sind Mitarbeiteranordnungen oder Unternehmensrichtlinien zu einer Vielzahl an Themen möglich. In organisatorischen Belangen (Komplikationsmanagement etc.) wären auch Weisungen möglich. Außerdem erlaubt das Krankenanstaltenrecht die Erteilung fachlicher Weisungen des Abteilungsleiters an seine nachgeordneten Ärzt:innen. Eine fortdauernde Nichtbeachtung von Weisungen und Richtlinien könnte zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen.

 

Mag. Isabell Polanec

Abteilung Rechts-, Beschwerde- und Disziplinarsachen in der Ärztekammer für Steiermark

Grazer Straße 50a1