AERZTE Steiermark 12/2024

 

Dort sterben dürfen, wo man möchte

Eine Kooperation von KAGes, Med Uni Graz und Elisabethinen Graz zeigt, wie die individuellen Präferenzen von Palliativpatient:innen zum Sterbeort besser berücksichtigt werden können: Ein innovatives Notfallinformationssystem hält diese Präferenzen frühzeitig fest und unterstützt bei der Umsetzung in der Akutsituation.

Von Günter Polt

Wenn Palliativpatient:innen an dem von ihnen selbst gewählten Ort (etwa zuhause oder eben auch im Spital oder der Pflegeeinrichtung)versterben dürfen, ist ein wesentlicher Beitrag zu einem „guten Sterben“ geleistet.  Die überwiegende Mehrzahl von Palliativpatient:innen äußert solche Wünsche. Allerdings gilt es, diesen Wunschsterbeort rechtzeitig zu erheben und diese Information den in der Akutsituation beteiligten Helfer:innen und Behandler:innen praktikabel zugänglich zu machen, damit der Wunsch in Erfüllung gehen kann. Daher wurde ein Formular - die so genannte Notfallsinformation -  entwickelt, auf deren Basis behandelnde Notärzt:innen den zuvor dokumentierten Patient:innenwunsch besser berücksichtigen können.

Die Notfallsinformation funktioniert

Nun ergab eine von KAGes, Med Uni Graz und Elisabethinen Graz gemeinsam durchgeführte Studie mit über 1.400 Palliativpatient:innen, dass eine gezielte Dokumentation der Wünsche hinsichtlich Transport und Behandlungsort zu einer signifikant höheren Erfüllung des Patient:innenwillens von mobil versorgten Palliativ-Patient:innen führt: Von den Patient:innen, die eine Therapie vor Ort bevorzugten, verstarben 88 % in ihrem Zuhause – eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu 59 %
bei jenen Patient:innen, bei denen es diese „Notfallinformation“ nicht gab.

Alle neun in der Steiermark tätigen Palliativteams für Erwachsene wurden aufgefordert, über ein Jahr lang im eigenen Ermessen die Notfall­information den von ihnen betreuten Patient:innen und/oder deren Angehörigen zum Ausfüllen durch ausgebildete Palliativärzt:innen anzubieten. In ihr wurde der Wunsch hinsichtlich Transport im palliativen Akutfall abgefragt.

Folgende Optionen konnten gewählt werden:
Bevorzugt wird ...

  •             eine Therapie vor Ort (ohne Transfer)
  •             ein Transfer auf eine geeignete stationäre Einrichtung (Krankenhaus)
  •             keine Präferenzen hinsichtlich Transfer

Die Entscheidung wurde von einsichtsfähigen Patient:innen oder sonst als mutmaßlicher Patient:innenwille gemeinsam von der Ärztin/dem Arzt mit den Angehörigen/betreuenden Personen getroffen und dann innerhalb des betreuenden Mobilen Paiiativteams (MPT) an alle Mitarbeiter:innen kommuniziert. Die Notfallinformation selbst blieb vor Ort bei den Patient:innen und die Betreuungspersonen wurden darauf hingewiesen, diese im Fall eines Notarztsystem-Einsatzes vorzuzeigen. Enthalten ist auch eine Telefonnummer des jeweilig zuständigen MPTs, sodass auch auch anderen Helfersystemen ermöglicht wurde, vor einer Entscheidung mit dem MPT Rücksprache zu halten.

Der Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Errichtung der Notfallinformation und der Sterbeort der Proband:innen wurden in folgenden 4 Kategorien erhoben: Palliativstation, Krankenhaus, zu Hause, oder Pflegeheim. Jede Änderung des Aufenthaltsortes innerhalb dieser Kategorien zwischen dem Zeitpunkt der Errichtung der Notfallinformation und dem Sterbezeitpunkt wurde als Transfer gewertet. Aufenthaltsorte zwischen diesen beiden Zeitpunkten (z. B. zwischenzeitliche Krankenhausaufenthalte) wurden nicht erhoben. Sehr wohl vorgesehen war die Erfassung von Änderungen im Wunsch hinsichtlich des Transfers im Krankheitsverlauf.

Studiendesign

Danach wurde eine retrospektive Datenanalyse der von den MPTs im Zeitraum 04/2022 bis 03/2023 betreuten und in diesem Zeitraum verstorbenen Palliativpatient:innen durchgeführt. Erhoben wurden zudem Information das Geschlecht, Sterbealter, zugrundeliegende Erkrankung (Krebserkrankung/andere Erkrankung), Betreuungsdauer, Gesamtanzahl der Kontakte des MPTs sowie Anzahl der ärztlichen Kontakte. Alle Daten wurden pseudonymisiert und extern ausgewertet (deskriptive Statistik und logistisches Regressionsmodell). In Letzterem wurde der Zusammenhang zwischen der Intervention und dem tatsächlichen Sterbeort (zu Hause vs. anderer Ort) untersucht und um etwaige konfundierende Faktoren bereinigt. Weiters wurde erhoben, wie zufrieden die MPT mit dem Projekt waren.  Insgesamt wurden 1.425 Patient:innen in die Studie eingeschlossen (52,6 % Männer), das Medianalter zum Todeszeitpunkt betrug 78,1 Jahre. 76,9 %
der Stichprobe waren Krebs­patient:innen.

Ergbenisse

Insgesamt haben 109 Personen (7,6 %) der Stichprobe an der „Intervention Notfall­information“ teilgenommen. Davon wiederum gaben 85 Personen (78,9 % der Interventionsgruppe) an, eine Therapie vor Ort, d. h. ohne Transfer,
zu bevorzugen. Nur 8 Pa­ti­ent:innen (7,3 %) gaben im Rahmen der Notfallsinformations-Intervention“ an, einen Transport zu wünschen, und 16 (14,7 %) gaben keine Präferenz an.

Bei jenen 85 Patient:innen, die keinen Transport wünschten, verstarben 75 (88,2 %) zuhause, d. h. in etwa 9 von 10 Fällen wurde hier dem Patient:innenwillen entsprochen. Bei jenen 8 Personen, die einen Transport wünschten, verstarben nur 3 (37,5 %) zuhause, so wurde auch hier in einer Mehrheit der Fälle der Patient:innenwille umgesetzt. Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem im Rahmen der Notfallinformation geäußerten Wunsch einer Therapie vor Ort und dem tatsächlichen Sterbeort. Von den Patient:innen, die keinen Transport wünschten, verstarben 88,2 % zuhause, während von jenen, die nicht an der Intervention teilgenommen hatten, nur 59,7 % zuhause verstarben. Demnach ging die in der Notfallinformation geäußerte Präferenz für eine Behandlung vor Ort und gegen einen Transport mit einer mehr als fünf Mal höheren Chance einher, in Folge auch wirklich zu Hause zu versterben. Durch die im Rahmen der Notfallinformation geäußerte Präferenz konnte die Wahrscheinlichkeit zuhause zu versterben also von 63 % in der Kontrollgruppe auf 89 % in der Interventionsgruppe erhöht werden (Abb. 2, Seite 15).

Die Auswertung der von den MPTs ausgefüllten Fragebögen (Rücklauf: 50 %) ergab, dass in der Notfallinformation ein hilfreiches Tool gesehen wird, um den Patient:innenwillen umzusetzen und mit den Patient:innen und deren Angehörigen ins Gespräch über existentielle Themen zu kommen. Gleichzeitig wurde kritisch auf eine mögliche Überforderung mit der Fragestellung und auf einen situativ nicht immer passenden Einsatz hingewiesen. Allen Rückmeldungen gemeinsam war eine gute individuelle Anwendung, die im Einzelfall entschieden werden soll.

Diskussion

Die Studie erbrachte zudem Hinweise darauf, dass nicht die Betreuungsdauer oder die Gesamtanzahl der Hausbesuche, sondern die Anzahl der ärztlichen Kontakte entscheidend für die Teilnahme an der „Intervention Notfallinformation“ war. Die Anzahl der ärztlichen Hausbesuche war zudem ein Prädiktor dafür, dass Patient:innen zuhause verstarben. Die vorliegende Studie zeigt, dass die Anzahl der ärztlichen Patient:innenkontakte (unabhängig von deren Dauer)
entscheidend ist, den Pa­tient:innenwunsch hinsichtlich Sterbeort umzusetzen. Die Betreuungshäufigkeit durch Ärztin/Arzt war der entscheidende Faktor für die Erfüllung des Wunsches nach dem bevorzugten Sterbeort bei den  in dieser Studie betreuten Palliativpatient:innen. 

Service

Individuelle Betreuung, engmaschige ärztliche Begleitung und klare Kommunikation kann eine qualitativ hochwertige Palliativversorgung gewährleisten - so der Sukkus dieser Studie. Die Ergebnisse legen nahe, dass das Modell auch in anderen Regionen angewendet werden könnte, um die Lebensqualität am Lebensende zu steigern. Das Formular für die Notfallsinformation ist für niedergelassene Ärzt:innen und Pflegeheime geeignet und kann bei Guenter.Polt@kages.at angefordert werden.

Zudem ist die 4. Auflage des „Leitfaden Palliativmedizinische Notfälle“ kostenlos unter diesem Link verfügbar: www.dr-polt.at/_files/ugd/b1f048_6aef68b6796144e084133d95c8d73447.pdf

 

Günther Polt ist Arzt für Allgemeinmedizin (Spezialisierung Palliativmedizin, medizinische Trainingstherapie), Sportwissenschaftler, Lehrbeauftragter an der Medizinischen Universität Graz, Sachverständiger, Gutachter und steirischer Landesschularzt.

Foto: Fischer