AERZTE Steiermark 02/2025
Drogen: Besorgniserregend trotz stabiler Lage
Illegale Drogen und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft, Gesundheit und Rechtssystem – seit Kurzem liegt der Bericht zur Drogensituation in Österreich vor. Michael Adomeit, Co-Referent für Suchtmedizin, über die Situation in der Steiermark und die aktuellen Herausforderungen.
Die wichtigsten Fakten aus dem aktuellen Drogenbericht zur Situation in Österreich:
- Cannabis bleibt die häufigste illegale Droge, insbesondere bei Jugendlichen (30-40 % Lebenszeitprävalenz).
- Darüber hinaus werden Stimulanzien wie Kokain, Ecstasy und Amphetamine zunehmend konsumiert (5-6 %).
- Der risikoreiche Konsum betrifft vorrangig Opioide, mit geschätzten 36.000 bis 39.000 Betroffenen, vor allem in Wien.
- Besorgniserregend ist laut Drogenbericht der Anstieg von Mehrfachkonsum, insbesondere bei Jugendlichen.
- Neben einem Anstieg der drogenbedingten Todesfälle (genaue Zahl lag bei Veröffentlichung des Berichts noch nicht vor) ist vor allem die Verbreitung von Hepatitis C unter intravenös Konsumierenden problematisch.
- 2023 befanden sich rund 27.300 Personen in Behandlung, meist wegen Opioid- oder Cannabiskonsums. Kokain gewinnt an Bedeutung, sowohl in Konsum als auch im Handel.
Insgesamt zeigt der Bericht eine stabile, aber besorgniserregende Lage mit neuen Herausforderungen durch Mehrfachkonsum und den steigenden Einfluss synthetischer Substanzen. Ein Bild, das auch die Situation in der Steiermark widerspiegelt, so Michael Adomeit, Co-Referent für Suchtmedizin und Obmann der WAVM, welche die Trägerschaft der Interdisziplinären Kontakt- und Anlaufstelle (I.K.A.) innehat. So befinden sich im Vergleich zum Vorjahr knapp 120 Patient:innen mehr in einer Opioidagonisten-Therapie (OAT) und aus seiner Sicht stellen vor allem chemische Drogen, die den Markt überfluten, aber auch der Preisverfall bei Kokain besorgniserregende Entwicklungen dar. „Jedoch sollten wir generell allen Substanzen, die abhängig machen, unsere Aufmerksamkeit schenken. Die einfache Beschaffung ist hier durchaus problematisch zu sehen. Das gilt auch für die Dose Bier, die man heute aus jedem Automatenshop drücken kann“, moniert Adomeit.
Prävention und Früherkennung
Damit stellt sich auch gleich die Frage, welche Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen sinnvoll bzw. bewährt sind und worauf vielleicht noch ein stärkerer Fokus zu setzen wäre. Adomeit betont hier die Bedeutung der Prävention und der Aufklärung der Eltern. „Vor allem muss man ansetzen, bevor der Konsum beginnt. Und Eltern müssen ein Auge auf den Umgang der Kinder und Jugendlichen haben.“ „Denn gerade das jugendliche Gehirn, das noch nicht völlig ausgereift ist, ist immer potenziell gefährdet“, so Adomeit, „und das müssen wir Ärztinnen und Ärzte den Eltern auch in aller Deutlichkeit nahebringen.“ So kann etwa auch ein Einmalkonsum bereits schwerwiegende Folgen haben, abhängig von den Umständen der Erstkonsumation. „Daher ist es sehr wichtig, dass wir als Ärztinnen und Ärzte auch die Eltern klar und verständlich aufklären“.
Was Cannabis betrifft, stellt Adomeit fest: „Sehr viele Jugendliche probieren es aus - Gott sei Dank ist das nur bei einem sehr geringen Prozentsatz der Start einer Suchtkarriere. Abhängig ist dies unter anderem davon, ob die Jugendlichen z. B. sozial gefestigt sind. Das Gefährliche bei Jugendlichen ist aber immer, dass die Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.“ Weshalb auch auf die psychosoziale Komponente ein stärkeres Augenmerk gelegt werden sollte. „Generell gilt: Man sollte auf jede Sucht und jede Abhängigkeit Augenmerk legen und entsprechend präventive Maßnahmen setzen“, so Adomeit, wird doch die Suchtproblematik „legaler Drogen“ gerade in Österreich grosso modo verharmlost. Gleichzeitig ist jede Entzugs- bzw. Begleittherapie ebenso aufwendig für die Betroffenen und ihre Angehörigen wie teuer für die Allgemeinheit.
Aktuelle Herausforderungen
Doch was sind die Herausforderungen in der medizinischen Versorgung von Patient:innen mit risikoreichem Drogenkonsum? „Die Betreuung von Suchtpatient:innen ist äußerst komplex“, weiß Michael Adomeit. Weshalb es eines multimodalen Therapiekonzepts bedarf, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Die bio-psycho-soziale Behandlung liefert daher auch die besten Therapieergebnisse. Neben der Suchterkrankung gilt es schließlich zahlreiche Begleiterscheinungen zu behandeln. Die Langzeitfolgen sind bei häufig konsumierten Substanzen, wie z. B. Kokain, vor allem aber bei Opioiden, sehr umfassend und reichen von infektiösen Erkrankungen und chronischen Wunden über Zahnprobleme und das große Feld der internistischen Krankheiten bis zu sozialpsychiatrischen Erkrankungen und problematischen Wohnverhältnissen oder persönliche Krisen, die auch auf die Sucht verstärkt einwirken. Und: Ein Großteil der Suchtpatient:innen hat nicht nur die Diagnose der Suchterkrankung, sondern eine psychiatrische Doppeldiagnose.
Effektiver Ansatz
Wie der Jahresbericht 2024 der I.K.A. zeigt, führt deren interdisziplinärer Ansatz im Hinblick auf diese Kriterien zu erfreulichen Ergebnissen. „Von den rund 400 Patient:innen, die von der I.K.A. betreut werden, befinden sich nahezu 90 % in einer gesicherten Wohnsituation und mehr als ein Drittel geht einer regelmäßigen Beschäftigung nach“, betont Adomeit. Die I.K.A. arbeitet multi- und interdisziplinär - mit einem Team aus Allgemeinmediziner:innen, Psychiater:innen, klinischen Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und diplomierten Pflegepersonen. Die Einrichtung wird über eine Regelfinanzierung in Zusammenarbeit mit Land und Stadt ermöglicht und ist für Suchterkrankte unterschwellig und kostenfrei nutzbar. Nach dem Erstgespräch folgt eine ausführliche Anamnese, um zu sehen, ob der/die Patient:in in die Indikation für eine Substitutionsbehandlung fällt. Gemessen wird der Erfolg einer Substitutionstherapie an verschiedenen Größen. Denn neben der Suchtbehandlung geht es insbesondere um „harm reduction“ und ein möglichst hohes Maß an Stabilität zu erreichen. Dieses zeigt sich neben einer gut eingestellten Substitutionstherapie in gesicherten Wohnverhältnissen und einer gesellschaftlichen Eingliederung durch (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
Betreuung in Pflegeeinrichtungen
„Durch die interdisziplinäre und multidisziplinäre Behandlung in der Substitution, die durch zahlreiche Begleitbehandlungen mittlerweile zu einer Erhöhung der Lebenserwartung führt, kommen jedoch auch neue Herausforderungen auf uns zu“, gibt Adomeit zu bedenken. Erste Patient:innen sind in Pflegeeinrichtungen aufgenommen. Es geht nun darum, diese in den entsprechenden Einrichtungen weiter gut betreuen zu können und auch gerontologisch zu behandeln.
Allgemeinmediziner:innen fehlen
Zwar altern Menschen mit Drogenabhängigkeiten schneller, dennoch gibt es zu wenig Betreuungsangebote, zumal diese Patient:innen auch in ihrer alltäglichen Mobilität eingeschränkt sind. Ein bedeutendes Problem besteht darin, dass bislang die I.K.A. keine Hausbesuche anbieten kann, weil diese Leistung durch die ÖGK nicht abgedeckt wird. Derzeit laufen Verhandlungen, diese unverzichtbaren Leistungen auf Hausbesuche auszuweiten, so Adomeit. Zusätzlich gebe es generell zu wenige Allgemeinmediziner:innen, die Substitution betreiben. Die Herausforderung ist natürlich groß: Letztlich handelt es sich um sehr komplexe Patient:innen mit Persönlichkeitsthemen, die mitunter auch im alltäglichen Ordinationsbetrieb schwierig einzugliedern sind. Andererseits ist gerade die medizinische Betreuung dieser Zielgruppe sehr motivierend: „Wenn man einem jungen oder jüngeren Menschen wieder auf die Beine hilft – und das sehen wir in der I.K.A. oft genug – gehört das zu den wirklich schönen Behandlungserfolgen“, so Adomeit. Eine wesentliche Rolle in der Betreuung der OAT-Patient:innen spielen die niedergelassenen Ärzt:innen. Der Bedarf an weiteren Ärzt:innen ist gegeben. „Leider“, so Adomeit, „wird jedoch die sehr zeitaufwendige Betreuung seitens der ÖGK zu wenig wertschätzend abgegolten“ – oft ein Grund, warum sich Ärzt:innen gegen die Betreuung von Suchtpatient:innen entscheiden, denn das Interesse wäre durchaus vorhanden. Obwohl sich sehr viele Kolleg:innen im Bereich der Substitutionstherapie qualifizieren und eine Aufnahme in die LISA-Liste beantragen könnten, gibt es neben den wirtschaftlichen Überlegungen aber auch durchaus Berührungsängste mit Randgruppen zu arbeiten.
Appell an Ärzte/Ärztinnen
Auch vor der I.K.A. macht der Ärztemangel nicht Halt. In ihrer unterstützenden Funktion für niedergelassene Ärzt:innen im Krankheitsfall oder bei Urlaubsunterbrechungen sind die Kapazitäten der I.K.A. unerlässlich. „Wer also Lust hat zu hospitieren – ob Ärztin/Arzt, Student:in, Klinische:r Psycholog:in oder in Ausbildung zur/zum Psychotherapeut:in – ist herzlich willkommen. Die I.K.A. ist eine gute, sichere und absolut familienfreundliche Dienstgeberin“, appelliert Adomeit. Wichtig wäre auch die Möglichkeit der Verrechenbarkeit einer Psychotherapie über die Sozialversicherungen. Suchthilfeeinrichtungen sind aber bis dato von den psychotherapeutischen Kontingenten ausgenommen.