AERZTE Steiermark 07-08/2025
Medizinische Notfälle im Flugzeug – wie ist die Rechtssituation?
„Ist eine Ärztin oder ein Arzt an Bord?“, diese Frage kann bei einem medizinischen Notfall in einem Flugzeug gestellt werden. Ein Überblick über die rechtliche Situation, was bei medizinischen Notfällen im Flugzeug zu tun ist.
Da bei einem medizinischen Notfall in einem Flugzeug Not- und Rettungsdienste nicht verfügbar sind, stellt sich meist schnell die Frage: „Ist eine Ärztin oder ein Arzt an Bord?“
Was sind die Verhaltenspflichten von – meist privat und daher zufällig anwesenden – Ärzt:innen?
Müssen Ärzt:innen reagieren?
Die Verhaltenspflichten einer Ärztin bzw. eines Arztes bei einem medizinischen Notfall im Flugzeug bestimmen sich nach dem Ernst der Situation: Eine Reaktion ist verpflichtend, wenn bei der betroffenen Person drohende Lebensgefahr vorliegt. Gemäß § 48 Ärztegesetz dürfen Ärzt:innen die Erste Hilfe in diesem Fall nicht verweigern. Diese Berufspflicht gilt auch im Ausland, also auch in einem Flugzeug. Sobald Ärzt:innen von einer medizinischen Notsituation in einem Flugzeug erfahren, müssen sie sich persönlich überzeugen, ob drohende Lebensgefahr vorliegt und welche Hilfe die Person benötigt, und haben diese Hilfe zu leisten.
Keine Lebensgefahr
Liegt keine drohende Lebensgefahr vor, besteht die berufsrechtliche Verpflichtung nicht. Aber auch dann können allgemeine Hilfeleistungspflichten anwendbar sein. So ist es nach dem österreichischen Strafgesetzbuch verboten, in einem Unglücksfall jene Hilfeleistung zu unterlassen, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung offensichtlich erforderlich ist; diese Hilfeleistungspflicht trifft jedermann, gerade Ärzt:innen können sich aber nicht entschuldigen, dass ihnen die Hilfeleistung unzumutbar gewesen wäre.
Flaggenprinzip
Die allgemeinen Hilfeleistungspflichten können von Land zu Land unterschiedlich sein. Viele Rechtsordnungen sehen Verpflichtungen vor (z. B. Deutschland, Frankreich, Australien, diverse asiatische Länder), während sie in anderen Ländern nicht existieren (z. B. USA, Kanada). Bei Notfällen im Flugzeug gilt, dass sich das anwendbare Recht nach dem Land bestimmt, in dem das Flugzeug registriert ist („Flaggenprinzip“, das heißt in einem Flugzeug der Austrian Airlines gilt österreichisches Recht, bei Lufthansa deutsches Recht etc.), und zwar unabhängig davon, wo sich das Flugzeug gerade befindet. Das Flaggenprinzip gilt übrigens auch für Schiffe.
Zur Beantwortung der Frage, welche Hilfeleistungsverpflichtungen einschlägig sind, wenn keine drohende Lebensgefahr vorliegt, ist eine detaillierte rechtliche Betrachtung im Einzelfall nötig – die in Notsituationen naturgemäß weder möglich noch sinnvoll wäre.
Empfehlung
Es ist daher anzuraten, dass Ärzt:innen bei allen medizinischen Notfällen in Flugzeugen reagieren und Erste Hilfe leisten, in denen die Gefahr von Gesundheitsschädigungen angenommen werden kann, wenn keine Hilfeleistung erfolgt. In jedem Fall sollten sich die Ärzt:innen persönlich davon überzeugen, welcher Notfall bei der betroffenen Person vorliegt und ob Behandlungsbedürftigkeit besteht.
Welche Hilfe ist zu leisten?
Ärzt:innen haben die Erste Hilfe im Umfang ihrer individuellen Befähigung zu leisten. Sie müssen also leisten, „was sie können“, ohne Rücksicht auf Sonderfächer oder Ausbildungsstand. Von ihnen wird (auch haftungsrechtlich) das gefordert, was von Ärzt:innen mit einer vergleichbaren Befähigung objektiv erwartet werden darf.
Wer muss Erste Hilfe leisten?
Die Hilfeleistungsverpflichtung bei drohender Lebensgefahr gilt für alle in die Ärzteliste eingetragenen Ärzt:innen. Verpflichtet sind auch Turnusärzt:innen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch ohne Anleitung und Aufsicht tätig werden müssen. Ab Austragung aus der Ärzteliste entfällt diese Berufspflicht, allgemeine Hilfeleis-tungspflichten gelten aber für jedermann, also auch für pensionierte Ärzt:innen oder Medizinstudent:innen.
Mehrere Ärzt:innen an Bord?
Grundsätzlich muss Erste Hilfe leisten, wer als Erste/r bei der betroffenen Person ist bzw. wer davon ausgehen muss, diese am schnellsten zu erreichen. Es ist zu empfehlen, jedenfalls zu reagieren und sich zu koordinieren. Sinnvollerweise wird die Ärztin/der Arzt die Behandlung vornehmen bzw. weiterführen, die/der am besten für die Notsituation qualifiziert ist.
Konsequenzen bei Behandlungsfehlern?
Auch bei der Leistung von Erster Hilfe können Behandlungsfehler zur Haftung führen. Jedoch kann nur jene Leistung erwartet werden, die einer Ärztin bzw. einem Arzt mit einer vergleichbaren Befähigung in einer vergleichbaren Situation objektiv zugemutet werden muss. Die Haftung wird dadurch abgemildert, dass diverse Fluglinien Haftpflichtversicherungen haben, die die ärztliche Hilfeleistung an Bord abdecken und Ärzt:innen gegen Schadenersatzansprüche von Passagier:innen absichern (ausgenommen vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln). In den USA existiert sogar ein genereller Haftungsausschluss für die unentgeltliche Leistung medizinischer Hilfe an Bord von US-Flugzeugen durch medizinisch ausgebildete Passagier:innen (US-Aviation-Liable-Act).
Wenn man nicht hilft
Wird die Erste Hilfe bei drohender Lebensgefahr unterlassen, wird eine Berufspflichtverletzung verwirklicht, die zu Disziplinarstrafen führt. Es kann eine strafrechtliche Verantwortlichkeit oder zivilrechtliche Schadenersatzhaftung entstehen. Die Konsequenzen bei unterlassener Hilfeleistung sind demnach gravierender als bei Behandlungsfehlern bei vorgenommener Hilfeleistung.
Dr. Daniel Heitzmann ist Rechtsanwalt in der Kanzlei HP+T
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